# taz.de -- Horrorfilm „Skinamarink“ im Kino: Ein faszinierendes UFO | |
> Fürs Kino war der Low-Budget-Frilm „Skinamarink“ gar nicht geplant. Aus | |
> Versehen gelangte er ins Internet und ging viral. | |
Bild: Zwei Kinder allein zu Haus, so beginnt der Grusel in „Skinamarink“ | |
So ging es los mit den Albträumen: „Ich glaube, ich war rund acht Jahre | |
alt, das Licht ist aus, ich sehe fern.“ Mitten im Satz von der | |
Vergangenheit ins Präsens, von der Distanz in die Nähe, das erste Bild, das | |
man sieht, ist ein Fernseher im Dunkeln, das TV-Rechteck grisselig hell, | |
die Kamera bewegt sich rückwärts knapp über dem Boden, dazu sphärisch | |
drohende Sounds. Gut vier Minuten lang ist der Film, ein Schleichen durch | |
ein unheimliches Haus, erst ganz am Ende dann ein horrortypischer Scare: | |
plötzlich ein Monster im Raum. | |
Vor sechs Jahren war das, da hat der Kanadier Kyle Edward Ball, damals | |
Mitte zwanzig, auf seinem Youtube-Kanal eine Serie begonnen. Der Titel war | |
„Bitesized Nighmares“ (also etwa: Albtraum-Häppchen) und auf den ersten, | |
der sein eigener war, folgten weitere, verfilmte Albträume der | |
Kommentator*innen auf dem Youtube- oder dem entsprechenden | |
Reddit-Kanal. Alles Ein-Wort-Titel: Kellertreppe, Spiegel, Hexe, Krebs, | |
Stille, Spinne und so die Topoi des nächtlichen Schreckens durch weiter. | |
Vor drei Jahren dann eine weitere Serie, Übertitel „Nostalgic“, wieder die | |
Bilder aus sehr dunklen Zimmern, schummriges Licht, schräger Blick an die | |
Decke. Die erste Folge: „Old Time Horror Radio (to fall asleep) but you’re | |
in a 1950s house and dead.“ Das geht mehr als vier Stunden, kein | |
Einstellungswechsel, auf der Tonspur genau das, was der Titel verspricht, | |
Dialoge aus alten US-Radio-Hörspielen, zu denen der Fantasie allerlei | |
einfallen kann, im Übergang zwischen Wachen und Schlafen oder, man will es | |
nicht wünschen, im Traum. | |
In einer späteren Folge gibt es dann „Spooky Cartoons At Night“, ein Bett, | |
rötliches Dunkel, wieder nur eine Einstellung, der Fernseher im Anschnitt | |
zu sehen, während man aus dem Off aufgekratzte Cartoon-Sounds zu hören | |
bekommt. | |
2 Millionen Dollar eingespielt | |
Vor zwei Jahren dann hat Kyle Edward Ball diese Serien in ein anderes | |
Format überführt. Hat bei Freunden und Fans 15.000 Dollar zusammengekratzt, | |
einen befreundeten Soundtüftler namens Joshua Bookhalter als Ko-Regisseur | |
engagiert (der noch vor Fertigstellung des Films, der ihm gewidmet ist, | |
starb) und einen Hundertminüter gedreht, bei dessen Arbeitstitel | |
„Skinamarink“ (nach einem alten Kinderlied, das im Film fast keine Rolle | |
spielt) es am Ende dann blieb. | |
Das Werk hat erst auf wichtigen Horrorfestivals einiges Aufsehen erregt, | |
wurde durch ein Versehen geleakt, was für die virale Verbreitung nur gut | |
war – lief dann in den USA ganz regulär in den Kinos, wo er mehr als 2 | |
Millionen Dollar eingespielt hat. Und nun läuft er auch hier. | |
Der Film ist erstaunlich, denn er ist nun wirklich ein UFO, ein schwer | |
identifizierbares filmisches Objekt. „Skinamarink“ hat zum Beispiel mit dem | |
sogenannten „elevated horror“, der in den letzten Jahren Furore gemacht | |
hat, wenig bis gar nichts zu tun. Mit [1][Ari Aster] nicht, der [2][in | |
seinem Hit „Midsommar“ einen doppelbödigen sonnigen Hippie-Schrecken | |
entwarf], und erst recht nicht mit Jordan Peele, der in „Get Out“ und „Wi… | |
und zuletzt [3][„Nope“] den Horror als Genre begreift, in dem sich viel | |
über Verdrängung, Rassismus und namenlos bleibende Ängste erzählen lässt, | |
und zwar in alles andere als blutleeren Allegorien. | |
## Der Horror hinter dem Baum | |
Man hat „Skinamarink“ mit dem „Blair Witch Project“ seligen Angedenkens | |
verglichen, dem Sensationserfolg von Ende der neunziger Jahre. Der | |
Schrecken verdankte sich dabei sehr viszeral einer immens wackligen | |
Subjektive, hinter jedem Baum schien der Horror zu lauern, weil man wusste, | |
dass die, die da filmten, im Wald verschwunden und nie mehr aufgetaucht | |
waren. | |
In dieser Linie steht, schon etwas näher an „Skinamarink“, das seit gut | |
