# taz.de -- Parkplatzfragen und Zeitenwandel: Alter Jammer, neuer Jammer | |
> Es ist doch noch gar nicht so lange her, dass die Städte nicht voller | |
> Autos standen. Warum tun wir so als wüssten wir nicht, dass Dinge sich | |
> ändern? | |
Bild: Leinewehr und ein kleines bisschen Industrieromantik: Hier stand früher … | |
Bei dieser [1][Debatte um die Superblocks] musste ich wieder an einen alten | |
Dokumentarfilm denken, über den ich im Zuge einer anderen Recherche | |
gestolpert bin. Der zeigt [2][das alte Arbeiterviertel bei der | |
Wollwäscherei in Döhren], den Jammer, dem damals der Abriss drohte. | |
Er beginnt mit einem sehr langen Blick auf eine der Straßen, man hört einen | |
Hahn krähen und Haustüren klappen, aus denen Menschen in Schlaghosen oder | |
Anzügen treten, mit abgewetzten Aktentaschen, wie sie sich zu Fuß oder mit | |
dem Fahrrad auf den Weg zur Arbeit machen. | |
Und eine Sache, die sofort auffällt, wenn man den Film mit heutigen Augen | |
sieht: Wie anders diese Straßenzüge aussehen, weil nur ganz vereinzelt, in | |
weitem Abstand voneinander, Autos parken, obwohl dort damals viel mehr | |
Menschen gelebt haben als heute. | |
Der Film ist von 1978. 45 Jahre später hält man es für selbstverständlich, | |
quasi für ein Naturgesetz, dass beide Straßenränder durchgehend zugeparkt | |
sind, und streitet erbittert um jeden Parkplatz, der wegzufallen droht. | |
## Werksparkplätze stehen halb leer | |
Mein Großvater und mein Urgroßvater sind anfangs auch noch mit dem Fahrrad | |
zur Arbeit im Continentalwerk in Stöcken gefahren. Wenn Schichtwechsel war, | |
spuckten die Werkstore von Conti und VW Heerscharen von Fußgängern und | |
Radfahrern aus. Erst später baute man riesige Parkplätze und Parkhäuser um | |
die Werkshallen herum, weil immer mehr Arbeiter sich ein Auto leisten | |
konnten. | |
Heute sieht man die riesigen zubetonierten Flächen im Vorbeifahren zu | |
weiten Teilen leer stehen – nicht weil wieder mehr Fahrrad gefahren wird, | |
sondern weil sich die Anzahl der Arbeiter in den letzten 20 Jahren so | |
dramatisch reduziert hat. | |
Das gehört zu den Punkten, die mir an den [3][Verkehrswende]- und | |
Heizungsdebatten so seltsam erscheinen: Dass immer so getan wird, als wäre | |
das alles ein Angriff auf den eigenen Lebensentwurf (aus reiner | |
Boshaftigkeit, nicht aus Notwendigkeit); als gäbe es ein Menschenrecht | |
darauf, dass alles immer so bleibt, wie es ist, wie man es jetzt gerade | |
gewohnt ist. | |
## Ein Stück verschwundene Arbeiterkultur | |
Dieser langsame, schwarz-weiße Dokumentarfilm dokumentiert ein Stück | |
Arbeiter- (und Gastarbeiter-)Kultur, das damals schon im Verschwinden | |
begriffen war. Kinder, die auf der Straße spielen, Frauen in Kitteln, die | |
unermüdlich irgendetwas waschen, putzen und wienern, Männer, die im Garten | |
werkeln, gemeinsame Essen und Skatrunden vor der Haustür. | |
Was alles nicht so romantisch ist, wie es jetzt vielleicht klingt: Man kann | |
auch den Muff riechen und die Verbitterung, die Müdigkeit und diese | |
spezielle Spracharmut, Nuscheln und Achselzucken und „Was soll ich denn | |
sagen?“, die einsilbigen und reduzierten Antworten auf die Fragen der | |
