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# taz.de -- Proteste gegen Justizreform in Israel: „Wir können das Land lahm…
> Israel steuert auf eine Verfassungskrise zu, sagt Yiftach Golob von
> Brothers and Sisters in Arms. Aber Golob glaubt an die Stärke der
> Protestbewegung.
Bild: Eine Straßenblockade am 24. Juli vor dem Parlament in Jerusalem
taz: Herr Golob, Sie sind mit der Protestbewegung Brothers and Sisters in
Arms seit mehr als einem halben Jahr auf der Straße gegen die sogenannte
„Justizreform“ der Regierung. Wie groß war am Montag Ihr Schock, dass die
Regierung in einem ersten Schritt [1][die „Angemessenheitsklausel“
tatsächlich abgeschafft] hat?
Yiftach Golob: Es war vorherzusehen. Und es ist auch das Beste, was der
Protestbewegung in Israel passieren konnte.
Was meinen Sie damit?
Die Regierung hat den ersten Schritt ihrer Salamitaktik durchgezogen. Nun
können sie nicht mehr die leere Terminologie verwenden, auf die sie immer
zurückgreifen. Sie haben der Welt und den Israelis gezeigt, dass sie nur
ein Ziel haben, nämlich die gerichtliche Kontrolle und die Gewaltenteilung
auszuhebeln.
Sie sind einer von mehr als 10.000 Reservist*innen, die nun den
Militärdienst angesichts des Demokratieabbaus verweigern wollen.
Ja, ich habe in einer Spezialeinheit gedient und bin nun Teil dieser großen
Protestbewegung „Waffenbrüder und -schwestern“. Der Grund, weshalb wir
weiter als Reservisten gedient haben oder dienen, sei es in der Luftwaffe,
bei den Marines oder in der Armee, ist, dass wir auf die in der
Unabhängigkeitserklärung verankerten Werte geschworen haben. Diese Werte
sind die Grundlagen Israels: Demokratie, Bürgerrechte, Gleichheit und
Freiheit. Wir sind derzeit an einem sehr sensiblen Punkt und sehr wachsam,
was die Konsequenzen unseres Handelns angeht. Aber wir sind uns auch der
Tatsache bewusst, dass wir als Patrioten Israels immer an vorderster Front
stehen, um Israel und die Demokratie zu verteidigen, so wie wir es in der
Vergangenheit getan haben und einige von uns es immer noch tun. Wir müssen
verstehen, dass Israel jetzt gerade mit genau den gleichen Themen
konfrontiert ist wie in Ungarn und Polen.
Die Protestbewegung hatte bislang großen Einfluss auf den israelischen
Staatsumbau und sie hat ihn signifikant verzögert. Und doch: Diesen ersten
Teil der Justizreform konnte sie nicht aufhalten. Müssen Sie ihre Strategie
ändern?
Sie werden verstehen, dass ich unsere Strategie hier nicht genauer erklären
kann. Denn wir haben es mit einem Feind zu tun. Leider ist dies die
richtige Terminologie. Menschen in der ganzen Welt müssen verstehen, dass
die Regierung in dem Moment, in dem sie die Angemessenheitsklausel
abgeschafft hat, illegitim geworden ist. Was passiert jetzt? Machen Sie
sich auf eine sehr lange Reise gefasst. An der werden Hunderte von
Nichtregierungsorganisationen beteiligt sein: wir, die Waffenbrüder- und
-schwestern, Unternehmen, die Wissenschaft. Und dann blicken wir noch mal
auf die USA und auf Europa. Israel wird nicht der Finsternis anheimfallen,
wie wir es anderswo gesehen haben, etwa in [2][Polen], [3][Ungarn],
Argentinien und der [4][Türkei].
Was macht Sie da so sicher?
Israel steuert auf eine Verfassungskrise zu. Aber Israel ist in einigen
Aspekten einzigartig. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Stärke des
israelischen Militärs mit der wirtschaftlichen Kraft als Start-up-Nation
zusammenhängt, genauso wie mit einer unabhängigen Wissenschaft. Diese drei
Bereiche hängen voneinander ab – und dieselben Leute halten sie am Laufen.
Die derzeitige Regierung mit ihren Ministern, die oft nicht im Militär
gedient haben, die an religiösen Schulen studiert haben, sind das genaue
Gegenteil. Wenn wir – also die Vertreter*innen von Wirtschaft, Militär
und Wissenschaft – beschließen, dass wir das Land lahmlegen werden, dann
werden wir es lahmlegen.
Es ist immer wieder von einem drohenden Bürgerkrieg die Rede. Sehen Sie den
kommen?
Ich denke, genau das will die Regierung. Sie will Blut auf den Straßen.
Aber das Problem der jetzigen Regierung ist, dass alle Menschen, die in den
Einheiten der Armee gedient haben, die Stärke Israels ausmachen. Die
israelische Armee ist wirklich eine des Volkes, der ganzen Bevölkerung. Der
Ministerpräsident in Israel kontrolliert die Armee nicht, sie ist fast
völlig unabhängig. Und der Militärchef, der Chef des Inlandsgeheimdienstes
und des Mossads haben eine sehr klare Erklärung abgegeben, dass sie auf der
„richtigen Seite“ stehen werden bezüglich der Justizreform. Auch wenn also
die Regierung alles tut, um Israel in einen Bürgerkrieg zu stürzen, ich
sehe es nicht kommen.
25 Jul 2023
## LINKS
[1] /Israel-billigt-Teil-der-Justizreform/!5946231
[2] /Polens-Regierung-in-der-Kritik/!5936085
[3] /Proteste-gegen-Orban/!5944563
[4] /Oppositionspartei-HDP-in-der-Tuerkei/!5934587
## AUTOREN
Judith Poppe
## TAGS
Israel
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