# taz.de -- Acht Stunden Verspätung: Abenteuer mit der Deutschen Bahn | |
> Erst ein Brand, dann eine technische Störung und schließlich ein | |
> „Personenschaden“. Der ICE unserer Autorin liegt acht Stunden hinter dem | |
> Zeitplan. | |
Bild: So nett es auf den ersten Blick aussehen mag: Mit der Bahnromantik ist na… | |
Es fühlt sich ein bisschen an wie Nacktbaden oder der letzte Feierabend zum | |
Urlaubsbeginn, als ich mitten in der Nacht in der Kleinstadt Bebra auf den | |
Bahnsteig trete – mit einem Taxigutschein der Deutschen Bahn in der Tasche. | |
Doch das befreite Gefühl hält nicht lange: Woher bekommen die zwei fremden | |
Mitreisenden und ich in diesem Kaff nun ein Taxi? | |
„Ich würde euch fahren, aber ich bin total besoffen“, sagt ein junger Typ | |
vor der Disco, die direkt neben dem Bahnhof liegt. Also rufen wir eins aus | |
Fulda: wieder 45 Minuten warten. Zu dem Zeitpunkt sind wir schon rund sechs | |
Stunden länger unterwegs als geplant. | |
Für den Bahnbetrieb war dieser Freitag kurz vor [1][dem angekündigten und | |
dann wieder abgesagten] Streik reiner Horror. Überall standen Verspätungen | |
auf den Anzeigetafeln; 200, 180, 50 Minuten. Besonders krass: Der ICE 377 | |
von Kiel nach Basel bringt es zwischenzeitlich auf acht Stunden Verspätung. | |
In den steige ich in Hannover zu, weil mein eigentlich gebuchter Zug | |
deutliche Verspätung hat. Schon jetzt liegt auch der 377 hinter dem | |
Fahrplan: Zwischen Kiel und Hamburg hatte es wohl an der Strecke gebrannt. | |
Kurz vor Kassel-Wilhelmshöhe – mitten in einem Tunnel – kommt der Zug | |
wieder zum Stehen. Gut drei Stunden geht einfach gar nichts. | |
Stellwerksstörung heißt es. | |
## Bordbistro leer gefressen | |
Jugendliche gehen in kleinen Gruppen durch den Zug, 120 Schüler*innen | |
fahren mit. Ein junger, scheinbar betrunkener Mann – die Bahn hat | |
angefangen, Getränke aus dem Bordbistro zu verschenken – textet einen | |
anderen über die Zukunft des Handwerks zu: „Wer will denn schon mitten in | |
der Nacht anfangen zu backen?“ Es ist dunkel im Tunnel, und als der Zug | |
weiterfährt, auch draußen. | |
Schlimmer kann es nicht werden, meint man. Doch dann: „Personenschaden“. Im | |
Gegensatz zum Stopp vor Kassel ist direkt klar: Das dauert Stunden. Vor dem | |
Büro des Zugchefs wird die Schlange immer länger. Es geht um | |
Entschädigungen, Taxifahrten, Hotelübernachtungen – und um Wasser. Das | |
Bordbistro ist längst geplündert. | |
Eine Frau mit Kleinkind ist den Tränen nahe, plötzlich läuft ein einsamer | |
Hund durch den Gang. Um 1.10 Uhr sagt die Schaffnerin: „Ich kann Ihnen | |
leider nicht sagen, wann wir weiterfahren, aber ich kann Ihnen sagen: In 45 | |
Minuten wird die Feuerwehr hier sein, mit Wassernachschub.“ | |
Der Zug steht am Bahnhof Bebra, deswegen gehen diesmal immerhin die Türen | |
auf. Menschen strömen auf den Bahnsteig, rauchen, unterhalten sich. Die | |
Stimmung ist irgendwo zwischen Verzweiflung und Belustigung. Die | |
Schaffnerin sagt: „So etwas habe ich in zehn Jahren noch nicht erlebt.“ Im | |
Zug sind insgesamt 1.000 Menschen. Das erzählt der Zugchef den | |
Feuerwehrmenschen, die bald eintreffen. „Keine medizinischen Notfälle, nur | |
Hunger und Durst.“ | |
Eine sehr blass aussehende Jugendliche geht mit Tränen in den Augen zur | |
Schaffnerin und sagt, sie brauche etwas zu essen. Ich gebe ihr den Rest von | |
meinem Abendessen: Nudeln mit Gemüse und Tofu, ein bisschen bräunlich dank | |
der Sojasauce. Sieht eklig aus, ist aber frisch. | |
Wer wie ich bereits aus Fulda ein Taxi wollte, bekommt die Ansage, dass sie | |
bis Frankfurt im Zug bleiben müssen. Erst da werde über die | |
Kostenübernahmen entschieden. Nach zwei weiteren Stunden geht die Haltung | |
über Bord: Taxi-Bons für Hunderte von Euros werden ohne Widerstand | |
ausgeteilt. | |
## Notfallgurke als Schützenhilfe | |
Kurz vor Ankunft unseres Taxis wird der Bahnsteig leerer, ruhiger. Menschen | |
versuchen zu schlafen. Wir retten noch einen Marinesoldaten, der seit elf | |
Uhr vormittags auf den Beinen ist und jetzt auf seine Eltern wartet. Von | |
mir bekommt er ein halbes Schokocroissant, von der Mitfahrerin eine Gurke. | |
Dann fährt der Zug weiter, ohne uns. Es fühlt sich irgendwie falsch an. | |
Übrig sind neben uns mindestens 15 Feuerwehrmenschen mit gestapelten Kisten | |
leerer Softdrinkflaschen. „Ist dieser Einsatz jetzt ein Highlight für | |
Sie?“, frage ich einen Feuerwehrmann. „Na ja, schlafen wäre schöner | |
gewesen“, lautet die Antwort, die in mir eine große Resonanz auslöst. Doch | |
schlafen geht auch im Taxi nicht. Zu groß ist meine Angst, dass der Fahrer | |
einnickt. Also unterhalten wir uns. Um fünf Uhr liege ich im Bett. | |
Besonders schlimm an der Geschichte: Mein eigentlich gebuchter Zug fuhr mit | |
harmlosen eineinhalb Stunden Verspätung noch vor Mitternacht in Würzburg | |
ein. Als Entschädigung kam mein Zug bei der Rückfahrt am Samstagabend zehn | |
Minuten zu früh in Bremen an. Ebenfalls ein Novum. | |
18 May 2023 | |
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[1] /ESC-EVG-und-Elon-Musk/!5931721 | |
## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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