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# taz.de -- Macht der künstlichen Intelligenz: Wer profitiert
> Die Machtfrage wird bei KI zu verengt gestellt. Es geht nicht nur um den
> technologischen, sondern auch um den ökonomischen Aspekt.
Bild: Mächtiger Player: Niederlassung von Google in New York
Wir leben in einer propagandistischen Periode. Das heißt, dass das
Verhältnis von Wahrheit und Lüge durch die Interessen der Macht
gekennzeichnet ist, vor allem derjenigen von Politik und Kapital, und sich
stark zur Lüge hin verschiebt. Der Unterschied zum vorangegangenen Regime
der Wahrheit besteht darin, dass sich die Wahrheit damals im
politisch-medialen Raum in einem elastischeren Verhältnis zur Lüge
verhielt. Man nannte das Spin, also den entscheidenden Dreh, der aus der
Wahrheit etwas anderes machte als die Wahrheit selbst.
„Die Rente ist sicher“ ist so ein Spin-Satz oder „Merkel rettet
Griechenland“ oder auch [1][„Wir schaffen das“]: Wahrheit plus Intention
plus Interessen gab der Aussage einen Drall, aber die Verbindung zur
Wahrheit war, im Unterschied zur Lüge, nicht vollständig gekappt. Ein
Beispiel für Propaganda aus den letzten Tagen ist zum Beispiel der Satz von
Innenministerin Nancy Faeser von der SPD, wonach die harsche neue
EU-Richtlinie zur Migrationspolitik [2][ein „historischer Erfolg“ sei] „f…
den Schutz der Menschenrechte“.
Von ähnlich propagandistischer Qualität ist so gut wie alles, was in den
vergangenen Wochen und Monaten von Google, Microsoft oder Sam Altman von
OpenAI zum Thema künstliche Intelligenz gesagt wurde – hier warnten
Menschen vor den Folgen der Technologie, die sie gerade selbst entwickeln,
als hätten sie es nicht selbst in der Hand, diese Technologie so zu
gestalten, dass sie nicht gefährlich ist.
Mehr noch, es sind mächtige Privatunternehmen wie Google, die seit Jahren
genau die Stimmen stigmatisieren oder aus dem eigenen Unternehmen drängen,
die bei der Entwicklung etwa von KI vor Rassismus oder Sexismus warnen –
und daraufhin entlassen wurden, Kate Crawford etwa oder Timnit Gebru.
## Ungleichheit durch unregulierten Einsatz von KI
Seltsamerweise verbreiten fast alle Medien diese Propaganda ziemlich
unhinterfragt und eins zu eins: wenn sehr viele weiße Männer einen
mahnenden Brief unterschreiben und davon raunen, dass die Technologie, noch
mal, die sie selbst entwickeln, zur „Auslöschung“ der Menschheit führen
könne – und diese Aussage eben nicht nur sci-fi-haft vage und unpräzise
ist, sondern vor allem gegenwärtigen Machtmissbrauch genau dieser Firmen
verschleiert –, etwa in Bezug auf Kooperationen mit dem Militär oder der
Überwachungspraxis auch in demokratischen Staaten oder auch mit Blick auf
die „Auslöschung“ von Arbeitsplätzen oder die plausible Perspektive
exponentiell wachsenden Reichtums, verbunden mit massiv zunehmender
Ungleichheit durch den unregulierten Einsatz von KI.
Wenn nun etwa Sam Altman einen PR-Blitz mit dem US-amerikanischen Kongress
und Ursula von der Leyen und allen möglichen Staatschefs vollführt und
davon spricht, dass seine Industrie dringend reguliert werden sollte, dann
muss man eigentlich kein Gedankenkünstler oder Hardcore-Marxist sein, um zu
vermuten, dass er sicher nicht meint, dass er etwas von der Macht oder dem
Einfluss oder dem Gewinnpotenzial der Firma OpenAI abgeben will, die er
mitbegründet hat.
Aber weil der Diskurs über Digitalisierung im Allgemeinen und künstliche
Intelligenz im Speziellen so einseitig und kurzatmig geführt wird, bleiben
die Fragen der politischen Ökonomie weitgehend ausgeblendet: Wer profitiert
also von „Regulierung“, die ja am Ende doch weitgehend selbst gestaltet
sein sollte, so die Logik, und vor allem den technologischen und nicht den
ökonomischen Aspekt betrifft.
## Technologie nicht von Ökonomie zu trennen
Tatsache ist aber, dass die Technologie nicht von der Ökonomie zu trennen
ist. Gefährlich wird die künstliche Intelligenz auf absehbare Zeit vor
allem dadurch, dass sie eben kapitalistischen Profitinteressen unterworfen
ist: Erst dadurch entsteht die eklatante Intransparenz bei der Entwicklung,
das Zukunftsversprechen als „Blackbox“.
Erst dadurch ergeben sich das manipulative Potenzial und die private
Kontrolle über einen gewaltigen technologischen Entwicklungssprung, der wie
alle technologischen Entwicklungen letztlich eine Form von Infrastruktur
annimmt. Die (allermeisten) Straßen sind auch nicht privat kontrolliert,
warum sollte es die Infrastruktur im Digitalen also sein?
Die beiden Wirtschaftswissenschaftler Daron Acemoglu und Simon Johnson
haben auf diese notwendigen marktwirtschaftlichen Fragen der Regulierung
von KI gerade in einem Essay für die New York Times hingewiesen. Letztlich
kommen sie zu dem Schluss, dass nicht in erster Linie die Macht von KI,
sondern die Macht- und vor allem die Kapitalkonzentration der Firmen wie
Microsoft oder Google das drängendste Problem sind.
## Höhere Steuern für Google
Ihre Antwort, wie so oft in entscheidenden Phasen der
Wirtschaftsentwicklung: Zerschlagung von monopolistischen Machtstrukturen –
in ihrem Szenario aber nicht durch direkten staatlichen Einfluss, sondern
indirekt durch die Erhöhung der Steuersätze für die betroffenen Firmen, die
sich dann schon aus ökonomischen und steuerlichen Erwägungen aufsplitten
würden.
„Unsere Zukunft sollte nicht in den Händen von zwei mächtigen Firmen
liegen, die immer größere globale Imperien aufbauen, indem sie unser aller
Daten verwenden“, schreiben Acemoglu und Johnson in der New York Times,
„ohne Skrupel und ohne dass sie etwas von ihren Gewinnen abgeben.“ Gerade
ist auch ihr Buch „Power and Progress: Our Thousand-Year Struggle Over
Technology and Prosperity“ erschienen, in dem sie dieses gegenwärtigen
Ringen um eine gerechtere digitale Ökonomie in den größeren historischen
Kontext einordnen. Es sind diese tiefer gehenden Analysen, die das beste
Mittel gegen Propaganda sind.
Es ist wahr, dass Technologien genutzt werden, um Propaganda zu verbreiten.
Gerade deshalb muss der Diskurs darüber anders geführt werden und die
eigentlichen Machtfragen stellen, und die sind eben meistens materieller
Art, auch und gerade im Technologischen.
14 Jun 2023
## LINKS
[1] /Zeitung-druckt-rassistische-Karikatur/!5367484
[2] https://twitter.com/NancyFaeser/status/1666882730015981588
## AUTOREN
Georg Diez
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