# taz.de -- Einbürgerung von staatenlosen Menschen: „Staatenlose sind nicht … | |
> Das neue Staatsbürgerrecht ist die Chance, etwas für staatenlose Menschen | |
> zu tun, sagt Aktivistin Christiana Bukalo. Noch sind sie nicht mal | |
> erwähnt. | |
Bild: Aktivistin für Staatenlose und selbst staatenlos: Christiana Bukalo | |
taz: Frau Bukalo, mit Ihrer Organisation Statefree veranstalteten Sie | |
kürzlich einen Dinnerabend, bei denen Staatenlose mit | |
Bundestagsabgeordneten zusammenkamen. Was wollen Sie damit erreichen? | |
Christiana Bukalo: Staatenlose Menschen sind gesellschaftlich so | |
marginalisiert, dass sie praktisch gar nicht sichtbar sind. Selbst wenn das | |
Thema Staatenlosigkeit eine Rolle spielt, wird meist über die Betroffenen | |
gesprochen, aber nicht mit ihnen. Das ist so, als ob nur Männer mit dem | |
Thema Geschlechtergerechtigkeit befasst wären. Wir wollen Staatenlose ins | |
Zentrum stellen – sie sollen selbst für ihre Anliegen sprechen. | |
Das gelingt mit einem Abendessen? | |
Wir erhoffen uns dadurch eine Art Entmystifizierung – sowohl für | |
Politiker*innen als auch für Staatenlose. Staatenlosen erscheint | |
Politik oft als etwas Undurchdringliches, Machtvolles. Viele haben den | |
staatlichen Apparat bisher nur als ablehnend und ausschließend erlebt. Wir | |
wollen zeigen, dass hinter diesem System Politiker*innen und somit | |
auch nur Menschen sind. | |
Und inwiefern brauchen Politiker*innen eine „Entmystifizierung“? | |
Den Politiker*innen wiederum wollen wir die realen Probleme | |
nahebringen, die sich für Betroffene hinter dem vermeintlich abstrakten | |
Thema Staatenlosigkeit verbergen. Die Abgeordneten sollen die | |
Lebensrealität dieser Menschen kennenlernen. Das ist auch deshalb wichtig, | |
weil Staatenlosen mit der Neuregelung des deutschen Staatsbürgerrechts | |
jetzt konkret geholfen werden könnte. | |
Der [1][aktuelle Gesetzentwurf] aus dem Bundesinnenministerium sieht | |
schnellere Einbürgerungen sowie Sonderregelungen für Menschen aus der | |
Gastarbeitergeneration vor. | |
Das Gesetz enthält eine Menge guter Ideen, aber Staatenlose sind hier | |
bisher nicht berücksichtigt. Um ihnen eine Einbürgerung in Deutschland zu | |
ermöglichen, muss Staatenlosigkeit klar im Gesetz benannt werden. Obwohl | |
Deutschland sich völkerrechtlich zum Schutz von staatenlosen Menschen | |
verpflichtet hat, sind sie im Staatsangehörigkeitsgesetz nicht sichtbar. | |
Hier stellt sich die Frage: Wie schützt man eine Bevölkerungsgruppe, die | |
man nicht mal klar benennt? | |
Welche konkreten Regelungen wären aus Ihrer Sicht nötig? | |
Staatenlose Kinder, die in Deutschland geboren werden, müssten direkt das | |
Recht auf Einbürgerung erhalten. Im Moment ist das nicht der Fall. Häufig | |
wird die Staatenlosigkeit an die nächste Generation weitergegeben. Auch für | |
staatenlose Menschen, die bereits erwachsen sind, aber im Kindesalter nach | |
Deutschland kamen oder hier geboren wurden, muss es Erleichterungen bei der | |
Einbürgerung geben. Diese Menschen leben teilweise seit Jahrzehnten hier. | |
Das muss anerkannt werden. | |
Staatenlosigkeit vererbt sich? | |
Von den rund 126.000 Staatenlosen, die in Deutschland leben, sind etwa | |
36.000 hier geboren und haben die Staatenlosigkeit gewissermaßen geerbt. | |
Das hat auch damit zu tun, dass in Deutschland Kinder von staatenlosen | |
Eltern meist automatisch als staatenlos oder mit einer „ungeklärten | |
Staatsangehörigkeit“ registriert werden. Viele von ihnen leben bereits ihr | |
ganzes Leben hier und erfüllen eigentlich alle Anforderungen für die | |
Einbürgerung. Trotzdem wird ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit | |
verwehrt. Das ist besonders ungerecht. Wer ist denn deutsch, wenn nicht | |
diese Kinder, die hier geboren sind und ihr ganzes Leben hier gelebt haben, | |
ohne jemals eine Bindung zu einem anderen Staat zu haben? | |
Wie kommt es, dass die Eltern staatenlos sind? | |
