# taz.de -- Unordnung im Zusammenleben: Der besonnene Wasserträger | |
> Nicht jeder hält Unordnung aus. Der Deutsche sieht überall nur halbleere | |
> Gläser statt halbvolle. Immerhin schafft er es, nicht cholerisch zu | |
> werden. | |
Bild: Hauptsache, der Laptop bleibt trocken | |
Hinter jeder erfolgreichen Frau steht ein Mann, der ihre halbleeren | |
Wassergläser wegräumt. Wenn Sie das nicht lustig finden, dann darf ich | |
Ihnen sagen: Ich auch nicht. Denn zweimal allein in letzter Zeit stand ein | |
halbleerer Ikeapokal direkt neben meinem offenen Laptop, auf dem alles | |
drauf ist, was mich interessiert oder doch interessieren sollte und der | |
noch nicht mal mir gehört, sondern meinem Arbeitgeber. | |
Ich bin eigentlich cholerisch veranlagt, doch diesmal blieb ich besonnen. | |
Ich hatte es aufgegeben, die Mär zu widerlegen, die erwachsene Menschen in | |
ununterbrochen liternde Wasserträger:innen verwandelt. Bei | |
verfestigten wie verflüssigten Spleens ist es sinnlos, das Thema direkt | |
anzusprechen – ich weiß, wovon ich rede. | |
Nein, mein Ansatz war diesmal, ganz bescheiden zu fragen: „Muss ich | |
eigentlich, weil ich in Elternzeit bin, auch den gesamten Haushalt | |
schmeißen? Was in unserem Haushalt nicht unwesentlich bedeutet, dir | |
hinterherzuräumen? Findest du es nicht unwürdig, dass ich darauf achten | |
muss, dass du mit deinem Flüssigkeitskult nicht mein Onlinebanking | |
gefährdest?“ Normalerweise dringe ich mit solchen Beschwerden bei meiner | |
Freundin nicht durch. „Ach, Schatzi“, heißt es dann, bevor der häusliche | |
Boxenstop zwischen täglicher Leitungsfunktion und abendlichem Pflichttermin | |
ein Ende findet und die Tür ins Schloss fällt. | |
Nicht dass mir das etwas ausmachte: Ich säubere, wenn unser entzückendes | |
Baby um 20 Uhr im Bett liegt, noch rasch die Küche, bereite Frühstück und | |
Nachtfläschchen vor, gebe meiner Tochter einen Gutenachtkuss, lese noch ein | |
Kapitel im fantastischen [1][neuen Tade Thompson] und bin um halb zehn fest | |
eingeschlafen. | |
## Ein Lächeln reicht zum Weitermachen | |
Diesmal jedoch, mit dem halbleeren Modell „Vardagen“ als Beweis ihres | |
Trinkteufelchens in meiner Hand, lächelte meine Freundin irgendwie | |
süß-ertappt. Sie würde natürlich nie so weit gehen, einen Fehler | |
einzugestehen. Aber ein charmant-betrübtes Mundwinkelrunterziehen mit einem | |
sich bildenden Grübchen und gepaart mit einer hochgezogenen Augenbraue, was | |
dann zusammen schon sehr bezaubernd aussah – das ist für einen Hausmann wie | |
mich genug, um weiterzumachen. | |
Denn die Alternative wäre ja, die Dinge so stehenzulassen, wie meine | |
Freundin sie fallen lässt. Unsere Wohnung ist theoretisch groß genug dafür, | |
ich könnte um ihre Kleiderberge Slalom laufen, in Haarbürsten treten, | |
weiterhumpeln und den Computer woanders aufbauen, damit mein Schreibtisch | |
seinen Zweck als „Vardagen“-Abstellfläche erfüllt. Nach einigen Tagen | |
würden sich interessante Hefekulturen entwickeln – nein, Sie sehen es, ja | |
Sie riechen es vor sich, ich. kann. es. nicht: Mir fehlt die Souveränität | |
im Umgang mit der Unordnung, ich bin auch nur ein Deutscher. | |
Ah, was sagen Sie? Ich soll statt der vielen halbleeren Gläser auch mal das | |
halbvolle Glas sehen? Interessanter Gedanke. Darüber können wir gerne | |
reden: Sobald ich mal wieder eine Nacht durchgeschlafen habe. | |
28 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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