Dokumentarfilmer, bis allenfalls ein paar Bier und Schnäpse die Zungen | |
lösen. | |
Wir hatten auch Verwandte in dieser Ecke, die kenne ich aber nur von | |
vergilbten Fotos und aus den Erzählungen meiner Oma. In meiner Erinnerung | |
wimmelte es darin von Witwen, die plötzlich ein Dutzend Mäuler alleine | |
stopfen mussten. | |
## Die alte Zeit war selten gut | |
Auch deshalb hat sie mir immer gepredigt: „Mach’ dich nicht abhängig von | |
einem Mann“, lange bevor Scheidungen ein Thema waren. Nicht weil sie eine | |
große Feministin war: In ihrer Welt kamen einem die Männer anders abhanden, | |
die „blieben im Krieg“ oder waren zerstört, wenn sie wiederkamen, sie | |
starben an heute behandelbaren Krankheiten oder bei Arbeitsunfällen. | |
Am Montag ist sie 94 Jahre alt geworden. Von außen betrachtet hat sie ein | |
gutes, ruhiges Leben geführt: Fast ein ganzes Leben lang im gleichen Haus | |
gewohnt, bei stetig steigendem Komfort, mit einem in den | |
[4][Wirtschaftswunderjahren] erarbeiteten, bescheidenen Wohlstand. | |
Gleichzeitig hat sich die Welt um sie herum, in einem Ausmaß und einem | |
Tempo verändert, wie kaum zuvor in der Geschichte. Die Erinnerung an „die | |
schlechte Zeit“ hat sie nie verlassen – genauso wenig wie das Bewusstsein, | |
dass am Ende nichts so bleibt, wie es einmal war. | |
28 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Verkehrsberuhigung-durch-Stadtplanung/!5947088 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=Qqjkggg7Da4 | |
[3] /Studie-zu-Autos-in-der-Stadt/!5945157 | |
[4] /60-Jahre-ZDF/!5922942 | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
## TAGS | |
Kolumne Provinzhauptstadt | |
Hannover | |
Industrie | |
Mobilität | |
Alltagskultur | |
Arbeiterklasse | |
Arbeiter | |
Kolumne Provinzhauptstadt | |
Rot-Grün Hamburg | |
Kolumne Provinzhauptstadt | |
Kolumne Provinzhauptstadt | |
Kolumne Provinzhauptstadt | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bedeutungsschwere Satzzeichen: Anschreizeichen sind keine Diagnose | |
Immer geht es nur um Sternchen. Dabei gäbe es doch auch zu Ausrufezeichen | |
und Semikola einiges zu sagen. | |
Scan Cars in Hamburg: Mehr Scan, mehr Geld | |
Hamburg möchte mit „Scan Cars“ Falschparkende überführen. Davon erhofft | |
sich die Stadt mehr Einnahme, doch die Datenschutzbehörde hat Vorbehalte. | |
Das unterschätzte Genre der Anwohnerklage: Zumutung Schattenparken | |
Anwohnerklagen bieten ganz viel Drama. Das Verwaltungsgericht Hannover | |
beschäftigt sich zum Beispiel mit Schattenparkplätzen und Studentenlärm. | |
Mal wieder Ärger ums Schützenfest: Woke Schützen mit silbernen Krallen | |
Da redet dieser Ratsmensch von „bewaffneten Trachtenvereinen“ und | |
„Saufkapellen“ – dabei wollten die Schützen doch endlich mal alles richt… | |
machen. | |
Dreimal desaströse Politik in Hannover: So geht kurzsichtig | |
In Hannover versucht man, sich zu Obdachlosigkeit, Ladendieben und „Clans“ | |
zu verhalten. Im Fokus ist mal wieder das Sicherheitsempfinden der Bürger. | |
Rassistisches Logo geändert: No Logo, no Aufschrei | |
Der hannoversche Kaffeeröster Machwitz hat ganz leise sein Logo geändert. | |
Das ist doch besser als das peinliche PR-Getrommel rund ums | |
"Schwarzfahren". |