| # taz.de -- Angestellt bei der Deutschen Bahn: Einer aus der vorderen Reihe | |
| > Über die Bahn wird viel gemeckert. Zugbegleiter und -begleiterinnen wie | |
| > René Bäselt bekommen den Ärger oft ab. | |
| Bild: René Bäselt am Berliner Ostbahnhof | |
| Es ist 5.50 Uhr am Morgen, als René Bäselt, ein 1,90 Meter großer Mann in | |
| dunkelblauer Hose und Jacke, die Wartehalle des Berliner Ostbahnhofs | |
| betritt. Die Läden sind noch geschlossen. Abgesehen von ein paar | |
| Jugendlichen, die vor McDonald’s sitzen, ist kein Mensch zu sehen. Auf der | |
| Anzeigetafel ist die Welt noch in Ordnung: Bisher keine Zugausfälle oder | |
| Verspätungen. | |
| Bäselt läuft durch den Raum, zückt eine Chipkarte, öffnet eine unscheinbare | |
| Tür zwischen McDonald’s und WC-Center, verschwindet dahinter. Zehn Minuten | |
| später kommt er wieder heraus, unter seiner Jacke lugt jetzt eine | |
| bordeauxrote Weste hervor. Bäselt zieht einen Rollkoffer hinter sich her, | |
| daran ein grüner Stoff-Anhänger mit der Aufschrift „Bahnpersonal“. | |
| 1.925 Züge werden an diesem Donnerstag Mitte April in Deutschland unterwegs | |
| sein. ICs, ICEs, Regionalzüge, S-Bahnen. In einem der Züge, dem IC 240 nach | |
| Amsterdam, wird Bäselt sitzen. Er ist Zugchef bei der Deutschen Bahn. | |
| Bäselt ist 53, ein offener, zugewandter Mann. Hardrockfan, | |
| Hobby-Rennradfahrer, gebürtiger Ostberliner mit entsprechendem Dialekt. | |
| Seit 36 Jahren arbeitet er bei der Bahn. Als Zugchef ist er für die | |
| Sicherheit im Zug zuständig, kontrolliert die Technik genauso wie | |
| Fahrkarten. | |
| Bäselt sagt, er liebe das Zugfahren: den Austausch mit den Fahrgästen, | |
| unterwegs sein mit den Kolleg:innen. Von einer Liebe zur Bahn an sich will | |
| er hingegen nicht sprechen. Zu viel sei schiefgelaufen zwischen ihm und dem | |
| Unternehmen in den vergangenen Jahren. „Der Kontakt ist verloren gegangen“, | |
| sagt er. Mitarbeiter:innen wie er seien „Blitzableiter für das | |
| Missmanagement des Konzerns“. | |
| Unpünktliche Züge, geschlossene Bordrestaurants, zu teure Tickets. Die | |
| Liste an Beschwerden über die Bahn ist lang. Die Pünktlichkeitsquote im | |
| Fernverkehr etwa erreichte vergangenes Jahr mit 65 Prozent ein historisches | |
| Tief. Das spiegelt sich auch in der Wahrnehmung des Unternehmens wider. | |
| Einer Umfrage von Infratest dimap aus dem Jahr 2019 zufolge bewerten 34 | |
| Prozent der Deutschen die Leistungen der Bahn als positiv; etwas mehr, 38 | |
| Prozent, hingegen sind unzufrieden oder sehr unzufrieden mit dem | |
| Unternehmen. | |
| Woran liegt das? Was funktioniert nicht bei der Bahn und seit wann? Und wie | |
| fühlt es sich für die Menschen in der vordersten Reihe an, diejenigen, die | |
| das Unternehmen jeden Tag für die Fahrgäste repräsentieren? Den | |
| Zugchef:innen und Zugbetreuer:innen, Menschen wie René Bäselt. | |
| 6.29 Uhr. Bäselt steht am Gleis 3, neben ihm der Zug. Ein letzter Blick | |
| über den Bahnsteig, dann setzt er eine kleine silberne Pfeife an den Mund, | |
| pfeift. Abfahrt. Bäselt steigt ein, der Zug fährt los, auf die Minute nach | |
| Fahrplan. | |
