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# taz.de -- Historiker über den Klimawandel: „Aus der Vergangenheit lernen“
> Der Blick zurück kann beim Klimawandel helfen, glaubt Historiker Peter
> Frankopan. Ein Gespräch über Klimaveränderungen der Geschichte und deren
> Folgen.
Bild: Dinosaurier-Darstellung im religiös orientierten Creation Museum in Pete…
wochentaz: Herr Frankopan, Ihr aktuelles Buch „Zwischen Erde und Himmel“
widmet sich der Menschheits- und vor allem der Klimageschichte. Letztere
reicht weit zurück, in eine Zeit, wo es noch keine Menschen auf der Erde
gab. Wozu braucht es den Blick in die Vergangenheit, um klimatische
Veränderungen besser zu verstehen, die jetzt stattfinden?
Peter Frankopan: Mein Beitrag als Historiker besteht darin, herauszufinden,
wie sich Dinge in der Vergangenheit zugetragen haben. Und darauf zu
schauen, was wir daraus lernen können. Gerade bei komplexen Problemen wie
dem Klimawandel hilft der Blick zurück, um den Kontext für erweiterte
Perspektiven zu schaffen. Ich wollte zudem verstehen, wie wir an diesen
Punkt gelangen konnten, an dem Experten nun davon sprechen, dass wir uns
inmitten des sechsten Massenaussterbens befinden.
Und dafür ist der Rückblick tatsächlich der richtige Weg?
Ich finde schon. Wir brauchen aber einen umfassenderen Weg, um Geschichte
zu denken. Einen anderen als etwa zu meiner Schulzeit. Wenn ich mich zurück
erinnere, setzte da der Geschichtsunterricht bei den alten Ägyptern ein und
zog sich von dort an bis zur jüngeren Vergangenheit. Meist ging es um
einflussreiche Männer und deren Taten. Das hat sich heute sicherlich etwas
gebessert. Trotzdem denken wir bei Geschichte häufig ausschließlich an die
der Menschen. Kurz gesagt: Wir sind uns zwar unserer Umwelt bewusst,
schenken ihr aber historisch gesehen zu wenig Aufmerksamkeit. Da habe ich
versucht, mit meinem Buch anzusetzen. Dementsprechend schaue ich auch
darauf, wie die Welt vor 10, 20, 30 oder 50 Millionen Jahren ausgesehen
hat.
Und das hilft uns dabei, Antworten darauf zu finden, wie wir mit dem
Klimawandel umgehen können?
Es gibt zumindest eine ganze Reihe von Lektionen, die man aus der
Geschichte ziehen kann. Man muss sie aber aus unterschiedlichen
wissenschaftlichen Perspektiven betrachten, andere Schwerpunkte setzen.
Wie meinen Sie das?
Uns kommt der Klimawandel jetzt im 21. Jahrhundert sehr akut vor, zu Recht.
Gesprochen und geschrieben wird darüber aber schon lange. Anstatt also zu
denken, dass wir alle ökologischen Probleme aktuell zum ersten Mal lösen
müssten, schauen wir doch vielleicht einmal besser zurück in die
Vergangenheit.
Und, was sehen wir da?
Jüngste Klimadaten gewähren beispielsweise Erkenntnisse zu einer sehr
unruhigen Zeit im Römischen Reich um die Mitte des dritten Jahrhunderts
nach unserer Zeitrechnung. Einige Experten versuchen hier Verbindungen
zwischen einem reduzierten Niveau der Sonnenaktivität, der Ausdehnung des
Meereises und mehreren größeren Vulkanausbrüchen zu ziehen. All diese
Faktoren wiederum sollen zu einer schnellen Abkühlung des Klimas, zu
Störungen der Nahrungsmittelproduktion und zu einer Reihe politischer wie
ökonomischer Krisen geführt haben.
An mehreren Stellen in Ihrem Buch stellen Sie auch einen Zusammenhang
zwischen klimatischen Veränderungen und der Verfolgung von Juden und
Jüdinnen her. Was hat es damit auf sich?
In Zeiten von Nahrungsmittelknappheit und hohen Preisen werden leider immer
wieder Sündenböcke gesucht. Das können wir aktuell auch wieder beobachten.
Historisch lässt sich da ein Muster erkennen. Es zeigt etwa, dass, wenn die
Vegetationsperiode im vorangegangenen Fünfjahreszeitraum ungewöhnlich kühl
ausfiel, die Wahrscheinlichkeit gewalttätiger antisemitischer Übergriffe
deutlich anstieg.
Kann man dies so eindeutig feststellen?
Es gibt inzwischen zahlreiche Daten aus europäischen Ländern und Städten,
die diesen Zusammenhang ab den 1090er Jahren dokumentieren. In anderen
Teilen der Welt war das nicht anders. Dort traf es dann jeweils andere
Minderheiten. 1321 in Ägypten waren es Christen, die man zu Sündenböcken
machte. Zusammenfassen könnte man es so: Je schlechter die Witterung, umso
mehr wurden Minderheiten Ziel von Angriffen.
