# taz.de -- Jugendbücher: Pflaster, Skizzenblock und Sturmhaube | |
> Neuerscheinungen von Emma AdBåge, Sara Lundberg und Dirk Reinhardt | |
> erzählen von kleinen Verletzungen, großen Träumen und radikalen | |
> Entscheidungen. | |
Bild: Ein kleiner Unfall fasziniert in Emma AdBåge „Die schönste Wunde“ e… | |
Kurz vor der Buchmesse trafen sich die „Lesewölfe“ mit dem Jugendbuchautor | |
Dirk Reinhardt in der Berliner Buchhandlung „Krumulus“. Der engagierte | |
Leseclub ist Teil der Jugendjury für den Deutschen Jugendliteraturpreis | |
2025. An diesem Nachmittag wollten die sieben Jugendlichen mit dem | |
Schriftsteller aus Münster über seinen jüngsten Roman „No Alternative“ | |
sprechen. | |
Dieser handelt von Emma, einer siebzehnjährigen Klimaaktivistin, die sich | |
nach dem traumatischen Unfalltod ihres Freundes in Frankfurt am Main einer | |
Gruppe militanter Umweltschützer anschließt. Als Mitglied einer | |
klandestinen Zelle der fiktiven Untergrundorganisation „No Alternative“ | |
wird Emma zur Protagonistin einer medienwirksamen Kletteraktion, beteiligt | |
sich aber schon bald an einer explosiven Sabotage im Frankfurter Osthafen. | |
Durch ein Missgeschick wird sie dabei von Überwachungskameras ohne | |
Sturmhaube gefilmt und gerät dadurch auf die internationale Fahndungsliste. | |
Äußerst spannend und zugleich einfühlsam schildert Reinhardt in seinem | |
aktuellen Roman mit wechselnden Stimmen die Ereignisse und stellt darin die | |
Dringlichkeit und Legitimität des Widerstandes angesichts der | |
Klimakatastrophe zur Diskussion. In ihrem jugendlichen Existenzialismus | |
erinnern die Romanfiguren an die überzeugend dargestellten | |
Antifa-Aktivisten [1][in Julia von Heinz Spielfilm „Und morgen die ganze | |
Welt“.] | |
## Die Welt vor der Zerstörung retten | |
In „No Alternative“ entscheidet die Protagonistin Emma, trotz Zweifel und | |
Bedenken, die Brücken zu ihrem alten Leben abzubrechen, um mit radikalen | |
Mitteln die Welt vor der Zerstörung durch den Menschen zu retten. | |
2021, während der Coronapandemie, hatte Dirk Reinhardt begonnen, im Umfeld | |
der Klimaaktivisten zu recherchieren und Gespräche mit den | |
[2][Hungerstreikenden von Letzte Generation] zu führen. Heute, drei Jahre | |
später, ist auch der Jugendbuchautor überrascht, wie schnell es gelungen | |
ist, das drängende Ziel einer deutlichen Senkung der Emissionen von der | |
politischen Agenda zu verdrängen und wie sehr inzwischen populistische | |
Argumentationen auch bei jugendlichen Wähler:innen verfangen. | |
Zu dem Autorentreffen hatten die „Leselöwen“ einige Fragen über die | |
Hintergründe und Figuren von „No Alternative“ vorbereitet. In der | |
Buchhandlung am Berliner Südstern berichten sie davon, wie nachdrücklich | |
sie das Thema der Lektüre doch beschäftigt hat. | |
Eine Schülerin aus der Lesegruppe engagiert sich in der Klimastreikbewegung | |
Fridays for Future und so findet sie die ethisch-moralischen Überlegungen, | |
die das Buch besonders in den fünf Manifesten der fiktiven | |
Umweltschutzorganisation verhandelt, sehr anregend. Trotzdem kennen sie | |
alle das Bedürfnis, die Bedrohung durch den Klimawandel aus dem Alltag zu | |
verdrängen. | |
## Militante Klimaaktivisten | |
Neugierig fragen sie nach den öffentlichen Reaktionen auf „No Alternative“. | |
Und Dirk Reinhardt erzählt davon, wie er bei der Vorstellung des Buches | |
zuweilen dafür kritisiert wurde, mit der Geschichte über militante | |
Klimaaktivisten Jugendliche auf eine falsche, zu radikale Fährte zu führen. | |
Aber diesen Vorwurf halten die sieben des Leseclubs einfach für abwegig. | |
Aus ihrer Sicht bietet der Roman viele verschiedene Perspektiven an und | |
gibt den Lesern dadurch Raum. | |
Eine eindrückliche Form des Erzählens wählt auch die schwedische | |
Kinderbuchautorin und -illustratorin Sara Lundberg in „Der Vogel in mir | |
fliegt, wohin er will“. Das Bilderbuch, empfohlen für Kinder ab neun Jahre, | |