| Begleitet wird Bäselt an diesem Tag von einem Kollegen um die 60 mit kurzem | |
| grauen Haar und gestutztem Schnäuzer. Der Zugbetreuer, sozusagen sein | |
| zweiter Mann. | |
| Ein erster Kontrollgang: Bäselt läuft durch den Zug, seine Augen wandern | |
| nach links, nach rechts. Sind die Feuerlöscher intakt, funktioniert die | |
| Klimaanlage? In den Abteilen sieht man ein, zwei verschlafene Gesichter vor | |
| aufgeklappten Laptops, die meisten Plätze sind leer. Bäselt greift zum | |
| Bordtelefon, wirft seine geschmeidige, hochdeutsche Ansagerstimme an: | |
| „Guten Morgen meine Damen und Herren und herzlich willkommen auf unserer | |
| Reise nach Amsterdam“. | |
| Bäselt ist 17, als das losgeht mit ihm und der Bahn. Er macht eine | |
| Ausbildung zum Facharbeiter für Eisenbahnbetrieb. Die Bahn – in | |
| Ostdeutschland heißt sie noch „Deutsche Reichsbahn“ – zählt zu den grö… | |
| Arbeitgebern der DDR. „Als Eisenbahner war man da noch wer“, sagt Bäselt | |
| heute. „Es gab Dienstränge wie bei der Armee und Polizei. Die Mitarbeiter | |
| trugen dunkelblaue Uniformen mit Schulterstücken drauf. Das machte schon | |
| was her.“ | |
| Er arbeitet zunächst als Aufsichtsbeamter auf einem Bahnhof. „Nicht mein | |
| Ding“, wie er heute sagt. Dann wird er Zugbetreuer. 1998 fragt ihn sein | |
| Vorgesetzter, ob er sich auch den Posten des Zugchefs vorstellen kann. Der | |
| bedeutet mehr Verantwortung und mehr Geld. Bäselt sagt Ja. | |
| 6:58 Uhr. Der Zug rauscht durch das erwachende Berlin. Vor den Scheiben | |
| huschen die Hochhäuser und Kleingartenkolonien Spandaus vorbei. Die Abteile | |
| haben sich gefüllt. Familien haben Brotdosen auf Tischen verteilt, Männer | |
| schauen aus dem Fenster. Zwei Frauen Anfang 20 spielen Karten. Bäselt geht | |
| durch die Reihen, kontrolliert die Tickets. | |
| ## Die Fahrkarten bitte | |
| An einem Vierertisch schläft ein Mann um die 20. Bäselt tippt ihn an die | |
| Schulter. Der Mann öffnet kurz die Augen, sieht Bäselt an, kramt sein Handy | |
| heraus, legt es auf den Tisch, dann schließt er die Augen wieder. Bäselt | |
| tippt ihn noch mal an. Keine Reaktion. „Na, dann zeigen Se mal her“, sagt | |
| Bäselt, nimmt das Handy und scannt das Ticket ein. | |
| In der Vergangenheit verlief die Fahrkartenkontrolle nicht immer so | |
| harmlos. Ende der Neunziger erlebte Bäselt seinen ersten Zwischenfall. Drei | |
| Punks in einem Regionalzug. Als Bäselt nach ihren Tickets fragte, schlugen | |
| und traten sie auf ihn ein. | |
| 2017 dann ein einzelner Mann in einem ICE. Er hatte sich auf der Toilette | |
| versteckt, hatte weder Ticket nach Ausweis. Bäselt rief die Polizei. Als | |
| der Zug in den Bahnhof einfuhr und der Mann die Beamten sah, habe er | |
| Bäselts rechte Hand genommen und sie so weit überdreht, bis sie fast | |
| gebrochen war, sagt er. „Am meisten schockiert hat mich die Passivität der | |
| Fahrgäste“, sagt Bäselt. „Es war ein Großraumwagen, voll besetzt. Und do… | |
| hat nur ein Mann eingegriffen.“ | |
| Seitdem ist Sicherheit in Zügen sein Thema. Er gibt Interviews dazu, sitzt | |
| regelmäßig am „Runden Tisch Security“, einem Zusammenschluss von Bahn- und | |
