| # taz.de -- 1,5-Grad-Ziel in Klimadebatte: Eine gefährlichere Welt | |
| > Der neue Chef des Weltklimarats hat nur scheinbar Entwarnung gegeben. | |
| > Eine Erderwärmung um 1,5 Grad führt zu vielen Problemen und sozialen | |
| > Spannungen. | |
| Bild: Ein Taifun sorgte für heftige Regenfälle und Überschwemmungen in Peking | |
| Manchmal machen Sätze Karriere, entwickeln ein Eigenleben, sind nicht mehr | |
| einzufangen. Der Klimaforscher Jim Skea hat vor Kurzem so einen Satz | |
| gesagt: „Die Welt wird nicht untergehen, wenn es um mehr als 1,5 Grad | |
| wärmer wird“, verkündete er in einem Interview mit dem Spiegel. Anlass war | |
| seine [1][Wahl zum Chef des Weltklimarats IPCC], der sozusagen als | |
| Goldstandard der Klimaforschung gilt. Wie eine Welle der Erleichterung | |
| schwappten die Worte durch die Schlagzeilen: „Wer ist der | |
| Anti-Panik-Professor?“, fragte die Bild. „Weltklima-Chef fordert Ende der | |
| Panikmache“, hieß es in der Berliner Zeitung. | |
| Die Marke 1,5 Grad hat Symbolwert: [2][Kleine Inselstaaten], die den | |
| eigenen Untergang im wortwörtlichen Sinne zu Recht befürchten, haben sie | |
| ins Pariser Weltklimaabkommen hineinverhandelt. Damit haben so gut wie alle | |
| Staaten versprochen, „Anstrengungen zu unternehmen“, damit die Erde im | |
| Schnitt nicht mehr als 1,5 Grad heißer wird als vor der CO2-intensiven | |
| Industrialisierung. | |
| Klappt das nicht, ist vielleicht nicht unmittelbar der Weltuntergang zu | |
| befürchten – ansonsten allerdings so einiges. „Die klimabedingten Risiken | |
| für natürliche und menschliche Systeme sind bei einer globalen Erwärmung um | |
| 1,5 Grad höher als heute“, heißt es in einem Sonderbericht des | |
| Weltklimarats von 2018, der sich mit dem 1,5-Grad-Ziel befasst hat. | |
| Konkreter: „Klimabedingte Risiken für Gesundheit, Lebensgrundlagen, | |
| Ernährungssicherheit und Wasserversorgung, menschliche Sicherheit und | |
| Wirtschaftswachstum werden laut Projektionen bei einer Erwärmung um 1,5 | |
| Grad zunehmen und bei 2 Grad noch weiter ansteigen.“ | |
| ## Wärmere Luft kann zu stärkeren Regenfällen führen | |
| Was das bedeuten könnte, darauf hat auch das Jahr 2023 schon einen | |
| Vorgeschmack gegeben. In Peking hat ein Tropensturm gerade zu | |
| sintflutartigen Fluten geführt, mehrere Menschen sind bereits gestorben, | |
| etliche werden vermisst. Zehntausende mussten die Stadt verlassen, um sich | |
| in Sicherheit zu bringen. Eine Studie, die den genauen Anteil des | |
| Klimawandels an dem Sturm bemisst, existiert noch nicht. Klar ist aber: | |
| Wärmere Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen, was Stürme und Regenfälle | |
| mächtiger macht. Und wärmer wird die Luft im Schnitt eben durch die | |
| Klimakrise. | |
| Das war zuletzt konkret auch in China der Fall. Anfang Juli hatte Peking | |
| noch neue Temperaturrekorde weit über 40 Grad gemeldet. Eine Studie der | |
| Forschungsinitiative World Weather Attribution war zu dem Schluss gekommen, | |
| dass der Klimawandel diese Extremhitze 50-mal wahrscheinlicher gemacht | |
| hatte. Und die Juli-Hitze, die derweil in Nordamerika und im Mittelmeerraum | |
| auftrat, wäre demnach sogar praktisch unmöglich gewesen, hätte der Mensch | |
| die Atmosphäre nicht mit Treibhausgas überlastet. Der Juli 2023 war im | |
| weltweiten Schnitt der heißeste Monat seit Beginn der | |
| Temperaturaufzeichnungen. | |
| Je nach Region führt das nicht unbedingt zu Tropenstürmen. Es treibt aber | |
| die Zahl der Hitzetoten in die Höhe. Da der Sommer noch nicht vorbei ist, | |
| gibt es keine abschließenden Zahlen, für das Jahr 2022 sind spanische | |
| Wissenschaftler:innen aber auf mehr als 60.000 Fälle für Europa | |
| gekommen. | |
| Außerdem begünstigt Hitze das Austrocknen des Bodens und damit auch das | |
| Ausbreiten von Waldbränden wie zuletzt in Griechenland. Die Brände haben | |
| Tote gefordert, [3][hunderte in die Evakuierung getrieben] und nebenbei die | |
| für viele Urlaubsinseln so wichtigen Tourismuseinnahmen einbrechen lassen. | |
| In Spanien haben Landwirt:innen vor enormen Ernteeinbrüchen durch den | |
| Wassermangel gewarnt. Knappere Lebensmittel und steigende Preise sind die | |
| Folge, was vor allem für arme Menschen und Länder zum Problem wird. | |
| ## Hitzewellen verändern Ökosysteme | |
| Zeitgleich in den USA: Der Ozean um die Florida Keys ist mehr als 38 Grad | |