handelt von Berta, einem jungen Mädchen, das Anfang des 20. Jahrhunderts | |
auf einem nordschwedischen Bauernhof aufwächst und davon träumt eines Tages | |
Künstlerin zu werden, obwohl das für die Leute auf dem Land kein | |
„richtiger“ Beruf ist. | |
Zu dieser Geschichte inspiriert wurde Lundberg durch die | |
Tagebuchaufzeichnungen und Briefe der in Hammerdal geborenen Malerin Berta | |
Hansson (1910–94). Bild- und Textebenen greifen in dieser Erzählung eng | |
ineinander. Das Mädchen Berta will weg aus dem abgelegenen Dorf, in dem es | |
mit dem strengen Vater, der tuberkulosekranken Mutter und den Geschwistern | |
lebt. Die schwere Arbeit auf dem Hof prägt den Alltag der Familie. | |
Eine andere Bestimmung, als einen Haushalt zu führen, ist für Mädchen wie | |
Berta oder die älteren Schwestern Julia und Gunna zu jener Zeit kaum | |
vorstellbar. Doch auf dem Hof ihres heimlich malenden Onkels entdeckt Berta | |
schon in jungen Jahren die magische Kraft der Bilder für sich. Seitdem hält | |
sie bei jeder Gelegenheit, die sich bietet – beim Hüten der Kühe oder in | |
Gesellschaft der todkranken Mutter –, ihre Welt auf dem Skizzenblock fest. | |
## Trauer, Aufbruch, Unabhängigkeit | |
Mit „Der Vogel in mir fliegt, wohin er will“ hat Sara Lundberg | |
ausdrucksstarke Aquarellzeichnungen und Collagen in leuchtenden Farben | |
geschaffen, die den Blick des eigenwilligen Mädchens auf die Landschaft, | |
die Menschen und ihr herausforderndes Leben widerspiegeln. Begleitet von | |
kurzen Tagebuchaufzeichnungen erzählen diese intensiven Illustrationen von | |
Trauer, Aufbruch und dem Streben nach Unabhängigkeit. | |
Über die historische Biografie der schwedischen Malerin Berta Hansson gibt | |
ein Nachwort mit Fotografien und Originalwerken im Band zusätzliche | |
Auskunft. | |
Ebenfalls aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger übersetzt ist eine | |
humorvolle Bilderbuchgeschichte von Emma AdBåge. In „Die schönste Wunde“ | |
ist einiges los. Schauplatz ist der Pausenhof einer idyllisch anmutenden | |
Schule. | |
Aber auch an schwedischen Grundschulen sind die Tischtennisschläger kaputt | |
und so jagen die Kinder einfach wild um die Platte herum. Bis ein Junge, | |
der Erzähler, der auf dem Tisch die anderen angefeuert hat, plötzlich von | |
der Platte knallt. „PENG!“ Das Knie blutet. Sofort kommen alle zur | |
Unfallstelle gelaufen, die Erstklässler, die Zweitklässler, der gesamte | |
Hort, ihr Lehrer Jarmo in der Latzhose und auch Joni mit dem Putzwagen. | |
Wunderbar gelingt es Emma AdBåge diese Schwarmbewegungen festzuhalten. Ihre | |
schlaksigen Figuren zeichnet die Illustratorin mit feinen Linien in | |
gedeckten Farben, umso deutlicher leuchtet auf den Bildseiten das Blut. Der | |
Unfall wird zum faszinierenden Ereignis, nicht nur für den verletzten | |
Jungen. „In Mathe rechneten wir aus, wie viele Wunden wir schon hatten, und | |
im Kunstunterricht gingen uns die roten Filzstifte aus.“ | |
## Im Zentrum der Aufmerksamkeit | |
Mitfühlend erkundigen sich die anderen Kinder nach der Wunde, auf der nun | |
das größte Pflaster aller Zeiten klebt. Unübersehbar genießt es der | |
Verunglückte, an diesem Tag im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Die | |
Kinder in Emma AdBåges Geschichten sind neugierig und einander zugewandt. | |
So wie schon in ihrem Bilderbuch „Die Grube“ (2021) agieren sie auch in | |
„Die schönste Wunde“ als vielfältige Gemeinschaft. Neben ihnen erscheinen | |
die Erwachsenen riesig, aber eher als Randfiguren. Nach ein paar Tagen hat | |
sich die dramatische Wunde am Knie in eine dicke Kruste verwandelt. Das | |
will jeder sehen. Schon wieder strömen alle auf dem Schulhof zusammen. | |
Doch dann kommt es im Hallenbad, in dem türkis-grünen Becken zu einem | |
überraschenden Finale. | |
18 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Eva-Christina Meier | |
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