| Gewerkschaftsvertretern. | |
| Die Gewalt gegen Bahnpersonal hat in den vergangenen zehn Jahren | |
| zugenommen. Im Jahr 2022 verzeichnete die Deutsche Bahn 3.138 solcher | |
| Fälle, 21 Prozent mehr als im Jahr davor. Fragt man Bäselt, wie er sich die | |
| gestiegene Gewaltbereitschaft erklärt, spricht er von einem allgemeinen | |
| Klima der Respektlosigkeit in der Gesellschaft. Aber auch von einer | |
| gewachsenen Unzufriedenheit mit der Bahn. | |
| 8:27 Uhr. Hinter den Scheiben tauchen die roten Klinkerbauten Hannovers | |
| auf. Wenig später fährt der Zug in den Hauptbahnhof ein, ein paar Minuten | |
| früher als angegeben. „Auf Strecken mit Baustellen wie dieser sind | |
| Zeitpuffer eingeplant“, sagt Bäselt. „Wenn man die doch nicht braucht, ist | |
| man eben früher da.“ | |
| Für ihn und seinen Kollegen, den Zugbetreuer, endet die Fahrt hier, sie | |
| steigen aus. Auf dem Bahnsteig warten zwei Männer um die 50, sie tragen | |
| dieselben dunkelblauen Bahnanzüge wie sie, die Ablösung. „In Wagen 8 gibt | |
| es ein schwaches Licht“, sagt Bäselt zu ihnen, „sonst ist alles okay.“ D… | |
| verabschiedet er sich. Der Zug fährt weiter nach Amsterdam. | |
| Frühstückspause bei einem Bäcker im Hauptbahnhof. Bäselt isst ein | |
| Eibrötchen, seine erste Mahlzeit an diesem Tag. „Ich kriege ganz früh | |
| nichts runter“, sagt er. Zugchef:in oder Zugbetreuer:in bei der | |
| Deutschen Bahn zu sein, bedeutet Arbeit im Schichtdienst. Es gibt Wochen, | |
| in denen muss Bäselt mal um 6 Uhr morgens und dann um 19 Uhr ran. Manchmal | |
| arbeitet er sechs Tage in Folge, hat einen Tag frei, muss danach wieder | |
| sechs Tage arbeiten. Er habe sich daran gewöhnt, sagt er. Es gebe aber | |
| viele Kolleg:innen, denen mache das zu schaffen; er erzählt von | |
| Schlafstörungen und Burn-outs, auch bei den Jüngeren. Immer wieder kommt es | |
| aufgrund von fehlendem Personal zu Zugausfällen. | |
| 9.30 Uhr. Bäselts zweiter Zug an diesem Tag wartet, der ICE 684 nach | |
| Hamburg. Er und sein Kollege steigen ein. Bäselt kontrolliert die | |
| Fahrkarten, dann nimmt er sich Zeit für ein kurzes Gespräch im | |
| Bordrestaurant. | |
| ## Der Niedergang der Bahn | |
| Fragt man Bäselt, wann das losging, dass es mit der Bahn gefühlt bergab | |
| ging, kann er keine Jahreszahl nennen, aber einen Namen: Hartmut Mehdorn. | |
| Mehdorn war von 1999 bis 2009 Chef der Deutschen Bahn. Ein schillernder | |
| Manager, ein Machertyp; von der Politik geholt, um die Bahn an die Börse zu | |
| bringen. Mehdorn habe dabei – so werfen es ihm Kritiker bis heute vor – nur | |
| die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens im Blick gehabt. Und alles | |
| gestrichen, was sich nicht rentierte. Mehdorn selbst sieht die Ursache | |
| dafür in den fehlenden Investitionen des Bundes. | |
| In Mehdorns Zeit als Bahnchef wurden die Wartungsintervalle der Züge | |
| hochgesetzt. Die Strecken wurden weiter zurückgebaut – obwohl das | |
| Verkehrsaufkommen auf den Schienen schon damals wuchs. Er ließ | |
| Ausweichgleise entfernen – was dazu geführt hat, dass man langsamere Züge | |
