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# taz.de -- Kinokomödie „Der beste Film aller Zeiten“: Spielfeld der Eitel…
> Dem Größenwahn beim Platzen zuzusehen, stiftet Schadenfreude. Davon gibt
> es reichlich in der Komödie „Der beste Film aller Zeiten“.
Bild: Die Regisseurin Lola Cuevas (Penélope Cruz) mit einem ihrer Löwen (Anto…
Auf wundersame Weise hat es Daniel Mantovani auch in diesen Film geschafft.
Mantovani ist jener argentinische Nobelpreisträger, der sein
Heimatstädtchen Salas zum Handlungsort seiner Geschichten erklärt. Salas,
wo sich Grausamkeit und Mittelmaß die Hand reichen. Wo sich brutale
Vorkommnisse ereignen, Männer in Gießereien verbrennen und Zwillingsbrüder
derselben Prostituierten verfallen. Salas ist gleichsam Ausdruck wie
Bedingung von Mantovanis weltberühmtem Werk.
Was, Sie haben noch nie von ihm gehört? Das ist bedauerlich, aber auch
nicht weiter überraschend. Denn Daniel Mantovani und seine Romane
existieren einzig im Universum des Regieduos Gastón Duprat und Mariano
Cohn.
Die beiden Regisseure begannen ihre Karriere im argentinischen Fernsehen,
schufen dort innovative Formate und versuchten sich bald an Langfilmen.
[1][Mit „Der Nobelpreisträger“ („El ciudadano ilustre“) wurden sie 201…
Wettbewerb von Venedig auch einem größeren Publikum bekannt.] In der Rolle
des Nobelpreisträgers Daniel Mantovani wurde Oscar Martínez mit einer Coppa
Volpi als bester Darsteller ausgezeichnet. In „Der beste Film aller Zeiten“
(„Competencia oficial“) hat die Figur des Mantovani nun eine kleine, aber
pointierte Funktion: Er ist der Autor des Romans, um dessen Verfilmung es
gehen soll.
Als Person tritt er dabei allerdings nicht in Erscheinung, denn Duprat und
Cohn haben sich diesmal dazu entschieden, Oscar Martínez mit einer anderen
Hauptrolle zu bedenken.
Als Meisterschauspieler Iván Torres mimt er den feinsinnigen
Intellektuellen, der mit seiner Frau, einer Kinderbuchautorin,
Experimentalwerke von in Düsseldorf gestrandeten Kanadiern auf Vinyl
genießt. Seinen Schülern empfiehlt er, sich gründlich Gedanken darüber zu
machen, ob sie das Handwerk des Schauspielers wirklich erlernen möchten,
denn nur einer unter ihnen hätte wirklich das Zeug dazu (und im Übrigen
bräuchte die Welt vor allem Zahnärzte). Gegenüber niederen Verführungen
tritt er unbestechlich auf und sagt Sätze wie: „Ich hasse es, wenn man mich
zwingt, privilegiert zu sein.“
Und so ist er, gerade aufgrund seiner vermeintlichen Zurückhaltung und
Tiefe, schnell als kolossales Ego zu erkennen.
## Vergnügliche Enttarnung
Die Kunst von Gastón Duprat und Mariano Cohn ist die der vergnüglichen
Enttarnung. Sie beherrschen ihr Metier. Im so abstoßenden wie köstlichen
Dokumentarfilm „Todo sobre el asado“ (2016), der sich einer besonderen
Kulturtechnik Argentiniens widmet – dem asado, einer Grillmahlzeit von fast
heiliger Dimension –, ließen sie zahlreiche (männliche) Grillexperten zu
Wort kommen.
Sie alle fabulierten munter vor sich hin, demonstrierten das Wasser, das
ihnen beim Anblick der fachmännisch zerteilten Rinderteile in den Mündern
zusammenfloss. Duprat und Cohn ließen sie gewähren. Brachten aber auch eine
Zahnärztin mit ins Spiel, die den Mundgeruch betonte, welcher viele
Asado-Liebhaber befalle.