| warm. Pflanzen und Tiere leben also in Badewannen-Temperatur, normal wären | |
| zu dieser Jahreszeit 23 bis 31 Grad. Die Hitzewelle ist ein besonderes | |
| Problem für sensible Ökosysteme wie Korallenriffe – aber potenziell auch | |
| für Menschen. Da schließt sich der Kreis: Die US-Wetterbehörde Noaa warnt, | |
| die extremen Temperaturen im Wasser könnten Tropenstürmen und Hurrikanen | |
| ein Übermaß an Energie verleihen. | |
| Derzeit liegt die Welt bei etwa 1,2 Grad Erderhitzung. Das heißt: Die | |
| Krisen, die der Klimawandel aktuell auslöst oder verschärft, sind | |
| mindestens das neue Normal – oder sogar eher eine milde Variante dessen, | |
| was noch zu erwarten ist. | |
| Auch der neue Weltklimaratschef Jim Skea will mit seiner Aussage, bei 1,5 | |
| Grad Erderwärmung gehe die Welt nicht unter, offenbar keine Entwarnung | |
| geben. „Es wird jedoch eine gefährlichere Welt sein“, ergänzte er den viel | |
| zitierten Satz. „Die Länder werden mit vielen Problemen kämpfen, es wird | |
| soziale Spannungen geben.“ | |
| Abgesehen davon sieht es derzeit absolut nicht so aus, als werde bei 1,5 | |
| Grad Erderhitzung Stopp sein. Dafür müssten sich die CO2-Emissionen bis | |
| 2030 weltweit halbieren und 2050 netto bei null liegen. Bislang steigen sie | |
| aber weiter. Aus technischer Sicht wäre es wohl möglich, das Ruder | |
| herumzureißen – aber Politik und Gesellschaft nutzen die Möglichkeiten | |
| nicht entsprechend. Zu dem Schluss kam Anfang des Jahres eine Studie | |
| interdisziplinärer Klimawissenschaftler:innen an der Uni Hamburg. | |
| Das Fazit: Das 1,5-Grad-Ziel sei „nicht plausibel“. | |
| Schon für die frühen dreißiger Jahre prognostiziert der Weltklimarat den | |
| Eintritt in die 1,5-Grad-Welt. Ein Hoffnungsschimmer: Theoretisch ist es | |
| möglich, sich von einer höheren Temperatur wieder zurückzuarbeiten. Dafür | |
| muss die Welt klimaneutral werden – und der Atmosphäre wieder Treibhausgas | |
| entziehen. | |
| 1 Aug 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Leitung-des-Weltklimarats/!5951632 | |
| [2] /Fidschi-Inseln-und-das-Klimaabkommen/!5411561 | |
| [3] /Waldbraende-in-Griechenland/!5947585 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Schwarz | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| IPCC | |
| Klimaforschung | |
| Zwei-Grad-Ziel | |
| Extremwetter | |
| Regen | |
| GNS | |
| Erneuerbare Energien | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Apokalypse der Woche | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Weltklima | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| 1,5-Grad-Ziel theoretisch noch erreichbar: Hoffnung durch Erneuerbare | |
| Die Ziele des Pariser Klimaabkommens sind noch in Sichtweite, die | |
| Erneuerbaren Energien wachsen schnell. Doch der Anstieg allein ist noch | |
| nicht genug. | |
| Optimismus in der Klimakatastrophe: Panik bringt auch nichts | |
| Der neue Vorsitzende des Weltklimarats hat Lust auf Kontroverse. Gut so. | |
| Wegen der Klimakatastrophe in Schockstarre zu verfallen, ist eh keine | |
| Lösung. | |
| Slowenien in der Flutkatastrophe: Unterstützung aus mehreren Ländern | |
| Ein Dammbruch, zerstörte Brücken und Straßen: Slowenien kämpft weiter mit | |
| Folgen des Starkregens. Die EU-Kommissionspräsidentin ist nun auch vor Ort. | |
| Klimacamp von Ende Gelände in Hannover: Aktionsform an Katastrophe anpassen | |
| Die Klimabewegung steckt in einer Krise. Aktivist:innen von Ende | |
| Gelände diskutieren über Strategien und tanzen bis tief in die Nacht. | |
| Geplante Nordsee-Bohrungen: Rishi Sunaks fossiler Wahnsinn | |
| Öl und Gas sind saubere Energiequellen? Fossile Kraftstoffe gehören zur | |
| Klimaneutralität? Der britische Premier hat außergewöhnliche Ideen. | |
| Waldbrände in Griechenland: Das Ende der Entspannung | |
| Die Brände auf den griechischen Inseln haben fatale Folgen für Natur und | |
| Wirtschaft des Landes. Aber für danach hat die Regierung große Pläne. | |
| Hitzewelle ist menschengemacht: Anpassen und Emissionen senken | |
| Extremtemperaturen und Hitzetode werden häufiger. Umso wichtiger sind | |
| Warnsysteme, ein Umbau der Städte – und die Reduktion des CO2-Ausstoßes. | |
| Klimakrise bedroht Lebensräume: Eine Insel der Hoffnung | |
| Wer muss für die Klimakatastrophe zur Rechenschaft gezogen werden – und | |
| wie? Die Menschen des Pazifikstaats Vanuatu drängen auf Antworten. |