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# taz.de -- Rechtsextremismus in Brandenburg: „Ein Rückschritt in die Neunzi…
> Mit ihrem Schweigen zu rechten Vorfällen gefährdet die Landesregierung
> den Strukturwandel, sagt der Rechtsextremismusforscher Gideon Botsch.
Bild: Nazis raus aus den Schulen: Demo vor dem Cottbuser Schulamt nach Bekanntw…
taz: Herr Botsch, vor sechs Wochen gab es einen [1][Brandbrief zweier
Lehrer aus Burg im Spreewald], seitdem gibt es Berichte über zahlreiche
weitere rechtsextreme Vorfälle aus der Lausitz. Überrascht Sie das?
Gideon Botsch: Das überrascht mich nicht besonders. Ich habe den Eindruck,
dass in Brandenburg die Anstrengungen, sich damit auseinanderzusetzen,
gerade im Schulbereich nachgelassen haben.
Wie schätzen Sie die Lage an Schulen ein?
Das sind eher Probleme des Umfelds. Es ist nicht so wie in den 90er Jahren,
dass beim Rechtsextremismus junge Leute das zentrale Problem sind. Bei
denen hängt das sehr viel damit zusammen, was sie in den Familien und im
Erwachsenenumfeld erleben. Aber auch, welche Grenzziehungen sie an der
Schulen erleben – oder eben auch nicht.
In Burg scheint es diese Grenzziehungen nicht gegeben zu haben. Die
Schulleiterin soll einen Hitlergruß nicht ans Schulamt in Cottbus gemeldet
haben. Ein andermal meldete sie nur, dass Schüler ein „Handzeichen“ gemacht
hätten.
Zu dem konkreten Fall kann ich mich nicht äußern. Aber natürlich hat eine
Schule bestimmte Verpflichtungen. Strafbaren Handlungen muss
entgegengetreten werden. Ich kann verstehen, wenn eine Schulleitung den
Schülerinnen und Schülern erst mal sagt: Das sind strafbare Handlungen, das
dürft ihr nicht. Wenn das aber akzeptiert wird und es keine Grenzziehung
gibt, dann kommt eine Schule ihrer Pflicht nicht nach.
Stattdessen haben zwei Lehrer die Vorfälle in Burg öffentlich gemacht. War
das richtig?
Das birgt gewissen Risiken. Gegenüber dem Kollegium und gegenüber den
Schüler*innen und Eltern. Auf der anderen Seite ist es sehr mutig. Und
im Zweifel auch sehr nötig.
Inzwischen kommen immer mehr Vorfälle ans Licht. In Spremberg sollen
Schüler sich Klebestreifen als Hitler-Bart aufgeklebt und Hitlergrüße
gemacht haben. Insgesamt zählt das Schulamt Cottbus 15 strafrechtlich
relevante rechtsextreme Vorfälle allein in diesem Schulhalbjahr. Ist das
nur die Spitze des Eisbergs?
Man kann davon ausgehen, dass da mehr passiert. Aber dass so etwas an
Schulen passiert, darüber dürfen wir uns nicht wundern. Der Umgang mit der
nationalsozialistischen Vergangenheit ist für Schüler*innen eine große
Herausforderung. Sie reagieren unterschiedlich darauf. Und sie reagieren
nicht immer so darauf, wie wir Erwachsenen es für angemessen halten.
Deshalb muss die Schule hier reagieren.
Also muss nicht jeder Vorfall angezeigt werden?
Wir reden hier über Kinder. Über schutzbedürftige Menschen. Sowohl
aufseiten der Opfer als auch aufseiten derjenigen, die das begehen. Man
muss da sehr vorsichtig sein. Jeder Schüler hat einen Spielraum verdient,
in dem er bis zu einem bestimmten Grad Dummheiten begehen kann. Es hängt
davon ab, dass sie auf Erwachsene stoßen, die ihnen aufzeigen, wo die
Dummheiten gefährlich werden. Das ist, was wir von einer Schule erwarten
können und müssen. Das funktioniert aber nicht immer.
Warum nicht?
In den letzten fünf Jahren gab es gewisse Gewöhnungseffekte in Brandenburg.
Wir haben eine andere Situation, weil wir einen massiv präsenten Akteur in
der Landespolitik haben.
Die AfD-Fraktion im Potsdamer Landtag.
Die macht Dinge sagbar, die bis dahin einem berechtigten Tabu unterlagen.
