| # taz.de -- Abenteuerlustiger Film „Trenque Lauquen“: Das Geheimnis im Wirk… | |
| > Die argentinische Regisseurin Laura Citarella hat mit wenig Geld viel | |
| > Raum für Fantasie geschaffen. „Trenque Lauquen“ ist ein rätselhaftes | |
| > Filmobjekt. | |
| Bild: Auf der Suche nach berühmten Frauenfiguren: Laura (Laura Paredes) in „… | |
| Der Film „Trenque Lauquen“ ist Kino als ausgesprochen eigenwilliges Objekt: | |
| Er besteht aus zwei Teilen, zusammen mehr als vier Stunden, 12 Kapitel, | |
| einer überschaubaren Anzahl Figuren, deren Zusammenhang sich nach und nach | |
| erst ergibt, und alles dreht sich, oder bewegt sich um einen Angelpunkt, | |
| den man buchstäblich aus einem See gefischt hat: ein Wesen, das Mensch ist | |
| oder Tier, das vielleicht auch seine Gestalt und Art wandelt, das sich von | |
| einer bestimmten gelben Blume ernährt und das man nie zu sehen bekommt. | |
| Auf diesen, ihren Angelpunkt, stößt die Erzählung allerdings erst im | |
| Verlauf. Es beginnt nämlich eher wie ein Bibliothekskrimi aus dem 19. | |
| Jahrhundert. Eine Frau, Laura (Laura Paredes), ist im titelgebenden | |
| argentinischen Städtchen, in dem sie nur zu Gast ist, auf der Suche nach | |
| berühmten oder bedeutenden Frauenfiguren, die sie in einer Radiosendung | |
| präsentieren kann, wie zum Beispiel: Lady Godiva, die einst nackt auf dem | |
| Pferd durch Coventry ritt. | |
| Und sie stößt bei der Suche auf die [1][russische Revolutionärin Alexandra | |
| Kollontai] beziehungsweise deren „Autobiografie einer sexuell emanzipierten | |
| Kommunistin“ beziehungsweise zwischen zusammengeklebten Seiten dieses | |
| Bandes auf einen vergilbten Brief, der seinerseits auf weitere Briefe in | |
| anderen Büchern verweist. | |
| Carmen Zuna ist der Name der Autorin der Briefe, sie war, wie sich nach | |
| einiger Detektivarbeit ergibt, in Trenque Lauquen vor Jahrzehnten als | |
| Lehrerin tätig. Sie wechselte Briefe mit ihrem Geliebten, dessen Spur sich | |
| in Italien verliert. Die Briefe sind teils sehr heftig erotisch, worüber | |
| sich auch das Verhältnis Lauras zu Ezequiel (Ezequiel Perri) entflammt. | |
| ## Wesen aus dem See | |
| Von dem war noch gar nicht die Rede, dabei beginnt das Ganze mit ihm. Und | |
| mit Rafa (Rafael Spregelburd), Lauras Freund, in dessen Haus sie ziehen | |
| wollte. Nun aber ist sie verschwunden, Rafa und Ezequiel suchen nach ihr. | |
| In Rückblenden puzzelt sich die Vorgeschichte zusammen, nach und nach, mit | |
| Ruhe und mit Geduld präsentiert der Film, der die | |
| Erzähler*innenpositionen und Perspektiven geschickt auf die | |
| einzelnen Kapitel verteilt, was geschehen ist, die | |
| Liebesbriefe-in-Büchern-Geschichte, die Wesen-aus-dem-See-Geschichte, das | |
| alles mit sich langsam entfaltenden und verschiebenden Entwicklungen in der | |
| Erzählgegenwart verschlungen, mit dem Radio als Medium der Sprache und Töne | |
| verbunden, und mit dem Herumfahren im Auto als Medium der Bewegung. | |
| Klar ist, dass sich der Film als Erzählung, die Sprünge macht und Sprünge | |
| hat, an Rätseln und Geheimnissen entlang organisiert. Es ist aber die | |
| Wirklichkeit selbst, die dabei durchquert oder durchstreift wird: Blicke | |
| immer wieder auf den Ort Trenque Lauquen, Landschaften, Häuser, die | |