zehn Jahren existierende Phänomen namens [4][„The Backrooms“]: eine im | |
Internet entstandene und sich längst in diverse Medien – Games, kollektive | |
Erzählungen, Wikis, demnächst auch einen Spielfilm – verzweigende | |
Horrorgeschichte. | |
Es geht darin um eigentümlich verlassene Räume, Büros, Gänge, in denen | |
womöglich Monster hausen, in anderen Varianten liegt der Schrecken ganz in | |
der Kamerabewegung, im Raum, im Lauern selbst. Zum Einstieg empfohlen: „The | |
Backrooms“ von 2022, mehr als fünfzig Millionen Views hat Youtuber Kane | |
Parsons’ neunminütiger Film bereits generiert. | |
Bedrohliche Desorientierung | |
Der Fachbegriff dafür: „liminal horror“, also etwas wie | |
„Zwischenraum-Schrecken“. Und damit ist das, was man in „Skinamarink“ s… | |
– und eben gerade nicht sieht –, sehr gut beschrieben. Drohend ist weniger, | |
was sich – sei es als Monster, sei es als Überraschung – manifestiert, | |
drohend ist vielmehr die Desorientierung. „Skinamarink“ treibt das ins | |
Extrem. | |
Zwar ist klar, dass der Ort des Geschehens ein Haus in der Nacht ist. Zwar | |
gibt es in diesem Haus zwei Kinder, man sieht sie oder ahnt sie, der Vater, | |
nach dem sie rufen, ist wohl verschwunden, ob die Mutter, die einmal | |
auftaucht, nur halluziniert ist, bleibt unklar. Vielleicht ist all das, was | |
man sieht, ohnehin nur ein nicht auf logische Zusammenhänge zu bringender | |
Traum. | |
Dann aber einer, der sich im Avantgardefilmformat präsentiert. Anders als | |
beim „Blair Witch Project“ sind die Bilder fast nie als subjektive | |
Wahrnehmung zu begreifen, aber auch nicht – wie in der „Paranormal | |
Activity“-Reihe – als später gefundenes Überwachungskamera-Footage. | |
## Kein Horror-Score im üblichen Sinne | |
Oft geht der Blick von tief unten nach oben, an die Decke, auf | |
Treppenabsätze, ins beinahe vollkommen Dunkle, dann wieder rückt, wie in | |
Balls erstem Albtraumvideo, ein Fernseher ins Bild, auf dem, wie in seiner | |
Nostalgic-Reihe, alte Cartoons laufen, mit ihren üblichen drastischen | |
Szenen, Kämpfen, Deformationen. Eine Tür ist da, dann ist sie verschwunden, | |
im Cartoon wie später im „Skinamarink“-Haunted-House. | |
Die Cartoon-Sounds, und andere auch, kommen und gehen, unerklärlichere, | |
jedoch kein Horror-Score im üblichen Sinne. Zu hören sind eine verzerrte | |
Stimme, sind Dialoge, die man kaum versteht, manchmal sind sie als Schrift | |
im Bild untertitelt, manchmal ist da nur Schrift ohne Stimme. Die | |
Einstellungen wechseln, recht schnell, aber es macht nie den Eindruck, als | |
füge sich die Kadrierung oder ihr Wechsel einer menschlichen Logik. Man | |
bekommt keinen Grundriss für das Haus rekonstruiert und auch die | |
Schwerkraft steht irgendwann Kopf, was soeben noch auf dem Boden verstreut | |
lag, klebt nun an der Wand. | |
Was hier umgeht und west, ist die längste Zeit kein Monster, das ein | |
Eindringling aus einer Außenwelt wäre. Fenster oder Türen, durch die jemand | |
kommen oder fliehen könnte, sind ohnehin nicht zu sehen. Ein Notruf über | |
das Festnetztelefon bleibt ohne Folgen. Entworfen wird ein hermetischer | |
Raum, bei dem aber nicht feststeht, dass das, was gerade (ohnehin nur | |
mühsam erkennbar) im On ist, im Off der nächsten Einstellung noch | |
existiert. | |
Es ist, als versuche sich aus der Soundscape, aus dem pixelig vibrierenden | |
Dunkel das, was hier west, immer aufs Neue zu materialisieren, zu | |
stabilisieren, es ist, als würde man Zeuge dieser Anstrengung, eine Figur, | |
einen Plot, ja auch einen Schrecken zu gebären. Der Film ist dabei so | |
viszeral wie abstrakt, von David Lynch bis Kenneth Anger sind viele | |
Assoziationen erlaubt. Nutzer*innenbewertungen im Netz zeigen, dass | |
er stark polarisiert, entweder unheimlichster oder ödester Film aller | |
Zeiten. Eben: ein faszinierendes UFO. | |
7 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Horrorkomoedie-Beau-Is-Afraid-im-Kino/!5930532 | |
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## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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