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# taz.de -- Kinderbuchautorin aus Afghanistan: Geschichten für die nächste Ge…
> Naeema Ghani floh nach der Rückkehr der Taliban aus Kabul nach Berlin.
> Heute ist sie eine der bekanntesten afghanischen Kinderbuchautorinnen.
Bild: Die Kinderbuchautorin Naeema Ghani in Berlin
Ein afghanisches Mädchen überzeugt ihren Vater, ihr auf dem Basar ein Paar
rote Stiefel zu kaufen. Sie sind ihr viel zu klein, aber ihre Entscheidung
steht. Und so muss das Mädchen trotz der Schmerzen in den Füßen den Winter
in diesen Stiefeln durchstehen. Für sie heißt das aber nicht, dass sie
unter einer Fehlentscheidung leidet. Im Gegenteil: Die Entscheidung selbst
gefällt zu haben, heißt für sie Freiheit. Auch, wenn jeder Schritt
schmerzt, trägt sie ihre roten Stiefel mit Stolz.
So die verkürzte Handlung einer der ersten Erzählungen, die Naeema Ghani
geschrieben hat: „Rote Stiefel“. Das Mädchen in der Geschichte, das sei sie
gewesen, erzählt sie. Heute ist sie eine der bekanntesten afghanischen
Kinderbuchautorinnen.
„Ich habe spät mit dem Schreiben angefangen, erst vor etwa 15 Jahren“, sagt
sie. „Ich dachte mir, ich muss jetzt meine eigenen Erfahrungen
aufschreiben.“ Damals war sie Mitte zwanzig, lebte in Afghanistan und
arbeitete als Lehrerin, brachte Schülerinnen das Lesen und Schreiben bei.
Beim Erzählen wirkt Ghani zurückhaltend, höflich, fast schüchtern. Dabei
bietet ihre Geschichte eher Anlass, vor Wut zu schreien. Geboren wurde sie
1983 in der Provinz in der Nähe von Kabul, später lebte sie dann vor allem
in der afghanischen Hauptstadt.
„Ich bin im Krieg aufgewachsen“, sagt sie. Russland, Bürgerkrieg zwischen
den verschiedenen Mudschaheddin – islamistische Gruppierungen, die in
Afghanistan um die Macht kämpften, Nato … „Das Leben im Krieg ist nicht
einfach, egal, ob Mann oder Frau. Doch für afghanische Mädchen gibt es
besonders viele Beschränkungen. Sei es, was Schule, Studium und auch
Bekleidung angeht.“
Keine Schule in der Provinz
Dass Ghani erst so spät mit dem Schreiben begann, liegt daran, dass ihre
Familie während des Bürgerkriegs in den 1990er Jahren zwischen
verschiedenen dschihadistischen Gruppen in die Provinz musste, wo es keine
Schule gab. Dann kam die Zeit des Nato-Einsatzes. „In den Großstädten gab
es viele Möglichkeiten, zu lernen, sich weiterzubilden, zu arbeiten. In den
Dörfern aber herrschte Krieg. Nato gegen Taliban“, sagt Ghani.
Vor drei Jahren dann der unerwartet schnelle Abzug der Truppen. Am 15.
August 2021 hatten die Taliban ohne viel Kampf Kabul eingenommen,
Afghanistan (wieder) unter Kontrolle. Tausende Menschen flohen. Ghani blieb
erst mal, blieb aktiv.
Sie unterrichtete weiter. Zwar nicht mehr die Schülerinnen ab der 7.
Klasse, für sie war es nun verboten, zur Schule zu gehen, aber die
jüngeren. Sie sprach mit verschiedenen Medien, war Teil einer Gruppe, bei
der die Männer sogar Verhandlungsversuche mit den Taliban starteten, damit
Mädchen wieder zur Schule durften. Vergeblich.
Im Juni 2022 musste auch Ghani ihr Heimatland verlassen, mit ihrem
Engagement brachte sie ihre ganze Familie in Gefahr. Über bestehende
Kontakte zum Goethe-Institut floh sie nach Deutschland und lebt heute
zusammen mit ihrer Schwester in Berlin.
Ganz wichtig ist ihr, die Sprache zu lernen. „Ist die deutsche Sprache
schwer! Aber ich denke, dass ich es schaffen kann.“ Sie lacht. Im Gespräch
ist trotzdem eine Dolmetscherin zugeschaltet, die vom Deutschen ins
Paschtunische, eine der zwei Amtssprachen Afghanistans, übersetzt und vice
versa. „Ich bin sehr froh, in Deutschland zu sein. Ich habe hier mehr
Möglichkeiten, Geschichten über mein Land zu schreiben und von den
Erfahrungen anderer Schriftsteller zu lernen.“ Ihre Erzählungen schreibt
die Autorin auch auf Paschtu.
## Vernetzung untereinander
Dass diese im westlichen Raum gelesen werden können, hat sie vorrangig der
britischen Initiative Untold Narratives zu verdanken. Diese arbeitet daran,
am Rand stehende Schriftsteller:innen Sichtbarkeit zu verleihen. Unter
anderem verlegen sie Ghanis Geschichten und vernetzen [1][afghanische
Schriftstellerinnen].
„Die Übersetzer bei Untold Narratives, die unsere Geschichten ins Englische
übersetzen, verstehen nicht nur unsere Muttersprache, sondern auch den
kulturellen Aspekt. Das ist so wichtig“, sagt Ghani. Dieses Jahr ist im
Rahmen des Projekts unter anderem „My Dear Kabul“ erschienen, ein
kollektives Tagebuch afghanischer Frauen während des Falls von Kabul.
Eine weitere Kurzgeschichte Ghanis erschien ebenfalls über Untold
Narratives als Teil der Anthologie „My Pen Is the Wing of a Bird“. Dass ihr
Stift wie der Flügelschlag eines Vogels sein kann, ist für Ghani nicht nur
eine Floskel: „Als ich Kind war, gab es kaum [2][Kinderliteratur]. Ich
dachte, wenn ich schreibe, dann hat vielleicht die nächste Generation gute
Geschichten.“
Ob man Naeema Ghanis Bücher noch in Afghanistan zu lesen bekommt, ist
fraglich. Die Taliban haben viele Bücher auf schwarze Listen gesetzt. Vor
allem diejenigen, [3][die Mädchen dazu animieren könnten, sich zu
emanzipieren], zur Schule gehen zu wollen.
Ghani wünscht sich, dass ihre Erzählungen auch bald ins Deutsche übersetzt
und hierzulande verlegt werden. „Damit sich meine Geschichte auch in
Deutschland verbreitet. Wenn ich schreibe, dann möchte ich der Welt etwas
anbieten. Schreibe ich nicht, fühlt es sich an, als hätte ich nichts
getan.“
18 Nov 2024
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## AUTOREN
Ruth Lang Fuentes
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
Kinderbuch
Autorin
Taliban
Autobiographischer Comic
Schwerpunkt Afghanistan
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