Auf den knapp 1.000 Seiten Ihres Buches kommen Sie auch auf den
transatlantischen Sklavenhandel zu sprechen. Warum?
Die Frage, die sich im Zusammenhang mit dem transatlantischen Sklavenhandel
stellt, ist, warum die Europäer, also die Spanier, die Portugiesen und dann
die Briten, die Holländer und die Franzosen ihre Plantagenkomplexe nicht
einfach in Westafrika gebaut haben. Die Böden dort sind sehr fruchtbar.
Warum also dieser massive Aufwand, Menschen in die Vereinigten Staaten zu
verschiffen?
Das wäre jetzt eigentlich meine Frage gewesen …
Und ich beantworte sie: Zunächst einmal gelang es den Europäern lange
nicht, in westafrikanische Länder vorzudringen. Der dort geleistete
Widerstand hinderte sie daran. Einige Historiker gehen zudem davon aus,
dass die Europäer auch nicht resistent genug waren. Reihenweise erlagen sie
der Malaria oder dem Gelbfieber. Und viele dieser Krankheitserreger gab es
in den Amerikas vor der Kolonisierung zum Beispiel noch gar nicht.
Die Malaria breitete sich also erst mit dem Sklavenhandel in Amerika aus?
Genau. Wobei auch bereits erste spanische und portugiesische Kolonisatoren
und Siedler die Erreger nach Süd- und Mittelamerika gebracht haben könnten.
Die Malaria-Krankheit war ja schon zur Zeit der Conquista auf der
Iberischen Halbinsel verbreitet. Im Süden der späteren Vereinigten Staaten
kam es laut der aktuellen Forschung dann ab den 1680er Jahren zu einer
Ausbreitung.
Das kostete viele Siedler ihr Leben, auch die First Nations waren stark
betroffen. Der Sklavenhandel wurde damals weiter massiv ausgebaut,
schreiben Sie.
Sie wollen auf die sogenannte Malariaprämie hinaus, nehme ich an?
Exakt.
Mit den an Malaria dahinsiechenden Einwohnern in den Südstaaten wuchs die
Nachfrage nach Zwangsarbeitern. Beliebt waren deshalb Menschen aus
besonders malariaverseuchten Gebieten Afrikas, etwa aus den Ländern an der
Goldküste. Sie galten als besonders robust, auch aufgrund einer genetischen
Malaria-Immunität, und konnten dementsprechend zu höheren Preisen verkauft
werden. Anders also als von Sklavenhändlern und -haltern häufig
kolportiert, waren die Versklavten nicht nur in keiner Weise
„minderwertig“. Sondern im Gegenteil im biologischen Sinne physisch stärker
und genetisch besser vorbereitet auf das Leben in der vermeintlich Neuen
Welt.
Ihre Klimageschichte beginnen Sie mit einem religiösen Narrativ, dem Garten
Eden. Warum dies?
Religiöse Texte gehören zu den frühesten überlieferten Schriften. Wenn wir
an Christen- und Judentum oder an den Islam denken, tun wir gern so, als ob
es sich um eine Art übernatürliches Glaubenssystem handele. Und neigen
dazu, dies zu diskreditieren. In vielen Teilen der Welt sieht man das
anders. Auch moderne Umweltbewegungen wie Fridays for Future könnte man
Ähnlichkeiten mit religiösen Bewegungen nachsagen.
Mit Greta Thunberg als Jesus?
Oder als Hohepriesterin (lacht). In gewisser Weise führt sie eine Gruppe
von Menschen an, die funktionieren, aussehen und sich verhalten, wie man
sich Religiöse vorstellt. Was ich damit sagen möchte? Wir neigen dazu, den
überlieferten Religionen einfach die rationale Grundlage abzusprechen.
Dabei versuchten auch religiöse Geschichtsschreiber schon früh,
wissenschaftliche Erklärungen für das zu finden, was buchstäblich vom
Himmel kam: Sonne und Regen. Oder für Erdbeben und Naturkatastrophen.
Wie etwa für die Sintflut im Alten Testament?
Die Geschichte über die Sintflut gehört zu den Schlüsseltexten im Buch
Genesis. Sie wird aber auch in sumerischen, mesopotamischen und ägyptischen
Chroniken beschrieben. Sie zeigt anschaulich, wie versucht wurde,
Erklärungen für Naturkatastrophen zu finden, um darauf zu reagieren. So
belohnen die Götter diejenigen Menschen, die ein nachhaltiges Leben führen,
während sie die anderen mit Umweltkatastrophen bestrafen. Die Menschen
damals waren nicht unwissend. Sie versuchten sich die Welt auf die für sie
mögliche Weise zu erklären. Was sie herausgefunden haben, davon können wir
noch heute lernen.
28 May 2023
## AUTOREN
Sophia Zessnik
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Antike
Geschichte
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