| # taz.de -- Die Verständnisfrage: Macht die Türen breiter! | |
| > Warum drängelt ihr euch in die U-Bahn?, fragt eine Leserin. Das hat immer | |
| > etwas mit Mangel zu tun, antwortet ein Physiker. | |
| Bild: Manchmal ist Drängeln aber auch sinnvoll | |
| In der Verständnisfrage geht es jede Woche um eine Gruppe, für deren | |
| Verhalten der Fragesteller_in das Verständnis fehlt. Wir suchen eine | |
| Person, die antwortet. | |
| Pädagogin, 32, aus Stuttgart fragt: | |
| Liebe Drängler:innen, warum wartet ihr nicht, bis alle aus der U-Bahn | |
| ausgestiegen sind, bevor ihr selbst einsteigt? | |
| *** | |
| Armin Seyfried, 56, Physiker aus Jülich antwortet: | |
| Wir haben [1][für ein Forschungsprojekt] jeweils 200 Versuchspersonen an | |
| einen nachgebauten Bahnsteig gestellt, um das Gedränge zu simulieren. Dabei | |
| haben wir auch den Herzschlag und das Stresslevel der Menschen erfasst. | |
| Drängeln hat letztlich immer etwas mit Mangel zu tun. Meist geht es um eine | |
| Ressource, die knapp ist. Im Fall von U-Bahnen sind das vielleicht | |
| Sitzplätze oder überhaupt Platz um mitzufahren. Solche Mangelsituationen | |
| rufen etwas Kompetitives in den Menschen hervor. Dann geht es auf einmal | |
| darum, wer sich am ehesten durchsetzt. | |
| Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass, je größer die Not in Bezug auf | |
| die mangelnde Ressource ist, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit für | |
| drängelndes Verhalten. Es könnte sein, dass alte Menschen besonders | |
| dringend einen Sitzplatz benötigen und deshalb drängeln. Oder Menschen mit | |
| Fahrrädern, weil die viel Platz brauchen. Dabei kommt es auch auf die | |
| [2][Qualität des Verkehrsunternehmens] an. Wenn ich mich darauf verlassen | |
| kann, dass in zehn Minuten die nächste Bahn kommt, bin ich viel | |
| entspannter, als wenn ich zwei Stunden warten muss. | |
| Generell hängt das Verhalten in Warteschlangen stark von der Kultur und von | |
| der Infrastruktur ab. Als Beispiel kann man sich Japan anschauen. Dort gibt | |
| es eine Infrastruktur zum Anstehen: Die Orte, wo sich Türen befinden und | |
| man anstehen soll, sind auf dem Boden markiert. Zudem hatten die | |
| Japaner:innen schon Zeit, sich an dieses System zu gewöhnen. Es haben | |
| sich [3][soziale Regeln etabliert] und es herrscht ein anderes Gefühl für | |
| Fairness in diesen Situationen. | |
| Das wäre in Deutschland gar nicht so leicht umsetzbar, weil innerhalb von | |
| Verkehrsunternehmen oft unterschiedliche Wagen eingesetzt werden, die nur | |
| begrenzt standardisiert sind. Die Menschen müssten sich zudem an neue | |
| Regeln gewöhnen. Man muss erst lernen, dass das, wie bei anderen | |
| Verkehrsregeln auch, letztlich dazu führt, dass alles besser läuft. | |
| Manchmal ist Drängeln aber auch sinnvoll. Wenn die Türen der U-Bahn breit | |
| genug sind, ist es physikalisch sogar von Vorteil, wenn gleichzeitig ein- | |
| und ausgestiegen wird. Als Physiker analysieren wir zum Beispiel die | |
| Dichte, den Fluss oder die Gehgeschwindigkeit der Menschen. Das alles | |
| spielt eine Rolle für die Sicherheit des Systems. Manchmal ist es | |
| effizienter, wenn Menschen sich beeilen. Wenn die Türen sehr schmal sind, | |
| kommt es dagegen leicht zu Verstopfungen. | |
| Größere Türen mit Markierungen zum Ein- und Aussteigen wären also eine | |
| Lösung. Eine andere Möglichkeit wären Füllstandsanzeiger für die einzelnen | |
| Waggons des nächsten Zuges. Dann könnten sich die Menschen besser am | |
| Bahnsteig verteilen und Konflikte vermieden werden. | |
| Häh? Haben Sie manchmal auch diese Momente, wo Sie sich fragen: Warum, um | |
| alles in der Welt, sind andere Leute so? Wir helfen bei der Antwort. Wenn | |
| Sie eine Gruppe Menschen besser verstehen wollen, dann schicken Sie Ihre | |
| Frage an [4][[email protected]]. | |
| 4 Sep 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alexandra Hilpert | |
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