# taz.de -- Zukunft der maritimen Wirtschaft: Schiffe erst ab 2100 klimaneutral | |
> Auch für den Schiffsverkehr gelten Klimaziele. Ein UN-Umweltausschuss | |
> berät nun über ehrgeizigere Regeln, doch der Widerstand der Branche ist | |
> groß. | |
Bild: Einlauf eines weltweit größten Containerschiffs in den Hamburger Hafen | |
HAMBURG taz | Ohne Seefahrer steht fast die ganze Erde still. Mehr als 90 | |
Prozent des Welthandels werden über die hohe See abgewickelt. Das geht | |
nicht ohne Emissionen ab. Die Motoren werden mit schadstoffbelastetem | |
Schweröl oder Schiffsdiesel betrieben, ganz wenige Frachter fahren mit | |
umweltverträglicherem [1][Flüssiggas LNG]. Im Ergebnis werden der | |
[2][Schifffahrt] zwei bis drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen | |
zugeschrieben. | |
Dabei ist die maritime Wirtschaft die einzige Industrie, die globale | |
Klimaziele ansteuert. 2018 hat die Internationale Schifffahrtsorganisation | |
IMO (kurz für: International Maritime Organization) in London eine | |
Resolution verabschiedet. In dieser hat die Staatengemeinschaft bisher | |
jedoch nur vereinbart, die Treibhausgasemissionen des Seeverkehrs um | |
mindestens 50 Prozent bis 2050 zu senken. | |
Um dieses Ziel zu erreichen, arbeitet der Umweltausschuss der IMO, kurz | |
MEPC (Marine Environment Protection Committee), an Maßnahmen. Seit Montag | |
berät der MEPC in London nun über eine Verschärfung der Klimaschutzregeln | |
für die weltweite Schifffahrt. Am Freitag sollen Ergebnisse präsentiert | |
werden. | |
Bereits von der COP26 in Glasgow im Jahr 2021 gingen starke Klima-Signale | |
aus. Das nun 80. Treffen des einflussreichen MEPC wurde daher mit Spannung | |
erwartet. IMO-Generalsekretär Kitack Lim hatte zum Auftakt der Beratungen | |
an die Delegierten von 175 Staaten appelliert, „ehrgeizige Ziele | |
festzulegen, die die Schifffahrt auf einen klaren Weg zur schrittweisen | |
Verringerung der Treibhausgasemissionen bringen“. Lim sprach von einer | |
historischen Chance. Optimistische Branchenverbände hoffen, dass sich die | |
UN-Sonderorganisation vornimmt, im internationalen Schiffsverkehr bereits | |
2050 die Klimaneutralität zu erreichen. | |
## Konflikt zwischen Herstellern und Nutzern | |
Doch die Beratungen begannen mit einer Enttäuschung. Die von einer | |
Arbeitsgruppe zuvor erarbeitete 15-seitige interne Beschlussvorlage stehe | |
nicht im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel, berichtete die Deutsche | |
Verkehrs-Zeitung. Dahinter lauert ein komplizierter Klimakonflikt zwischen | |
Schiffsproduzenten und Schiffsnutzern, zwischen technisch und ökonomisch | |
Machbarem sowie zwischen dem Globalen Süden und dem Norden. | |
So hat China laut Financial Times in einer diplomatischen Note die | |
Vertreter des Globalen Südens dazu aufgerufen, strenge Klimaziele zu | |
blockieren. Hinter verschlossenen Türen sollen Brasilien, Argentinien und | |
Südafrika ebenfalls bremsen. In weiten Teilen Asiens, Afrikas und | |
Lateinamerikas mangelt es an Verkehrsinfrastruktur. Dort sind Schiffe oft | |
das wichtigste Transportmittel. Vielerorts mangelt es Reedereien und | |
Staaten an Geld und Willen zu Klimainvestitionen. | |
„Blockiert durch Entwicklungsländer, Mineralöl produzierende Staaten und | |
Billigflaggen hält die IMO bisher am Ziel fest, Klimaneutralität erst bis | |
zum Ende des Jahrhunderts zu erreichen“, beklagt die deutsche | |
Werftenorganisation VSM. Wie die maritime Zulieferindustrie im Verband | |
Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) – sie rüstet einen Großteil | |
aller Schiffe weltweit aus – erhoffen sich Schiffbauer von ehrgeizigen | |
Klimazielen gute Geschäfte. Die Technik für eine grüne Seefahrt sei | |
vorhanden, heißt es in der Industrie. Gefordert seien nun Reeder und | |
Investoren. | |
Reedereien stehen dabei durchaus unter Druck ihrer Kundschaft: | |
Logistikkonzerne und Industrie wollen ihren CO2-Abdruck in der Lieferkette | |
reduzieren. Der deutsche Reederverband VDR will denn auch seine Schiffe | |
„schon in knapp 30 Jahren klimaneutral betreiben“. Weltweit operierende | |
Reedereien wie Hapag-Lloyd oder Maersk, ebenso wie kleinere in der | |
mittelständisch geprägten Branche, investieren in neue Frachter mit | |
Duel-Fuel-Motoren. Diese könnten mit grünem Wasserstoff betrieben werden – | |
wenn es denn genügend gibt. | |
## Lange Nutzungsdauer | |
Ein weiteres Hemmnis ist die lange Lebensdauer von Schiffen, die mehr als | |
drei Jahrzehnte beträgt. Immerhin birgt auch die Nachrüstung älterer | |
Frachter Potenzial. Zwar sind die Auftragsbücher der maritimen Industrie | |
gut gefüllt. Trotz Rekordgewinnen gehen viele Reeder die grüne | |
Transformation jedoch nur zögerlich an, aus Angst, im globalen Wettbewerb | |
zurückzufallen. Eine entsprechende Regulierung durch die IMO wird deshalb | |
als umso wichtiger angesehen: Sie würde weltweit gültige Regeln zum | |
Umweltschutz auf den Meeren setzen. | |
7 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Hermannus Pfeiffer | |
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