| Straßen. Kein Zufall, dass die Figuren die Namen der Darsteller*innen | |
| tragen. Am ehesten ist es die Musik von Gabriel Chwojnik, die die | |
| Slow-Cinema-Bilder und Atmosphären von Zeit zu Zeit in andere Gegenden | |
| schubst, mal Richtung Spannung, mal Richtung Horror, mal sehr schwer | |
| definierbar. | |
| Was man nicht loswird, und auch nicht loswerden soll, ist das Gefühl, dass | |
| es von Anfang an nicht um die Lösung der Rätsel und die Auflösung der | |
| Geheimnisse geht, sondern um das Geheimnishafte mitten im Realen als | |
| solches. Und um das Erzählen selbst, dessen Fortgang die Rätsel zwar | |
| organisieren, aber so, dass sich das Wesen der Geschichte so sehr der | |
| eindeutigen Bestimmung entzieht wie das unsichtbar bleibende | |
| Gestaltwandelwesen aus dem See. | |
| Zwar öffnet sich am Ende eine Tür und man gelangt in einen Raum irgendwo | |
| zwischen Treibhaus, Science-Fiction-Kulisse und Kunstinstallation, aber | |
| hier schließt sich nichts, eher öffnet sich was, ein verlassener Raum, den | |
| die Protagonistin bestaunt und wieder verlässt. Das Ende selbst bewegt sich | |
| hinaus in die Natur, klärt nichts, Laura Citarella lässt nur, wie eine | |
| Zauberin, die keine Tricks nötig hat, die Figur in der Landschaft | |
| verschwinden. | |
| ## Die Freiheit, alles so zu tun, wie es richtig erscheint | |
| Vom Himmel gefallen ist dieses eigenwillige Filmobjekt nicht. Der | |
| Zusammenhang seiner Entstehung ist ganz im Gegenteil klar: Er trägt den | |
| Namen El Pampero Cine, existiert seit rund zwanzig Jahren in Buenos Aires | |
| und um Buenos Aires herum, produziert Filme, aber ist keine Firma, sondern | |
| eine Clique, ein Kollektiv von Filmemacher*innen, in dem alle mal diese, | |
| mal jene Funktion übernehmen. | |
| Den auch schon viel bewunderten, noch verspielteren [2][Zwölfstünder „La | |
| Flor“ von 2018, bei dem Mariano Llinás Regie geführt hat], hat Laura | |
| Citarella produziert; Alejo Moguillansky, selbst Regisseur einiger Filme, | |
| hat den Schnitt bei „La Flor“ wie bei „Trenque Lauquen“ gemacht. Dessen | |
| Hauptdarstellerin Laura Paredes hat auch schon in „La Flor“ mitgespielt und | |
| nun das Drehbuch zu „Trenque Lauquen“ gemeinsam mit Citarella geschrieben. | |
| Fantasie hat die Gruppe, großen Erfolg auf Festivals inzwischen auch, Geld | |
| im engeren Sinn hat sie für ihre Projekte meist nicht und will sie auch | |
| nicht, sofern es die Freiheit, alles so zu tun, wie es richtig erscheint, | |
| einschränken würde. Man arbeitet lieber nach Art der Termiten und errichtet | |
| mit sich geduldig voran arbeitender Erfindungskraft auf leise Art | |
| spektakuläre Bauten unter und über der Erde. | |
| Die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit ist dabei so durchlässig wie | |
| die zwischen Filmarbeit und dem Leben daneben. Was dabei entsteht, ist eine | |
| arme Kunst, die ihren Reichtum daraus bezieht, dass Mangel an Geld in | |
| vieler Hinsicht misslich sein mag, eines aber nicht durchkreuzt und | |
| begrenzt: den Möglichkeitsraum, den eine wild wuchernde Fantasie des | |
| Erzählens bespielt. | |
| 5 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
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