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# taz.de -- Knast-Film „Prison 77“ auf DVD: Die Neonreklame verspricht Frei…
> Draußen stirbt Diktator Franco, im Modelo-Gefängnis formieren sich die
> Gefangenen. „Prison 77“ erzählt eine Desillusionierungsgeschichte als
> Thriller.
Bild: Javier Gutiérrez (l) und Miguel Herrán in Prison 77
Das Modelo-Gefängnis in Barcelona ist nach dem von Jeremy Bentham erdachten
Panoptikum-Prinzip erbaut. Die Trakte laufen sternförmig auf einen
mittleren Punkt zu, dessen Zentralität die Überwachung jedes der Trakte von
diesem einen Punkt aus erlaubt. Einer sieht alle und alles, es ist die
Verkörperung des Blickes der Macht. Der Philosoph Michel Foucault hat in
diesem Modell – das auch für Fabriken und andere Bauten Anwendung fand –
das Muster des von ihm so genannten Panoptismus, der Machtausübung der
modernen Überwachungsgesellschaft, erkannt.
Es ist dieses Gefängnis, in dem Manuel Gómez, ein junger Mann um die
dreißig, in Haft kommt (gespielt von Miguel Herrán, seit der Netflix-Serie
„Haus des Geldes“ ein Star). Er hat Geld entwendet und ist hier ohne Urteil
gelandet, der Pflichtanwalt macht schnell klar, dass er für die
Verteidigung sehr wenig Zeit hat.
Dieser Knast ist ein Ort, an dem man die Hoffnung auf Entlassung am besten
gleich fahren lässt. Die Wärter führen ein brutales Regime, die Gefangenen
sind als Gesellschaft für sich in Gruppen gespalten. Berüchtigt ist der
Block 6, hier herrscht mit Duldung der Wärter ein Pate, der sich seine
große Zelle zur Kapelle der Nacktfotos ausgebaut hat.
Alberto Rodríguez’ Film beginnt im Spanien des Jahrs 1975, also zum
Zeitpunkt des entscheidenden Umbruchs in der jüngeren Geschichte des
Landes: Der Diktator [1][Franco ist tot, es kommt zum demokratischen
Aufbruch.] Von den Geschehnissen draußen zeigt Rodríguez beinahe nichts, er
konzentriert sich ganz darauf, wie sie sich in der Institution spiegeln,
die der Durchsetzung von Recht und Würde des Einzelnen auch in Demokratien
als dem Auge der Öffentlichkeit entzogene Welt und Gesellschaft für sich
oft widersteht: dem Knast.
## Es gibt die Spitzel, es gibt den Mord, den Aufstand
Zunächst sind die Hoffnungen groß. Schnell kommt es zur Amnestie für
politische Gefangene, aber auch die anderen Gefangenen fordern einen
Neuanfang des Justizsystems. Sie tun sich im zusammen, gründen eine
Vereinigung namens Copel und werden von reformorientierten Anwälten
unterstützt.
Exemplarisch erzählt wird das an erfundenen Figuren, neben Gómez steht sein
Zellengenosse José Pino (Javier Gutiérrez) im Zentrum: Er hat mehr Zeit
drinnen als draußen verbracht, schottet sein Bett mit einem Vorhang ab und
entzieht sich der Realität in die eskapistische Lektüre von
Science-Fiction-Geschichten. Die Kämpfe jedoch, von denen „Prison 77“
erzählt, waren real. Die Brutalität des Systems, das die Willkürherrschaft
der Wärter nicht nur deckt, sondern fördert, ist nur zu wirklich.
Und sie wird nicht wirklich gebrochen, der Aufbruch verläuft am Ende im
Sande, Copel löst sich auf: Es ist eine Desillusionierungsgeschichte. Sie
ist interessanterweise in die Form eines Thrillers gepackt, der spannend
ist, seine Figuren mit viel Liebe, auch zu Kostüm und Ausstattung,
individualisiert und dabei durchaus die Topoi des [2][Gefängnisfilm-Genres]
bedienend. Bis zum Ende, einem Ausbruchsversuch, den 1978 tatsächlich viele
enttäuscht und verzweifelt als Ausweg sahen.
Es gibt die Freundin, die draußen wartet, es gibt den Blick aus dem Fenster
auf eine Neonreklame, die Freiheit verspricht, es gibt die Spitzel, es
gibt den Mord, den Aufstand, bei dem der Knast in Brand gesetzt wird. Mehr
als zwei Stunden lang ist der Film. Er schildert das Auf und Ab von
Hoffnung und Resignation und führt eindrucksvoll vor, wie man politisch
engagiertes Kino souverän in eine Genre-Geschichte verpackt.
4 May 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Ekkehard Knörer
## TAGS
Film
Thriller
Franco
Spanien
Gefängnis
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Spielfilm
Französischer Film
Schwerpunkt Frankreich
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