| # taz.de -- Horrorfilm „Nightsiren“ auf DVD: Nackte Körper im nächtlichen… | |
| > Kindheitstraumata und misogyner Terror: Die slowakische Regisseurin | |
| > Tereza Nvotovás insziniert mit „Nightsiren“ mehr als nur ein düsteres | |
| > Märchen. | |
| Bild: Es ist beeindruckend, mit welcher Sicherheit sich die Regisseurin auf dem… | |
| Der Weg führt zurück, er führt in den Wald und hinter die sieben Berge, er | |
| führt in die Vergangenheit von Sarlota (Natalia Germani) und in einen | |
| Schrecken, der zunächst namenlos scheint. In Kapiteln, die durchnummeriert | |
| sind, in Rückblenden, die sehr schmerzhaft in die Gegenwart dringen, macht | |
| der Film mit Sarlotas Vorgeschichte bekannt: Sie hat hier, im Dorf, als | |
| Kind mit Mutter und Schwester gelebt; zwanzig Jahre ist das her, nun ist | |
| die Mutter gestorben, Sarlota kehrt zurück, weil sie ein Brief erreicht | |
| hat, der sie über deren Tod informiert. Wer ihn geschrieben hat, ist ein | |
| Rätsel. Viel zu erben gibt es nicht. Mächtig jedoch ist die Vergangenheit, | |
| mit der sie nun konfrontiert ist. | |
| Sie hat ihre kleine Schwester verloren, das zeigt eine Rückblende gleich zu | |
| Beginn, sie kehrt als Verdrängtes, das sich nicht verdrängen lässt, immer | |
| wieder; auf der Flucht, man weiß nicht, wovor, hat Sarlota die Schwester, | |
| Tamara, versehentlich in den Abgrund gestoßen. Das Bild des Mädchens reglos | |
| am Boden hat sich ihr eingebrannt und so brennt es die Regisseurin Tereza | |
| Nvotová auch ins Hirn der Zuschauerin. Das ist der Horror, der Sarlota als | |
| Erinnerung und Trauma von innen bedrängt. Es gibt aber, im dunklen Wald und | |
| im Dorf, auch reichlich Terror von außen. | |
| Die Bewohner der abgelegenen Gegend in den slowakischen Bergen sind von | |
| Aufgeklärtheit sehr weit entfernt. Die Männer prügeln ihre Kinder und | |
| vergewaltigen ihre Frauen. Aber auch die Frauen begegnen allem Fremden mit | |
| Argwohn und Aggression. Von Anfang an trauen sie Sarlota nicht über den | |
| Weg. Erst recht nicht, als sie sich mit einer anderen jungen Frau | |
| zusammenzutun beginnt, Mira (Eva Mores), die ihr Geld mit Kräutern und | |
| Tränken verdient, die sich die Männer nimmt, ohne mehr als Sex von ihnen zu | |
| wollen, die aus diesen Gründen [1][als Hexe verschrien] ist. | |
| Und weil sie mit ihr in ein Haus zieht, weil man sich an die Vorgeschichte | |
| mit Mutter und Schwester erinnert, wird auch Sarlota, die noch dazu in | |
| einer Spuk-Hütte wohnt, von den Frauen mit Hass und den Männern mit | |
| Gewehren verfolgt; [2][homophob die einen wie die anderen]. | |
| ## Nackte Frauenkörper tanzend im nächtlichen Wald | |
| „Nightsiren“ ist ein düsteres Märchen, das, auch atmosphärisch, mit Moti… | |
| und Stimmungen des Horrorfilms spielt. Die Übergänge zwischen | |
| feministischem Realismus und Horrorklischee sind fließend, mal verdichtet | |
| sich die eine, mal die andere Seite. | |
| Wölfe und Schlangen schauen aus dem Unbewussten vorbei, ein Kräutertrank | |
| ruft zur Mittsommernacht geradezu hexensabbatmäßige Fantasmagorien hervor: | |
| nackte Frauenkörper tanzend und wogend im nächtlichen Wald. Die Musik von | |
| Robin Coudert und Pjioni flirrt auf- und abschwellend elektronisch und | |
| drohend dazu und hilft dabei, den Wirklichkeitsstatus des Ganzen | |
| offenzuhalten. | |
| Die 1988 geborene Regisseurin Tereza Nvotová ist keine Mystikerin. Sie hat | |
| Folgen für Fernsehserien gedreht und für HBO Europe einen so persönlichen | |
| wie kritischen Dokumentarfilm über den [3][Rechtspopulisten Vladimir Mečiar | |
| gemacht, den Ministerpräsidenten der Slowakei nach der Rückkehr zur | |
| Demokratie]. „Nightsiren“ ist Nvotovás zweiter Spielfilm, er hat, was | |
| slowakischen Filmen nicht so häufig passiert, einen [4][Preis in Locarno] | |
| gewonnen, und es ist durchaus beeindruckend, mit welcher Sicherheit sie | |
| sich auf dem schwierigen Terrain bewegt, das sie sich ausgesucht hat. | |
| Die düstere Märchenwelt des Films ist nicht als solche real, auch wenn sie | |
| aus vertrauten misogynen Motiven und Figuren zusammengesetzt ist. Das | |
| Dunkle, der Wald, die wilden Tiere sind bedrängend genug inszeniert, die | |
| Motive des Genres sind nicht für allegorische Zwecke geborgt und zitiert, | |
| wie in manchen neueren Horrorfilmen. Sie sind vielmehr gültiger Ausdruck | |
| eines nur zu wirklichen inneren und äußeren Schreckens. | |
| 19 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
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