# taz.de -- „Tag-X“-Demonstration in Leipzig: Am Ende bleibt nur ein Kessel | |
> In Leipzig protestieren Autonome trotz Verbots gegen das Lina-E.-Urteil. | |
> Die Polizei verhindert eine Demo. Grüne, Linke und Jusos kritisieren | |
> dieses Vorgehen. | |
Bild: Leipzig: Festnahme am „Tag X“ | |
LEIPZIG taz | Es kam wie erwartet, wenn auch bis zum Abend weniger heftig: | |
Am Samstagnachmittag ist es in Leipzig zu Auseinandersetzungen zwischen | |
Autonomen und Polizei gekommen. Eine Demonstration der Szene zum „Tag X“, | |
[1][nach der Verurteilung der linksradikalen Gruppe um die Leipzigerin Lina | |
E.], war auch vom Bundesverfassungsgericht nicht erlaubt worden. Darauf | |
hatten sich am Samstagnachmittag rund tausend Demonstrierende am | |
Alexis-Schumann-Platz nahe Connewitz gesammelt – wo es zu Stein- und | |
Flaschenwürfen sowie Festnahmen kam. | |
An dem Park hatte der Verein „Say it out loud“. eine Demonstration | |
angemeldet: „Die Versammlungsfreiheit gilt auch in Leipzig“. War das | |
Teilnehmendenbild anfangs noch gemischt, prägten es nach und nach | |
Vermummte. Deshalb musste die Demo, die eigentlich durch Leipzigs | |
Südvorstadt gegangen wäre, stationär am Platz bleiben. Die Polizei drohte | |
„Maßnahmen“ an, wenn die Vermummung nicht abgelegt wird. Darauf versuchte | |
der schwarze Block in eine Seitenstraße loszuziehen, es kam zu Stein- und | |
Flaschenwürfen. | |
Die Polizei ging sofort dazwischen und trieb die Protestierenden in den | |
Park zurück, kesselte den schwarzen Block ein. Es kam zu vereinzelten | |
Festnahmen, auch Wasserwerfer zogen von verschiedenen Seiten auf. Die | |
Demonstration wurde schließlich aufgelöst. Die Teilnehmenden sollten den | |
Park verlassen. | |
## Solidarisch mit Eingekesselten | |
Eine Stunde später war der Platz weiterhin voll. Den Eingekesselten wurde | |
Landfriedensbruch vorgeworfen, weshalb die Personalien aller erfasst werden | |
sollten. Umstehende solidarisierten sich immer wieder mit der Gruppe. | |
Der Grünen-Politiker Jürgen Kasek, der den geplanten Aufzug am | |
Alexis-Schumann-Platz geleitet hatte, kritisierte die Stadt und Polizei | |
scharf. Obwohl im Kooperationsgespräch eine feste Demonstrationsroute | |
zugesagt worden war, sei diese verwehrt worden – obwohl anfangs alles | |
friedlich gewesen sei. „Ich habe den Eindruck, dass niemals vorgesehen war, | |
dass wir laufen dürfen“, sagte Kasek der taz. Er sprach von einem | |
„eklatanten Bruch der Grundrechte“. | |
Auch die Linken-Landtagsabgeordnete Jule Nagel kritisierte, dass die | |
Demonstration nicht loslaufen durfte und warf der Polizei mangelnde | |
Deeskalation vor. Die Jusos Leipzig kritisierten die Polizeimaßnahmen | |
ebenso als „unverhältnismäßig und eines Rechtsstaates unwürdig“. | |
## Hubschrauber am Himmel | |
Schon seit Monaten hatte die autonome Szene zum „Tag X“ nach Leipzig | |
aufgerufen, sobald im [2][Prozess gegen die Leipzigerin Lina E. und drei | |
Mitangeklagte] wegen Angriffen auf Rechtsextreme das Urteil fällt. Das war | |
nun am Mittwoch geschehen: Das Quartett war vom Oberlandesgericht Dresden | |
zu Haftstrafen bis zu gut 5 Jahren verurteilt worden. | |
Bereits am Donnerstag [3][hatte jedoch die Stadt Leipzig die Demonstration | |
verboten]. Laut Polizei- und Verfassungsschutzprognosen sei von einem | |
„unfriedlichen Versammlungsverlauf“ auszugehen, der die „öffentliche | |
