| # taz.de -- Klimacamp von Ende Gelände in Hannover: Aktionsform an Katastrophe… | |
| > Die Klimabewegung steckt in einer Krise. Aktivist:innen von Ende | |
| > Gelände diskutieren über Strategien und tanzen bis tief in die Nacht. | |
| Bild: Zeit zur Reflexion: Klimacamp des Bündnisses Ende Gelände in Hannover | |
| Hannover taz | Mitten im Georgengarten in Hannover summt und hämmert es. | |
| Seit dem letzten Montag im Juli tummeln sich hier mehr als Tausend | |
| Klimaaktivist*innen auf dem „System Change Camp“ des | |
| Aktionsbündnisses Ende Gelände in der niedersächsischen Landeshauptstadt. | |
| Sie sind gekommen, um zu diskutieren. Denn die Klimabewegung steckt in | |
| einer Krise. | |
| Seit sich das Bündnis Ende Gelände 2014 gründete, reisten | |
| Klimaaktivist*innen verschiedenster Strömungen immer wieder zu den | |
| großen Aktionen gegen den Braunkohletagebau im Rheinischen Revier und in | |
| der Lausitz. In den Jahren 2018 und 2019 erreichten die Proteste ihren | |
| Höhepunkt. Ziel war es, einen Ausstieg aus der Kohle zu erreichen. Der ist | |
| mittlerweile beschlossen, muss allerdings noch umgesetzt werden. | |
| Für die Aktivist*innen stellen sich nun viele Fragen. Denn die | |
| Anforderungen an die gesellschaftliche Transformation, die angesichts der | |
| fortschreitenden Klimakatastrophe notwendig ist, sind immens. Worauf sollen | |
| sich die Aktivist:innen konzentrieren? Auf Proteste gegen die fossilen | |
| Energieträger LNG und Erdgas oder den Individualverkehr? Sollten | |
| kolonialistische Kontinuitäten und verschiedene Betroffenheiten durch die | |
| Klimakrise im Fokus stehen? Sollte sich die Klimabewegung in realpolitische | |
| Prozesse einbringen oder eine radikal-antagonistische Haltung einnehmen? | |
| Und wie geht die Bewegung mit der zurückgehenden gesellschaftlichen | |
| Unterstützung für Klimaproteste um? | |
| „Ich hoffe, dass wir gestärkt aus der Woche gehen“, sagt der | |
| [1][langjährige Klimaaktivist Janus Petznik] der taz. Er sei frisch „auf | |
| dem Raumschiff“ gelandet, wie er das Camp liebevoll nennt. Er hoffe, dass | |
| die Vereinzelung, die nach der Räumung Lüzeraths gefolgt sei, durch das | |
| Camp aufgefangen werde. In Lützerath war Petznik zuletzt in der | |
| Kampagnenentwicklung und dem Bewegungsaufbau aktiv. Aktivist*innen | |
| besetzten das Dorf im Herbst 2021. Der Weiler sollte trotz beschlossenen | |
| Kohleausstiegs abgebaggert werden. Unter massiven Protesten wurde die | |
| Besetzung im Januar 2023 geräumt. | |
| ## 12 Zelte, 150 Veranstaltungen | |
| Seitdem richtet sich Ende Gelände strategisch neu aus. In regionalen | |
| Bündnissen soll es eine höhere Taktung an Aktionen geben, statt sich auf | |
| einen zentralen Großevent zu orientieren, heißt es aus | |
| Aktivist*innenkreisen. Die Stärke des laufenden Prozesses sei die Vielfalt | |
| der Bewegung, sagt eine Aktivistin, die sich Noor nennt. Wie viele hier | |
| will sie nicht ihren richtigen Namen nennen. Die Aktivist:innen haben | |
| Angst vor Kriminalisierung. | |
| Die 30-Jährige moderiert Teile der Debatte. „Wer wir sind und was wir | |
| erreichen wollen, das waren zentrale Fragen“, berichtet sie. Aus der | |
| migrantischen Selbstorganisierung kommend, engagiert Noor sich seit der | |
| Besetzung Lüzeraths für Klimagerechtigkeit. Für sie schwinge immer auch der | |
| akute Handlungsbedarf mit, sagt sie. Hoffnung gebe ihr das Camp selbst. | |
| „Was wir theoretisch fordern – also, dass wir uns gegen jede Form von | |
| Unterdrückung und Ausbeutung stellen –, muss auch in unserer täglichen | |
| Praxis geschehen“, so Noor. Um dies zu leisten, müsse eine Alternative | |
| erlebt und erprobt werden. Sie habe die Diskussion dabei als hitziges, aber | |
| trotzdem als angemessenes Miteinander erlebt, sagt die Aktivistin. | |
| In zwölf Zelten und im Freien gibt es die gesamte Woche über [2][150 | |
| verschiedene Programmpunkte] – Diskussionen, Führungen [3][zur lokalen | |
| Waldbesetzung Tümpeltown gegen den Ausbau der Stadtautobahn], Lesekreise, | |
| Vorträge und Workshops. Die Veranstaltungen tragen Titel wie „Climate | |
| Change and migration“, „Radikale Realpolitik: brauchen wir Parteien für | |
| mehr Klimagerechtigkeit?“ und „Degrowth als Utopie“. Trotz anhaltenden | |
| Regens ist die ganze Woche über viel los. Hier kommt eine | |
| Getränkelieferung, dort beginnt ein Treffen, und es gibt endlich Essen – | |
