# taz.de -- Notfallmanagement der Deutschen Bahn: Fahrgäste bleiben auf der St… | |
> Immer wieder bleiben Züge liegen. Oft weit entfernt von Bahnhöfen. Die | |
> Bahn hat dafür ein Notfallmanagement. Aber wie gut funktioniert das? | |
Bild: Das Notfallmanagement der Deutschen Bahn funktioniert nicht immer so reib… | |
BERLIN taz | Es sind knapp 30 Grad am vergangenen Sonntagnachmittag, als | |
der RE 5 von München nach Salzburg plötzlich stehen bleibt. Ein Bauzug in | |
der Region Traunstein hat Feuer gefangen, der Regionalzug muss evakuiert | |
werden. In diesem Sommer häufen sich solche Berichte – im Juli traf es etwa | |
den RE 5 auf der Strecke von Berlin nach Rostock. Ein Defekt an der | |
Oberleitung brachte den Zug bei Birkenwerder in der Oberhavel zum Stehen. | |
Die Klimaanlage fiel aus, die Temperaturen in den überfüllten Waggons | |
stiegen rasant. | |
„Man konnte kaum noch atmen“, berichtet Mati, der mit einem Freund und | |
dessen Tochter im besagten Regionalzug saß, der taz. Er möchte seinen | |
Nachnamen nicht in der Zeitung lesen. „Mir wurde richtig schwindelig, eine | |
Frau kollabierte sogar. Es herrschte Panik in unserem Waggon. Andere | |
Fahrgäste haben ein Notfallfenster eingeschlagen, um an Luft zu kommen.“ | |
Obwohl das Zugpersonal durchgesagt habe, dass es wegen Stromschlaggefahr | |
verboten sei, auf die Gleise zu gehen, hätten einige Fahrgäste eigenmächtig | |
den Zug verlassen und seien zum nahe gelegenen S-Bahnhof Birkenwerder | |
gegangen, sagt Wolfgang Lange von der Freiwilligen Feuerwehr Birkenwerder. | |
Auch Mati hatte sich dazu entschlossen: „Wir standen wirklich unter Schock | |
– wir hatten Angst, in dem Waggon zu sterben“. Gemeindewehrführer Lange | |
sagt der taz: „Es hätte alles ein bisschen koordinierter laufen können. | |
Anweisungen von der [1][Deutschen Bahn] (DB) kamen immer nur auf | |
Nachfrage.“ Die Feuerwehr versorgte die Fahrgäste mit Wasser – „Da kam v… | |
der DB gar nichts“. Das Bahnpersonal sei eher damit beschäftigt gewesen, | |
ihre Gleise wieder in Betrieb zu nehmen, vermutet Lange. | |
Die Linksfraktion im brandenburgischen Landtag fordert, dass sich solche | |
Fälle nicht wiederholen. Ihr verkehrspolitischer Sprecher, Andreas Büttner, | |
sagt, bei Hitze sei es „extrem gefährlich, wenn viele Menschen ohne | |
Klimaanlage, ohne Informationen, ohne ausreichend Trinkwasser und ohne | |
medizinische Versorgung in einem defekten Zug festsitzen“. Fahrgäste seien | |
auf ein gutes Notfallmanagement angewiesen. „Das scheint offenbar | |
regelmäßig nicht zu funktionieren“, stellt Büttner fest. | |
## 23.000 Zugfahrten pro Tag | |
Immer wieder gibt es Berichte zu Evakuierungen in den Medien. Die Anfrage, | |
wie viele es in den letzten Monaten gab, beantwortet die Bahn der taz | |
nicht. Gemessen an den rund 23.000 Zugfahrten der DB pro Tag sei die Zahl | |
der Evakuierungen gering, sagt ein Bahnsprecher. Es handele sich dabei um | |
Einzelfälle im niedrigen Promillebereich. Auch seien nicht mehr Züge als | |
zuvor liegen geblieben, das komme immer mal wieder vor. | |
Das Notfallmanagement der Bahn ist hoch komplex, schließlich muss es das | |
europaweit größte Schienennetz von 35.000 Kilometern umfassen. Eine | |
DB-Sprecherin betont, Ziel sei es, alle Reisenden schnellst- und | |
bestmöglich weiterreisen zu lassen. Das Notfallkonzept habe sich in | |
langjähriger Erfahrung bewährt. | |
Muss ein Zug evakuiert werden, wird der zuständige DB-Notfallmanager | |
alarmiert. Dieser ist durch eine zusätzliche Ausbildung qualifiziert, | |
Notfalleinsätze zu leiten. Vor Ort erfasst er die Situation: Im Idealfall | |
kann der Zug noch in den nächsten Bahnhof rollen. Andernfalls muss ein | |
zweiter Zug auf das Gegengleis fahren, um die Passagiere aufzunehmen. Nur | |
als letzte Option werden die Fahrgäste über die offenen Gleise evakuiert. | |
Nach Plan hat die Evakuierung eines ICE am 28. Juni in Rödental bei Coburg | |
funktioniert. 200 Fahrgäste mussten den Zug verlassen, weil der Antrieb | |
ausgeblieben ist. „Die Absprache mit der DB verlief reibungslos“, sagt | |
Sebastian Sorge, Stadtbrandinspektor der Freiwilligen Feuerwehr Coburg. Er | |
war der Einsatzleiter bei dem Vorfall. „Von der Ausstattung her hätte sich | |
die Bahn selbst helfen können. Wir waren nur da, um die Gleise | |
auszuleuchten, und haben geholfen, die Fahrgäste mit Koffern und Fahrrädern | |
in den Ersatzzug zu leiten.“ Der Einsatz habe maximal eine Stunde gedauert, | |
berichtet Sorge. | |