Da wird ein Klima vorgegeben, in dem viele Standards abgeschliffen sind,
nicht nur im schulischen Bereich. Angefangen hat die Auseinandersetzung mit
Rechtsextremismus in Brandenburg mit der Benennung des Problems. Das
Verdrängen und Beschweigen und der Wunsch, dass das nicht wahr sein kann,
hat das Problem verlängert.
Auch die Landespolitik trägt also Verantwortung?
Ich habe manche Aussagen der Landesregierung mit Befremden wahrgenommen.
Ich habe den Eindruck, dass wir zunehmend wieder in die Richtung segeln,
das Problem kleinzureden und nicht sehen zu wollen. Gerade in den Regionen,
die die Landesregierung besonders fördert und wo sie die Förderziele nicht
gefährden möchte. Das scheint mir ein Rückschritt in die späten 90er zu
sein.
Sie reden von der Lausitz, wo es laut Landesamt für Verfassungsschutze eine
„toxische rechtsextreme Mischung“ gibt.
Wer sich mit dem Thema Rechtsextremismus beschäftigt oder sich von
zivilgesellschaftlicher Seite dagegenstellt, weiß, dass es im Südosten
Brandenburgs eine Problemlage gibt, die deutlich stärker ausgeprägt ist als
in allen anderen Landesteilen. Und dass das mit einem Umfeld zusammenhängt,
das in der Zurückweisung der Handlungsfähigkeit rechtsextremer Akteure
deutlich nachlässiger ist.
Wie sehr hat die Stadt Cottbus das ermöglicht?
Es gibt in Cottbus viele Akteure, die sehr gute Arbeit leisten. Das gilt
teilweise auch für die Stadtverwaltung. Es gibt aber auch eine Reihe von
Defiziten.
Zum Beispiel?
In der Lausitz wird das Selbstbild gepflegt, man werde vernachlässigt und
nicht gleichberechtigt behandelt. Das geht weit über die extreme Rechte
hinaus. Das steht deutlich in Diskrepanz zu der Aufmerksamkeit, die die
Lausitz bekommt. Wäre ich Uckermärker oder Prignitzer, würde ich fragen,
warum ausgerechnet immer nur die Lausitz?
Weil es den Braunkohleausstieg gibt und die Milliarden, die der Bund für
den Strukturwandel lockergemacht hat. Allein Brandenburg bekommt dafür 10
Milliarden Euro.
Die Lausitz hat große Potenziale. Aber die werden durch die politischen
Signale, die aus der Lausitz kommen, gerade unterminiert. [2][Der Wunsch,
die Lausitz zu einer Innovationsregion zu machen], beißt sich massiv mit
der regressiven und ausländerfeindlichen Stimmung. Darüber sollte man sich
sehr gründlich Gedanken machen.
Hat die Landesregierung nicht erkannt, dass der Strukturwandel kein
Selbstläufer ist?
Ob der Strukturwandel gelingt, hängt stark damit zusammen, welches Klima
und welche Stimmung dort entsteht. Es gibt Menschen, die überlegen es sich
dreimal, ob sie ein attraktives Angebot in Cottbus nicht doch besser
ausschlagen, weil sie sich dort nicht sicher fühlen. Oder einfach keine
Lust haben auf die ablehnende Haltung. Da wird es sehr schwierig, einen
Innovationskorridor zu schaffen.
Was sollte die Landesregierung tun?
Ich habe den Eindruck, dass die Landesregierung das nicht so gern hört. Und
lieber darauf setzt, eine Ostidentitätsdebatte zu führen. Nicht als
Erklärung für die mentalen Strukturen in den neuen Bundesländern, sondern
um ein Ihr-wir-Gefühl aufzumachen.
Der neue Ost-Stolz, den SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke ausgerufen
hat.
Ich habe nicht den Eindruck, dass Brandenburg ein neues
Ihr-wir-Ausgrenzungsgefühl braucht. Brandenburg braucht eher ein
Zusammenkommen. Zumindest, wenn man die ehrgeizigen Ziele in der Lausitz
erreichen will.
Sie haben zuletzt ganz explizit vor den wirtschaftlichen Folgen des
Rechtsextremismus gewarnt.