| kostenlos und für alle. Wer kommt, muss nichts zahlen. Die Finanzierung | |
| übernimmt das Aktionsbündnis Ende Gelände. | |
| ## Diskussion über Letzte Generation | |
| Ein Gesprächsthema, das immer wieder aufkommt, sind die „Klimakleber“ und | |
| deren mediale Präsenz. [4][Die Gruppe Letzte Generation] polarisiert mit | |
| ihren Aktionen. Die Aktivist*innen appellieren an die Regierung, etwa | |
| ein 9-Euro-Ticket einzuführen. Sie sind trotz ihrer recht zahmen | |
| Forderungen massiver Repression ausgesetzt. Ob es mit den gesellschaftlich | |
| stark umstrittenen Blockaden der Letzten Generation zusammenhängt oder | |
| nicht: Laut einer Umfrage der gemeinnützigen Organisation „More in common“ | |
| ist die Unterstützung für die Klimabewegung in der Bevölkerung | |
| zurückgegangen. Zahlreiche Aktivist*innen werfen der Letzten Generation | |
| vor, der Bewegung zu schaden. | |
| Anhand der Umfrage zeige sich vor allem, was eine harte und eine weiche | |
| Mehrheit für den Klimaschutz sei, sagt dazu Aktivist Petznik. Aus seiner | |
| Sicht wären mehr Utopie und Hoffnung wichtig. Ihn stört die | |
| Endzeitrhetorik, der sich einige Klimagruppen zuwenden. „Es war nie die | |
| Stärke der Klimagerechtigkeitsbewegung, Angst zu schüren“, sagt Petznik. | |
| „Wenn wir uns von der Hoffnung trennen, macht Klimapolitik keinen Sinn | |
| mehr.“ | |
| Die Letzte Generation mache es mit ihrer Aktionsform sehr gut, inhaltlich | |
| aber leider sehr schlecht, glaubt Aktivist Felix, der seinen Namen | |
| ebenfalls nicht nennen will. Er ist seit mehreren Jahren bei dem | |
| kommunistischen Bündnis „… ums Ganze“ aktiv, das bei Ende Gelände | |
| mitmischt. Was dem antikapitalistischen Teil der Klimabewegung fehle, sei | |
| ein Angebot, das ähnlich disruptiv wirke. Man müsse die Aktionsform der | |
| eskalierenden Klimakatastrophe anpassen, sagt der Aktivist. Es bräuchte | |
| zukünftig eine Mischung verschiedener bekannter Taktiken. „Was französische | |
| Aktivist*innen kürzlich mit einem Zementwerk veranstaltet haben, ist | |
| ein gutes Beispiel“, so Felix. [5][Das Netzwerk „Aufstand der Erde“] sorg… | |
| mit etwa 200 Personen für Sachschaden in Millionenhöhe. | |
| An Zielen für Aktionen sieht die Klimabewegung in naher Zunkunft keinen | |
| Mangel. In München findet Anfang September erneut die Internationale | |
| Automobil-Ausstellung (IAA) statt. Dem Heiligsten der Deutschen, dem Auto, | |
| wollen die Aktivist*innen dort erneut den Kampf ansagen. Auf Rügen wird | |
| Ende September gegen die Baustelle des größten LNG-Terminals Europas | |
| demonstriert. | |
| Geht es nach der Gruppe „… ums Ganze“, wird bald der [6][Milliardär Elon | |
| Musk und dessen E-Autofabrik bei Berlin] Ziel der Klimabewegung. | |
| Verschiedene Themenfelder kämen hier zusammen, sagt Felix. Für eine | |
| Erweiterung des Werks wird ein Gaskraftwerk gebaut, das Grundwasser in der | |
| Lausitz leidet unter dem Projekt und die verwendeten Rohstoffe zeigen | |
| koloniale Kontinuitäten auf. | |
| Das Wichtigste sei, zu vermitteln, dass es keine Eindämmung der | |
| Klimakatastrophe im Kapitalismus geben könne, erklärt Felix. „Wir müssen | |
| verstehen, dass es im Globalen Norden durchaus auf materielle Einschnitte | |
| hinauslaufen wird“, sagt der Aktivist. Für diese Situation müsse man eine | |
| Lösung präsentieren, die solidarische Antworten jenseits der Festung Europa | |
| finde. Dafür schmieden Aktivist*innen verschiedener Gruppen eine | |
| Allianz. | |
| Die wichtigste Entscheidung in Hannover sei, dass die Diskussion | |
| weitergeführt wird, sagt Noor. Das Zusammenkommen zeige ihr, dass es einen | |
| Weg aus dem bestehenden System gebe. „In eine andere Welt, die wir gern | |
| hätten“, so Noor. Nach einer Woche endet das Camp in Hannover. Am letzten | |
| Abend schüttete es wie aus Kübeln. Trotzdem wird bis in die Nacht getanzt. | |
| 6 Aug 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Aktivisten-ueber-die-Letzte-Generation/!5926422 | |
| [2] https://www.ende-gelaende.org/wp-content/uploads/2023/07/Programm-System-Ch… | |
| [3] /Hannovers-Streit-um-Suedschnellweg-Ausbau/!5936224 | |
| [4] /Perspektiven-der-Klimabewegung/!5925371 | |
| [5] /Frankreich-verbietet-Umweltgruppen/!5942592 | |
| [6] /Tesla-Werk-in-Brandenburg/!5944940 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Trammer | |
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