## Zu wenig Fachpersonal | |
Ganz anders verlief die Evakuierung des ICE 79 von Berlin nach Zürich, der | |
am 25. Juni wegen einer technischen Störung auf der Saale-Elster-Talbrücke | |
stecken blieb. Die Evakuierung dauerte fast viereinhalb Stunden, zwei | |
Stunden davon lief die Klimaanlage nicht, die Fahrgäste warteten lange ohne | |
Informationen. Eine Journalistin der Deutschen Welle, die sich im Zug | |
befand, berichtete [2][auf der Plattform „X“], die Türen seien geöffnet | |
worden, um Luft in den Zug zu lassen. Dafür wurde das Nachbargleis | |
gesperrt. Damit der Evakuierungszug auffahren konnte, wurden die Türen aber | |
aus Sicherheitsgründen kurz darauf wieder geschlossen. Weil von den 800 | |
Fahrgästen nur 650 reinpassten, mussten die 150 weiteren Passagiere auf | |
einen weiteren Zug warten. | |
Birgit Milius, Leiterin des Fachgebietes Bahnbetrieb und Infrastruktur an | |
der TU Berlin, erklärt, die Evakuierungsprozesse dauern so lange, weil | |
viele Menschen mit Fachkenntnissen involviert werden müssen. Ist die | |
15.000-Volt-Oberleitung kaputt, muss sichergestellt werden, dass die | |
Spannung die Fahrgäste nicht gefährdet. Um die Oberleitung erden zu können, | |
brauche man eine spezifische Ausbildung. „Es ist sicherlich auch ein | |
Problem, dass es zu wenig Fachpersonal gibt“, sagt die Professorin. So gibt | |
es bundesweit rund 1.000 DB-Notfallmanager. Davon sind aber nur 160 an | |
einem Tag im Dienst. | |
Dem Fahrgastverband ProBahn zufolge könne es im Extremfall passieren, dass | |
der nächste Notfallmanager 150 Kilometer entfernt ist. Dabei sollte es laut | |
DB höchstens 30 Minuten dauern, bis ein Notfallmanager vor Ort ist. Neben | |
mangelndem Personal und Ersatzzügen macht der Ehrenvorsitzende von ProBahn, | |
Karl-Peter Naumann, die „sehr strikten Sicherheitsvorschriften“ | |
verantwortlich. Es müssten Lösungen gefunden werden, wie die Bahn trotzdem | |
schnell handeln kann, fordert Naumann. „Bei Evakuierungen könnte man | |
manchmal mehr Mut haben. Gerade wenn es heiß ist und die Klimaanlage nicht | |
mehr funktioniert, muss man schnell reagieren.“ | |
Zudem klappt die Information der betroffenen Fahrgäste oft „nicht so, wie | |
man es sich wünscht – schnell, umfassend und konkret“, sagt Bahnexpertin | |
Milius. Von der Bahn heißt es dazu, oft müsse erst die Lage sondiert | |
werden. Die Evakuierung des ICE 79 sei ein Ausnahmefall gewesen, sagt ein | |
Bahnsprecher. Jede Evakuierung würde im Nachhinein ausgewertet und das | |
Notfallmanagement entsprechend angepasst. | |
## ProBahn sieht Politik in Verantwortung | |
Naumann von ProBahn sagt der taz, dass vieles bei den Zug-evakuierungen | |
richtig laufe. Vor allem könne man der DB bei technischen Defekten keinen | |
Vorwurf machen. Dass alte Züge eingesetzt würden, liege schlicht an der | |
langen finanziellen Vernachlässigung der Bahn. Die Bahn investiert momentan | |
massiv in neue Züge, bis 2030 fließen 12 Milliarden Euro allein in neue | |
Fernverkehrszüge, wie ein DB-Sprecher sagt. | |
Naumann sieht vor allem die Politik in der Verantwortung: Diese müsse dafür | |
sorgen, dass es mehr gemeinsame Ausbildungen für Bahn und Feuerwehr gibt | |
und Letztere geschult wird, wie man die Oberleitung erdet. Das könnte die | |
Evakuierungen beschleunigen, weil die Feuerwehr oft schneller vor Ort sei | |
als der Notfallmanager. Dafür müsse Geld zur Verfügung gestellt werden, die | |
Kosten dürften nicht immer an der Bahn hängen bleiben. | |
Der verkehrspolitische Sprecher der Linken, Andreas Büttner, fordert, dass | |
Entschädigungsansprüche bei Hitze in die Verkehrsverträge mit dem Land | |
aufgenommen werden. Fällt der Strom aus, übernehmen Batterien die | |
Versorgung der Klimaanlagen, aber auch die sind bald leer. Laut einer | |
Sprecherin der [3][Deutschen Bahn] würden in diesem Jahr pro Monat etwa | |
drei neue ICEs mit zuverlässigeren Klimaanlagen eingesetzt. Büttner begrüßt | |
das. „Mein Eindruck ist, dass sich die Bahn auf ICEs konzentriert und die | |
Regionalzüge hinten runterfallen – die sind halt nicht so lukrativ“, so der | |
Linksabgeordnete. Wenn die Bahn auch dann Geld an das Land zahlen müsse, | |
wenn es in den Zügen wegen Hitze unerträglich wird, sei das ein guter | |
Anreiz. | |
14 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Reform-bei-der-Deutschen-Bahn/!5947564 | |
[2] https://twitter.com/SGCKi/status/1672977618927333377 | |
[3] /Dauerbaustelle-Deutsche-Bahn/!5946632 | |
## AUTOREN | |
Hanna Koban | |
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