Es gibt viele unterschiedliche Gründe. Manche Länder haben bestimmte | |
Gruppen gezielt aus dem Gesetz ausgeschlossen. So hat es etwa Myanmar mit | |
den Rohingya, einer muslimischen Minderheit, in den 1990er Jahren gemacht. | |
Ähnlich war es in Deutschland im Zweiten Weltkrieg, als jüdische Menschen, | |
Sinti und Roma ausgebürgert wurden. Dann gibt es den Fall, dass Staaten | |
scheitern oder sich auflösen, wie es mit Teilen der Sowjetunion oder in | |
Somalia geschah. Da fielen Menschen durchs Raster, kein Staat fühlte sich | |
mehr für sie verantwortlich. Ähnlich ergeht es teils Menschen aus Gebieten, | |
die international nicht als Staat anerkannt sind, wie Palästina oder | |
Westsahara. In bestimmten Staaten gibt es aber auch diskriminierende | |
Gesetze, nach denen die Mutter ihre Staatsbürgerschaft nicht an ein Kind | |
weitergeben kann. Wenn der Vater unbekannt ist oder sich nicht zum Kind | |
bekennt, ist das Kind dann staatenlos. Und auch in Staaten mit fehlerhafter | |
Geburtenregistrierung werden Kindern manchmal einfach keine Papiere | |
ausgestellt. Auch sie rutschen dann oft in die Staatenlosigkeit. | |
Was bedeutet das für Betroffene? | |
Viele essenzielle Rechte sind an die Staatsbürgerschaft geknüpft. Wer | |
staatenlos ist, kann meist nicht ins Ausland reisen, darf nicht wählen und | |
hat oft Schwierigkeiten beim Heiraten. Staatenlosigkeit bringt aber auch | |
ganz viele kleinere Probleme mit sich. Ohne Ausweis wird es etwa schon | |
schwierig, Post in der Filiale abzuholen oder ein Konto zu eröffnen. Für | |
Kinder bedeutet eine fehlende Staatsbürgerschaft besonders viele | |
Schwierigkeiten. Sie können nicht an Schulausflügen teilnehmen, haben | |
später oft Probleme, Bafög zu erhalten. Das frisst sich durch das ganze | |
Leben. | |
Würde eine Änderung des Staatsbürgerrechts nach Ihren Vorschlägen die | |
Probleme der Staatenlosen in Deutschland lösen? | |
Nicht alle, aber sehr viele. Ein wichtiger zusätzlicher Schritt wäre es, | |
geregelte Verfahren zur Anerkennung der Staatenlosigkeit in den deutschen | |
Behörden zu etablieren. Es ist oft sehr schwer nachzuweisen, dass man | |
staatenlos ist. Wie beweist man, etwas nicht zu haben? Daran scheitern | |
regelmäßig auch Anwält*innen. Bisher werden viele Staatenlose deshalb gar | |
nicht als solche registriert, sondern landen bei den Ämtern in der | |
Kategorie „ungeklärt“. Und in diesem Status bleiben viele gefangen. Oft | |
haben sie einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung, schaffen aber den | |
Sprung in die deutsche Staatsbürgerschaft nie, weil sie ihre | |
Staatenlosigkeit nicht klar nachweisen können. | |
Welchen Beitrag kann eine Organisation wie Statefree leisten? | |
Staatenlos zu sein ist eine sehr isolierende Erfahrung. Angefangen haben | |
wir deshalb als ein Online-Forum für Betroffene. Mittlerweile hat sich | |
unsere Arbeit stark erweitert, wir arbeiten nicht nur an einer Community, | |
sondern auch an der Sichtbarkeit und Gleichberechtigung von Staatenlosen. | |
Durch Podcasts, Ausstellungen und andere Veranstaltungen bringen wir das | |
Thema in die Öffentlichkeit. Gleichberechtigung wollen wir erreichen, indem | |
wir Gesetzesänderungen anstoßen und unsere Expertise anbieten. Wir können | |
uns zum Beispiel gut vorstellen, bei der Entwicklung eines effektiven | |
Anerkennungsverfahrens mitzuhelfen. | |
Sehen Sie eine Chance, dass die Ampelkoalition die Gesetzeslage jetzt | |
tatsächlich verbessert? | |
Ich hoffe, dass die Ampel die Chance nutzt, das neue | |
Staatsbürgerschaftsgesetz noch so zu verändern, dass es auch Staatenlose | |
inkludiert. Ein Gesetz über so etwas Fundamentales wie die | |
Staatsbürgerschaft wird ja nicht alle Tage geändert. Das ist für | |
Deutschland jetzt die Chance auf dem Silbertablett, im internationalen | |
Vergleich endlich aufzuholen und etwas für Staatenlose zu tun. | |
14 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Frederik Eikmanns | |
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