| # taz.de -- Datenbank zu Tierschutzfällen: Tierquälerei ist Alltag | |
| > Vier Tierrechtsorganisationen haben eine Datenbank mit | |
| > landwirtschaftlichen Tierschutzfällen veröffentlicht. Wer sie aufruft, | |
| > braucht starke Nerven. | |
| Bild: Einer der dokumentierten Fälle: Hühner in einem Bio-Hennen-Betrieb in N… | |
| Osnabrück taz | Wird [1][Tierleid aufgedeckt], bei Landwirten, auf | |
| Viehtransporten, in Schlachthöfen, ist die Reaktion der Fleischbranche | |
| immer dieselbe: Einzelfall, schwarzes Schaf. | |
| Wie falsch das ist, wird jetzt für jeden offensichtlich. Nur wenige Klicks | |
| in [2][die neue Datenbank-Website https://tierschutz-skandale.de], und Fall | |
| um Fall öffnet sich, vom Ort bis zur Haltungsform, von der betroffenen | |
| Tierart bis zu den juristischen Folgen. 163 Fälle sind es aktuell, seit | |
| 2016 aufgedeckt von den Tierrechtsorganisationen Deutsches Tierschutzbüro, | |
| Soko Tierschutz, Animal Rights Watch und Tierretter.de, nicht zuletzt durch | |
| verdeckte Filmaufnahmen und Undercover-Recherchen. Details des Vorfalls | |
| sind abrufbar, Fotos und Videos. Eine interaktive Deutschlandkarte erlaubt | |
| einen Schnellzugriff. Statistiken zeigen Tendenzen. Mehrere Jahre haben | |
| Recherche und Umsetzung gedauert. | |
| Jan Peifer, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Tierschutzbüros, bezeichnet | |
| die Datenbank, technisch umgesetzt von Cube Vision, Bonn und Berlin, als | |
| sein „Herzensprojekt“ und als „weltweit einzigartig“. Es zeige, sagt er… | |
| taz, ein „systemisches Problem“. Peifer hofft, dass die Datenbank dazu | |
| beiträgt, „dass die Politik jetzt endlich stärker handelt, dass die | |
| Strafbarkeit mehr in den Fokus rückt“. Kommen neue Aufdeckungen hinzu oder | |
| gibt es bei bereits dokumentierten Fällen neue Entwicklungen, wird der | |
| Datenbestand aktualisiert. Peifer rechnet mit Empörung aus den Reihen der | |
| Tierhalter. „Aber das macht nichts“, sagt er. „Das verschafft uns nur noch | |
| mehr Öffentlichkeit.“ | |
| ## Schockierende Fälle | |
| Die Datenbank ist schockierend. Sie listet Fälle von Schleswig-Holstein bis | |
| Bayern, von der Ente bis zum Rind, vom Klein- bis zum Großbetrieb, aus | |
| konventioneller wie aus Bio-Haltung, vom Ei bis zur Milch, von Aldi bis | |
| Kaufland. | |
| Es geht um Rinder in Blutlachen, Schweine mit handballgroßen Abszessen, | |
| Hennen ohne Federn, Prügelbrutalität gegen Kälber. Es geht um verdurstete | |
| Tiere, um tote zwischen lebenden. Es geht um kotstarrende Stallungen, | |
| Schlachtungen bei Bewusstsein, schwere Verhaltensstörungen. | |
| Den Begriff „Skandal“ fassen die Tierrechtler bewusst weit. „Für mich ist | |
| es schon ein Skandal, wenn auch nur ein Tier gequält oder tot im Stall | |
| liegt“, sagt Friedrich Mülln von Soko Tierschutz der taz. „Tierqual ist in | |
| der Landwirtschaft Alltag.“ Die 163 Fälle so massiert vor sich zu sehen, | |
| mache ihn „sehr traurig“, sagt Mülln. „Und was wir hier sehen, ist ja nur | |
| die Spitze des Eisbergs. Die Dunkelziffer ist gigantisch.“ Was den Tieren | |
| in der deutschen Agrarindustrie angetan werde, sei „Wahnsinn“. | |
| Die Datenbank zeigt auch, wie schwer sich die Behörden tun, zur Anzeige | |
| gebrachte Fälle zu verfolgen. Nur „in den seltensten Fällen“ würden die | |
| Verantwortlichen vor Gericht gestellt oder Straftaten geahndet. Meistens | |
| kamen sie mit einer Geldstrafe davon. Nur bei 25 der 163 Fälle kam es zu | |
| einer Verurteilung nach einem Gerichtsverfahren. Nur in drei Fällen kam es | |
| zu Haftstrafen – auf Bewährung. Nur in sieben Fällen kam es zu einem | |
| Tierhalte- oder Tierbetreuungsverbot. | |
| Auch die Veterinäre sind im Fokus der Tierrechtler. Zwar ist der Tierschutz | |
| als Staatsziel Teil des Grundgesetzes, aber Nutztier-Kontrollen seien viel | |
| zu selten, bemängeln die Tierrechtler. In Niedersachsen, zum Beispiel, | |
| werde eine Tierhaltungsanlage durchschnittlich alle 21 Jahre, in Bayern | |
| sogar nur alle 49 Jahre kontrolliert. Und dann meist nach vorheriger | |
| Ankündigung. Das laufe, auch wegen „lokaler und persönlicher Nähe der | |
| Kontrolleure mit den Tierhaltern“, oft „ins Leere“. Mehr noch: Deutsches | |
| Tierschutzbüro, Soko Tierschutz, Animal Rights Watch und Tierretter.de | |
| gehen teils von einer „Mittäter*innenschaft von Behörden“ aus: „Amtliche | |
| Tierärzt*innen sehen zu oder schauen gezielt weg.“ | |
| ## Zu viele Einzelfälle | |
| Erst Ende Januar 2023 waren in einem der letzten Prozesse des | |
| [3][Verfahrenskomplexes um den niedersächsischen Rinderschlachthof Temme] | |
| am Amtsgericht Bad Iburg die amtlichen Tierärzte Herbert E. und Eva S. | |
| freigesprochen worden, weil sie ihrer Pflicht nicht nachgekommen waren, die | |
| Abladepraxis zu überwachen. Wer nichts sieht, hat keine Kenntnis, kann | |
| nichts verhindern – und ist daher nicht schuldig, wenn es zu Tierqual | |
| kommt. | |
| Seit dem Freispruch wisse jeder amtliche Tierarzt, so Friedrich Mülln, | |
| Leiter der Soko Tierschutz, die den Bad Iburger Horror ans Licht gebracht | |
| hatte, „dass er seinen Job im Schlachthof einfach nur nicht ausüben muss, | |
| um selbst aus dem schlimmsten Tierschutz- und Hygiene-Desaster heil | |
| herauszukommen“. | |
| Auch der Fall Temme, Dutzende Verfahren stark, ist Teil der neuen | |
| Datenbank. Aber alle Details, zu allen Delikten, allen Tätern, finden sich | |
| hier nicht. „Das wären sonst“, sagt Mülln, „einfach viel zu viele.“ | |
| Einzelfälle, schwarze Schafe? Allein der Fall Temme reicht, dieses Märchen | |
| ad absurdum zu führen. | |
| 13 Jun 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rechtsgutachten-zu-Tierschutz/!5923525 | |
| [2] https://tierschutz-skandale.de/ | |
| [3] /Tierrechtsverfahren-in-Bad-Iburg/!5906225 | |
| ## AUTOREN | |
| Harff-Peter Schönherr | |
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