Sicherheit unmittelbar gefährden“ würde. Tatsächlich war in Aufrufen die | |
Rede davon, die Wut über das Urteil auf die Straße zu tragen. Ein anderer | |
kündigte eine Million Euro Sachschaden für jedes verhängte Haftjahr an. | |
Sowohl das Verwaltungsgericht Leipzig als auch das Oberverwaltungsgericht | |
in Bautzen wiesen Beschwerden dazu zurück. Auch eine Eilklage vor dem | |
Bundesverfassungsgericht scheiterte am Samstagnachmittag. | |
Die Leipziger Polizei reagierte mit ihrem größten Polizeieinsatz seit | |
Jahren. Mehrere tausend Einsatzkräfte waren auf der Straße, Unterstützung | |
kam von der Bundespolizei und fast allen Bundesländern. Am Himmel kreisten | |
Hubschrauber, ein 48-stündiger „Kontrollbereich“ wurde eingerichtet, | |
stationäre Kameras wurden aufgestellt. Sachsens Ministerpräsident Michael | |
Kretschmer (CDU) und Innenminister Armin Schuster (CDU) besuchten die | |
Leipziger Einsatzzentrale. Gleichzeitig fanden in Samstag in Leipzig auch | |
noch ein Stadtfest, ein Konzert von Herbert Grönemeyer und das | |
Sachsenpokalfinale statt. | |
## Aufruhr in Connewitz | |
Ein Bündnis von linken Leipziger Gruppen um die Linken-Landtagsabgeordnete | |
Jule Nagel hatte im Vorfeld an die Teilnehmenden noch appelliert, Leipzig | |
und Connewitz „nicht zu zerkloppen“. Man teile die Kritik an den Urteilen | |
gegen die Gruppe um Lina E., verstehe aber nicht, „was daran sinnvoll wäre, | |
Scheiben einzuwerfen und möglichst hohen Sachschaden zu verursachen“. | |
Bereits am Freitagabend war es aber in Connewitz nach Einbruch der | |
Dunkelheit zu Stein-, Flaschen- und Feuerwerkswürfen auf die Polizei | |
gekommen. Auf mehreren Straßen wurden Barrikaden gebaut und Autos | |
beschädigt. Die Polizei reagierte mit Tränengas. Zuvor war zu einem | |
„Massencornern“ aufgerufen worden. | |
Laut Polizei wurden 23 Beamte leicht verletzt, einer sei zur Behandlung ins | |
Krankenhaus gekommen. Ein Journalist sei von einer unbekannten Person | |
attackiert und leicht verletzt worden. 17 Einsatzfahrzeuge seien beschädigt | |
worden. Bis zum frühen Morgen habe es drei vorläufige Festnahmen wegen | |
schweren Landfriedensbruchs gegeben. | |
## Nichts zu sehen von Lina E. | |
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte zuvor erklärt, es dürfe | |
„keinen Raum für Selbstjustiz geben“. Gewalt sei „niemals ein legitimes | |
Mittel politischer Auseinandersetzung“. Die Sicherheitsbehörden würden die | |
linksextreme Szene in nächster Zeit „noch stärker in den Fokus nehmen“.Au… | |
der Verfassungsschutz hatte vor einer „hohen Resonanz“ der Szene auf die | |
Urteile gegen die Gruppe um Lina E. gewarnt. Der Gewalt in der Szene seien | |
„kaum noch Grenzen gesetzt“. | |
Von Lina E. selbst war am Samstag nichts zu sehen. Sie war nach ihrer | |
Verurteilung vor dem Oberlandesgericht Dresden am Mittwoch für viele | |
überraschend haftverschont worden. Zwei Mal wöchentlich muss sie sich nun | |
auf einem Leipziger Polizeirevier melden, ihre Ausweise musste sie abgeben. | |
Ihrem erstem Meldetermin am Donnerstag war sie nachgekommen, wie ihr Anwalt | |
und die Polizei bestätigten. | |
3 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Proteste-nach-Lina-E-Urteil/!5934622 | |
[2] /Prozess-gegen-Lina-E/!5934474 | |
[3] /Tag-X-Demonstration-in-Leipzig/!5938310 | |
## AUTOREN | |
Adefunmi Olanigan | |
Konrad Litschko | |
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