# taz.de -- Kulturfestival zur Lage in Afghanistan: In ihnen brennt Kabul | |
> Das Projekt „Goethe-Institut im Exil“ rückte am Wochenende mit einem | |
> Kulturfestival Afghanistan in den Mittelpunkt. Die Lage im Land ist | |
> desaströs. | |
Bild: Das mittlerweile geschlossene Goethe-Institut in Kabul | |
Zwei Jahre ist es her, [1][dass die internationalen Truppen aus Afghanistan | |
abzogen]. Bilder [2][vom Kabuler Flughafen zeugten von ungeheurem Chaos], | |
von Panik, die die Menschen vor Ort angesichts der Machtübernahme der | |
Taliban ergriff. Stetig hatte die islamistische Terrorgruppe Provinz für | |
Provinz zurückerobert. Kabul fiel in wenigen Stunden. Seitdem ist | |
weltpolitisch viel passiert. | |
Damit Afghanistan und seine über 40 Millionen Bewohner:innen nicht ins | |
Vergessen geraten, machte am Wochenende ein Kulturfestival in Berlin auf | |
die desaströse Lage im Land aufmerksam: Das Goethe Institut widmet seinen | |
dritten Schwerpunkt [3][des Projekts „Goethe-Institut im Exil“ nach der | |
Ukraine] und Iran nun Afghanistan. Kulturschaffende, die das Land am | |
Hindukusch verlassen mussten, [4][geben im Berliner Kunsthaus Acud] fortan | |
bis Ende des Jahres mit Filmvorführungen, Lesungen, Konzerten und | |
Diskussionsrunden Einblick in ihre Arbeit. | |
„Seit 40 Jahren herrscht in Afghanistan Krieg“, sagt Ibrahim Hotak, der das | |
Kabuler Büro des Goethe-Instituts bis 2019 leitete und zusammen mit | |
Armeghan Taheri und Olga Sievers das Festival kuratiert, bei dessen | |
Eröffnung. Dieser Krieg verschlinge astronomische Summen, dabei gehöre der | |
Staat zu den ärmsten Ländern der Welt. In den letzten 20 Jahren nach | |
Vertreiben der Taliban sei die afghanische Literatur vielstimmig geworden, | |
Kino und Theater konnten sich entwickeln. Gearbeitet habe man jedoch unter | |
schwierigen Bedingungen, sagt Hotak und erzählt von einem | |
Selbstmordattentat bei einer Theateraufführung, zu der Hotak aufgrund des | |
stockenden Kabuler Verkehrs zu spät erschien. | |
Gewalt ist stets präsent in der Kultur Afghanistans. So trägt die | |
Schriftstellerin Muzghan Schaffa am Freitagabend ihr Gedicht „Bamiyan und | |
sein Buddha“ vor. „In mir brennt Kabul“, heißt es darin, und: „Ich bin… | |
Geräusch von Raketen und Mörsern.“ Traurige Aktualität hat heute wieder ein | |
Musikvideo von 2003. In „Burka Blue“, das im Acud auf einem Bildschirm im | |
Hof flimmert, musizieren drei vollverschleierte Frauen – zumindest nimmt | |
man das an, denn wie die [5][Burka Band, die erste Girlgroup Afghanistans,] | |
über krachende Schlagzeugbeats trocken anmerkt, könnte sich unter dem | |
weiten blauen Tuch auch der Onkel oder Großvater verstecken. | |
## Armut und niederschmetternde Stimmung | |
Seit der erneuten Machtübernahme der Taliban 2021 ist die humanitäre Lage | |
im Land verheerend. Schätzungen zufolge leben 97 Prozent der | |
Afghan:innen unterhalb der Armutsgrenze. Die Stimmung im Land sei | |
niederschmetternd, selbst die Tiere seien depressiv, sagt bei einer | |
Diskussionsrunde die Schauspielerin und Menschenrechtlerin Malalai Zikria. | |
Seit ihrer Kindheit lebt sie in Frankreich, besucht Afghanistan jedoch | |
regelmäßig. | |
Die unter der Vorgängerregierung im Land grassierende Korruption, die sie | |
anspricht, hat auch den neben ihr sitzenden Kabir Mokamel beschäftigt. Der | |
afghanisch-australische Künstler hatte 2015 begonnen, zusammen mit | |
Freiwilligen die weiß strahlenden Sicherheitsmauern in Kabul zu bemalen; | |
zunächst mit Motiven, die Korruption beklagten, später mit Bildern, die das | |
geschundene Land einen sollten. Mit der Rückkehr der Taliban verschwanden | |
freilich auch die Wandbilder. | |
Die Diskussion wird hitzig an diesem Samstagmorgen. Spätestens als Zikria | |
auf den afghanischen Film zu sprechen kommt, der, unter den Taliban | |
weiterlebend, die Grenzen des Erlaubten ausloten müsse. Als Beispiel nennt | |
sie Iran, wo es Filmemacher:innen auch unter den Mullahs möglich sei, | |
Filme zu produzieren. Ob sie vorschlage, Filme über den Dschihad zu | |
drehen?, fragt ein Mann im Publikum sarkastisch. Von einer Annäherung an | |
die Taliban möchte im Saal keiner etwas wissen, scheint es. Immer lauter | |
werden die kaum mehr simultan zu übersetzenden Rufe der großteils | |
afghanischen Zuschauer:innen. Einige verließen unter gefährlichen Umständen | |
vor knapp zwei Jahren Afghanistan. | |
Sie mache es wütend, wenn Menschen, die in der Diaspora leben, das | |
Taliban-Regime verharmlosen, sagt Faiqa Sultani nach der Diskussion im | |
Gespräch mit der taz. Die Künstlerin und Fotografin erzählt von den drei | |
Tagen, die sie mit ihrer Familie im Gefängnis ausharren musste, von der | |
Gewalt, die ihrem Mann dort vor ihren Augen angetan wurde, bevor sie im | |
November 2021 nach Deutschland fliehen konnte. Millionen von Mädchen und | |
Frauen würden unterdrückt, könnten weder arbeiten noch zur Schule gehen. | |
Menschenrechte, sagt Sultani, gelten in Afghanistan nicht. Gerechtigkeit | |
werde es unter den Taliban schlichtweg nicht geben. | |
3 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Taliban-uebernehmen-Afghanistan/!5789645 | |
[2] /Tragische-Szenen-am-Flughafen-Kabul/!5793857 | |
[3] /Festival-Goethe-Institut-im-Exil/!5883774 | |
[4] https://acudmachtneu.de/events/1989/festival-goethe-institut-in-exile-afgha… | |
[5] /Benefiz-Album-fuer-afghanische-Frauen/!5927945 | |
## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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