Die Perspektive, die die Lausitz hat, funktioniert nur, wenn sie als
weltoffen und sicher wahrgenommen wird. Aber natürlich können die
Lausitzerinnen und Lausitzer sagen: Das wollen wir nicht. Dann müssen sie
aber auch sagen, welches andere Konzept sie haben. In Cottbus gibt es
jedoch einen Diskurs, der die Stadt die ganze Zeit schlechtredet. Die
rechtsextreme Initiative [3][„Zukunft Heimat“] und die AfD machen nichts
anderes, als zu sagen: Cottbus ist eine Problemstadt und wegen seiner
Kriminalitätsbelastung ein Brennpunkt. Nur stimmt das überhaupt nicht.
Was stimmt daran nicht?
Die Kriminalitätsbelastung gab es schon immer. Mit der muss man umgehen.
Aber das wurde dann, auch vom ehemaligen Oberbürgermeister, mit dem Zuzug
verbunden. Und das entspricht nicht der Realität. Gerade der Umgang mit
Geflüchteten 2015 und 2016 ist in Cottbus im Brandenburger Landesvergleich
erstaunlich gut gelaufen.
Was hat denn zum Beispiel in Frankfurt (Oder) dazu geführt, dass es dort
keine toxische Mischung, also keine verfestigten Nazistrukturen wie in der
Lausitz gibt?
Das ist eine Frage, die wir wissenschaftlich noch nicht klären konnten.
Wichtig wäre da eine Vergleichsanalyse der Gemeinden in Brandenburg, die
Anfang der 90er ein ähnlich großes Problem hatten. Da wäre neben Frankfurt
auch Eberswalde interessant. Beide haben eine ganz andere Entwicklung
genommen als Cottbus.
In Frankfurt (Oder) haben sich Menschen aktiv gegen Nazis gewehrt. Halten
Sie es für legitim, sich dabei nicht auf die Polizei zu verlassen und sich
selbst zu wehren?
Das ist eine heikle Frage. Tatsächlich hatten wir in manchen Landstrichen
Brandenburgs Situationen, wo bei rechtsextremen Vorfällen von der Polizei
nichts zu sehen war. Solche Situationen darf die Landespolitik nicht mehr
zulassen. Das heißt aber auch, dass ermittelte Fälle abgearbeitet werden
müssen. Da ist die Staatsanwaltschaft gefordert.
Und die wird hier nicht aktiv?
Einige der letzten Verfahren in Cottbus haben mich erstaunt. Da hat die
Polizei glänzende Ermittlungsarbeit gemacht, aber die Staatsanwaltschaft
hat die Beweislage infrage gestellt. Es gibt auch in Cottbus eine starke
Zivilgesellschaft. Aber noch immer will die Stadtgesellschaft das Problem
nicht sehen und behauptet, das komme alles von außen. Solange wir ein
Problem verdrängen, werden wir es nicht bekämpfen können.
Anders als in Cottbus wäre [4][im Landkreis Oder-Spree ein AfD-Kandidat
fast Landrat geworden]. Wie konnte das passieren?
Es ist zunächst so weit gekommen, weil unter anderem eine an der
Landesregierung beteiligte Partei nicht zur Wahl des Gegenkandidaten
aufgerufen hatte. Da muss man sich fragen, ob der Ernst der Lage nicht
erkannt wurde. Es ist aber auch die Aufgabe der demokratischen Parteien,
auch in der Fläche überzeugende Politik zu machen. Das war sicher in
Oder-Spree eines der Probleme.
Nächstes Jahr sind Landtagswahlen in Brandenburg. Was passiert, wenn die
AfD stärkste Partei wird?
Das würde die politischen Bedingungen höchstwahrscheinlich nicht sehr
verändern. Außer dass es eine noch größere Fraktion gäbe, die
Fundamentalopposition und keine konstruktive Opposition betreibt. Mit
größerer Sorge schaue ich nach Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen, wo
die AfD so stark werden könnte, dass es schwierig wäre, an ihr vorbei zu
regieren.
Wäre nicht der Punkt gekommen zu sagen: Dann macht doch mal. Die Leute
kriegen dann bald mit, dass ihr nichts zu bieten habt. Oder wäre der
Schaden zu groß?
Beim jetzigen Auftreten der AfD, wie wir sie in den Kommunen und im Landtag
wahrnehmen, wünsche ich mir für kein Bundesland, dass diese Partei
Regierungsverantwortung übernimmt. Aber das will sie auch gar nicht.
19 Jun 2023
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[4] /Landratswahl-in-Oder-Spree/!5935460
## AUTOREN
Uwe Rada
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