| heute nicht überholen kann. Und er reduzierte das Zugpersonal. „Die Folgen | |
| davon spürt man noch heute“, sagt Bäselt. „Es sind nicht genügend neue | |
| Mitarbeiter:innen nachgekommen.“ | |
| Früher seien sie zu dritt oder zu viert in einem Zug unterwegs gewesen. | |
| Heute meistens zu zweit. „Bei kurzen Zügen mag das noch funktionieren“, | |
| sagt Bäselt. „Bei einem ICE mit 1.000 Fahrgästen ist das ein Problem, vor | |
| allem im Hinblick auf die Sicherheit.“ | |
| Verändert habe sich auch die Zusammenarbeit. „Früher gab es feste Teams“, | |
| sagt Bäselt. „Mit meiner damaligen Kollegin, einer Zugbetreuerin, bin ich | |
| jede Strecke zusammen gefahren, 16 Jahre lang.“ Inzwischen würden die | |
| Mitarbeiter:innen jedes Mal neu zusammengestellt. Für ihn heißt das: | |
| Wenn er morgens zur Schicht antritt, weiß er nie, wer ihn erwartet – und | |
| auch nicht, wie gut er mit dem- oder derjenigen zusammenarbeiten kann. „Für | |
| das Teamgefühl ist das natürlich suboptimal.“ | |
| 11.12 Uhr. Der Zug fährt pünktlich in Hamburg-Altona ein. Endstation. | |
| Bäselt macht einen letzten Kontrollgang durch die Abteile. Im hintersten | |
| Wagen steht eine Frau um die 70. „Lief doch alles wunderbar“, sagt sie. | |
| Bäselt lächelt. „Bei mir auch.“ | |
| Ein paar Bahngleise weiter steht der ICE 1707 nach München. Bäselts dritter | |
| und letzter Zug an diesem Tag. Er und sein Kollege werden bis Berlin | |
| mitfahren. | |
| ## Falsche Wagenreihung | |
| Jetzt kommt die Maschine, die den ganzen Tag wunderbar lief, erstmals in | |
| Stottern. | |
| Als Bäselt die Wagenreihung auf seiner Handy-App mit der tatsächlichen | |
| Reihenfolge der Züge abgleicht, fällt ihm auf, dass etwas nicht stimmt. Die | |
| Wagen sind falsch nummeriert. Sie wurden im Werk, aus dem der Zug gerade | |
| gekommen ist, falsch eingespielt. Wagen 22 sollte eigentlich Wagen 32 | |
| heißen und umgekehrt. „Da haben die Kollegen Mist gebaut“, sagt Bäselt. D… | |
| Bahnhof in Altona ist nahezu leer, hier spielt das keine Rolle. | |
| Beim nächsten Stopp, dem Hamburger Hauptbahnhof, sieht das anders aus. Eine | |
| Frau wuchtet einen gewaltigen Koffer vom vollen Bahnsteig aus in den Zug, | |
| schwer genervt. „Ist es echt zu viel verlangt, die Wagen richtig | |
| anzugeben?“, sagt sie und stöhnt. Bäselt hat die Wagennummerierung zwar im | |
| Bordcomputer des Zuges korrigiert. Die Änderung ist aber nicht bei allen | |
| Fahrgästen angekommen. | |
| Bei seinem anschließenden Kontrollgang durch die Abteile bleibt Bäselt an | |
| einer Toilette für Rollstuhlfahrer stehen. Die Tür schließt nicht. Auch | |
| nach mehrmaligem Drücken des „Schließen“-Knopfes nicht. Bäselt steckt den | |
| Vierkant, den er am Schlüsselbund bei sich trägt, in die vorgesehene | |
| Vorrichtung über der Tür. Glück gehabt. Die Tür schließt. | |
| So glatt läuft es nicht immer, sagt er. Manchmal müsse er zu richtigem | |
| Werkzeug greifen. „Früher gab es noch Zugtechniker, die mitgefahren sind | |
| und defekte Türen und dergleichen repariert haben“, sagt er. „Aber auch die | |
| wurden eingespart. Inzwischen müssen die Zugchefs bei diesen Reparaturen | |
| selbst ran.“ Für ihn und seine Kolleg:innen heißt weniger Personal: mehr | |
| Arbeit für den gleichen Lohn. | |
| Die meisten mögen die Bahn als ein geschlossenes Unternehmen wahrnehmen. | |
| Tatsächlich gleicht der Konzern einem Dach, bestehend aus mehreren | |
| Einzelunternehmen, jedes mit eigenem Geschäftsbereich. Darunter die DB | |
| Fernverkehr, verantwortlich für den nationalen und internationalen | |
| Fernverkehr, und die DB Regio, verantwortlich für den Regionalverkehr. | |
| ## Den Anschluss verpasst | |
| Für Bäselt, der für die DB Fernverkehr arbeitet, führt das mitunter zu | |
| Komplikationen. „Sagen wir, ich fahre in einem ICE, der eine Verspätung | |
| aufgebaut hat, und habe 50 Passagiere an Bord, die einen Anschlusszug, eine | |
| Regionalbahn, kriegen müssen. Bei einer so hohen Zahl an Passagieren würde | |
| man schauen, ob der Regionalzug warten kann“, sagt er. Früher habe der | |
| Zugchef in so einem Fall die Verkehrsleitung kontaktiert, die habe das | |
| dann entschieden. Heute hingegen seien die Wege länger, das Prozedere | |
| bürokratischer. „Ich muss den Verkehrsleiter der DB Fernverkehr | |
| kontaktieren, der wiederum muss sich an die Betriebszentrale von DB Regio | |
| wenden“, sagt Bäselt. Und es gibt dabei noch einen weiteren Haken: | |
| Unternehmen wie DB Fernverkehr und DB Regio haben nicht nur | |
| unterschiedliche Geschäftsbereiche, sie sind auch Konkurrenten. | |
| „Wenn die DB Regio einen Zug für die DB Fernverkehr warten lässt, baut sie | |
| als Konsequenz eigene Verspätung auf“, sagt Bäselt. „Dafür muss sie dann | |
| finanziell haften.“ Grund sei eine spezielle Konstruktion: Bei der DB Regio | |
| werden die Zugverbindungen vom Verkehrsverbund des jeweiligen Bundeslandes | |
| bezahlt, erklärt Bäselt. „Daher muss sie an das Land auch Strafe zahlen, | |
| wenn die Züge verspätet sind.“ Die Konsequenz, laut Bäselt: „Meistens | |
| warten die Züge nicht.“ | |
| Und da sind noch die anderen Sachen, die seiner Meinung nach schieflaufen: | |
| die überlasteten Reparaturwerkstätten etwa. „Wagen mit ernsthaften | |
| Sicherheitsmängeln werden zwar aus dem Verkehr gezogen und repariert“, sagt | |
| Bäselt. „Wagen mit Komfortmängeln wie kaputten WCs oder Klimaanlagen aber | |
| werden weiterhin eingesetzt. Man kommt mit den Reparaturen einfach nicht | |
| hinterher.“ | |
| Oder die Bistros: Ihr Sortiment wurde erweitert, sagt Bäselt, der | |
| Lagerraum, der ihnen zur Verfügung steht, blieb aber gleich. Mit der Folge, | |
| dass Fahrgäste jetzt theoretisch mehr Auswahl haben, Produkte aber | |
| schneller vergriffen sind. | |
| Bäselts persönliche Beziehung zur Bahn bekam 2006 einen Knacks. Damals war | |
| er als Zugchef in den Interregios unterwegs, einer Zuggattung, die auch | |
| kleinere Bahnhöfe anfuhr. Dann wurden die Züge eingestellt. Er sollte | |
| zukünftig nur noch ICs und ICEs fahren als Zugbetreuer, nicht mehr als | |
| Zugchef, mit entsprechend geringerem Gehalt. „Ich habe das nicht | |
| eingesehen. Wenn die Bahn ein Produkt einstellt, ist das doch nicht mein | |
| Problem.“ Er zog vor das Arbeitsgericht – und gewann. | |
| ## Die da oben, wir da unten | |
| Der Schritt habe sein Wesen verändert, sagt er heute. Früher sei er ein | |
| sehr zurückhaltender Mensch gewesen; einer, der kaum den Mund aufmachte. | |
| Heute engagiert er sich bei der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL), ist | |
| stellvertretender Vorsitzender der Ortsgruppe Fahrpersonal und Werke | |
| Berlin. | |
| Die Bahn, das sind für ihn seitdem nur noch „die hier unten“, wie er sie | |
| nennt: die Zugchef:innen und Zugbetreuer:innen, die Lokführer:innen | |
| und Mitarbeiter:innen in den Bord-Bistros. Die Menschen, die täglich | |
| mit der Bahn unterwegs sind, dem Unternehmen ein Gesicht geben. Und im | |
| Zweifelsfall als Sündenbock herhalten müssen. | |
| Die anderen, die Menschen in den Führungsetagen, gehören für ihn nicht | |
| wirklich zur „Bahnerfamilie“, wie er sie nennt. Verächtlich erwähnt er die | |
| 14 Prozent Gehaltserhöhung, die die Bahn dieses Jahr für Manager | |
| beschlossen hat. „Denen ist sämtliches Maß abhandengekommen. | |
| Bleibt die Frage, wie es mit der Bahn weitergeht. Bäselt sagt: „Die Züge | |
| müssen häufiger gewartet, die Gleise weiter ausgebaut werden.“ Es brauche | |
| einbruchsichere Rückzugsräume in den Zügen, mindestens einen Raum alle vier | |
| Waggons, in die Bahn-Mitarbeiter:innen im Fall gewaltsamer Übergriffe | |
| flüchten und von dem aus sie Kontakt zum Lokführer aufnehmen können. „Und | |
| es braucht wieder mehr Personal in den Zügen. Gerade bei längeren Zügen | |
| sollten sie mindestens zu dritt unterwegs sein.“ | |
| Dafür aber müsste es auch genügend Menschen geben, die bei der Bahn | |
| arbeiten wollen. „Schon jetzt hat der Konzern Probleme, Stellen zu | |
| besetzen“, sagt Bäselt. Um als Arbeitgeber attraktiver zu werden, müsse die | |
| Bahn daher bei den Arbeitszeiten nachjustieren. „Sechs Tage hintereinander | |
| zu arbeiten, dann nur einen freien Tag zu haben, bevor man wieder sechs | |
| Tage arbeitet, ist niemandem zuzumuten“, sagt Bäselt. „Zwei freie Tage pro | |
| Woche müssen sein.“ | |
| Das 49-Euro-Ticket hält er grundsätzlich für eine gute Idee. Glaubt aber, | |
| es komme zu früh. „Wir haben zurzeit weder die Züge noch die Schienen noch | |
| das Personal dafür“, sagt er. Er sieht es so: „Die Politik hat sich da | |
| etwas ausgedacht und es der Bahn übergeholfen. Dabei war die noch gar nicht | |
| so weit.“ Bäselt geht davon aus, dass die Zahl der Passagiere deutlich | |
| zunehmen – und das wiederum zu einer Verschärfung der bereits bestehenden | |
| Probleme führen wird. | |
| 13.54 Uhr. Der Zug fährt in den Berliner Hauptbahnhof ein. Bäselt und sein | |
| Kollege steigen aus, das Ende ihrer Strecke, das Ende ihres Arbeitstages. | |
| Ihre Ablösung, zwei Frauen um die 50, warten schon auf dem Bahnsteig. „Am | |
| Anfang gab es etwas Ärger mit der Wagennummerierung“, sagt Bäselt zu seiner | |
| Kollegin. „Danach aber lief alles schick.“ | |
| Es war ein guter Tag, für ihn und die Deutsche Bahn. | |
| Bäselt sagt: „Schade, dass es nicht häufiger so ist.“ | |
| 29 Apr 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Sascha Lübbe | |
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