Es sind geschickte Manöver, die beide vollführen: Ihr Ziel ist es nicht,
einen Sachverhalt zu erklären. Vielmehr lassen sie etwas in seiner ganzen
schrecklichen Schönheit, seiner überwältigenden Stumpfheit wirken – und
setzen anschließend einen Kontrapunkt.
„Der beste Film aller Zeiten“ lebt von diesem Prinzip, indem er sich vor
allem der Dynamik zweier Schauspielerfiguren hingibt. Einer von ihnen ist
besagter Iván Torres, der Kultivierte, Bescheidene. Sein Gegenpol heißt
Félix Rivero (Antonio Banderas). Rivero ist ein Star, ein
Publikumsliebling, ein eitler Sack, der seine Muskeln mit einem EMS-Gerät
stimulieren lässt, während eine seiner namenlos bleibenden Geliebten nackig
im Hintergrund hockt. Rivero hat sogar noch mehr Preise als Torres
eingeheimst, und das, obwohl seine Filmtränen nicht einmal echte Tränen
sind, sondern bloße vom Mentholstift hervorgerufene Tropfen.
## Regisseurin mit Anspruch
Mit beiden herumplagen muss sich Lola Cuevas (Penélope Cruz), Regisseurin
mit Anspruch und Gewinnerin einer Goldenen Palme. Sie wurde von
Multimillionär Humberto Suárez (José Luis Gómez) beauftragt, Mantovanis
Roman über zwei rivalisierende Brüder zu verfilmen. Suárez tritt als
Produzent in Erscheinung, denn er sitzt in einem Schlamassel: Zwar habe er
in seinem Leben unvorstellbare Reichtümer angehäuft, aber kein Renommee.
Der beste Film aller Zeiten soll diesen Missstand beseitigen.
Und so beginnen die Proben in seinem ansonsten ungenutzt bleibenden
Stiftungsgebäude, einem Ort schier gigantischen Ausmaßes, der wirkt wie
eine sonderbar verschachtelte Pyramide. Es ist eine Architektur, die Platz
generiert. Platz, um in einem „Zustand permanenter Poesie“ zu verweilen,
wie es Iván Torres’ Gattin einmal nennt. Poetisch ist das, was während der
darauffolgenden Tage passiert, aber keineswegs. Die Sprechproben geraten
zum Kräftemessen, zum Spielfeld vieler kleiner Sticheleien und Experimente.
## Eine wertvolle Spannung kreieren
Die Regisseurin Lola, deren Frisur an Björks „Biophilia“-Phase erinnert
(ein Berg roter, flauschiger Locken), treibt Iván und Félix an ihre
Grenzen, indem sie die beiden etwa unter einen schwebenden Findling
platziert. Die Angst, das schwere Ding könnte fallen, solle eine wertvolle
Spannung kreieren. In einer anderen Situation arbeitet sie daran, ihrer
aller Ego zu brechen, indem sie erhaltene Auszeichnungen einem
Metallschredder zum Fraß vorwirft.
„Der beste Film aller Zeiten“ ist eine Selbstreflexion über das Kino, das
Filmemachen, den Drang, Bedeutsames zu schaffen und ruhmreich zu sein. Cohn
und Duprat arbeiten dafür mit überzogenen Figuren, die einem dennoch
bekannt vorkommen. Menschen, die ihren Lebensweg mit einer ziemlichen
Radikalität verfolgen, in Superlativen leben und sich in ihren Attitüden
gegenseitig konterkarieren.
Es ist ein großes Vergnügen, diesen entfesselten Kräften zuzusehen, einer
eitlen Welt, wie man sie in anderen Gewichtungen immer wieder vorgeführt
bekam (Fellini, Wilder, Mankiewicz) und heute noch bekommt (Assayas,
[2][Östlund], [3][Ferrara]). Es ist eine Freude, explizit auch eine
Schadenfreude, Größenwahn auf der Leinwand beim Platzen beizuwohnen.
Ein Vergnügen, das sich noch roher vielleicht in „Der Nobelpreisträger“
manifestierte, jenem Spießrutenlauf des Daniel Mantovani durch sein lange
verschmähtes, doch bis aufs Äußerste ausgeschlachtete Salas. Wo aus dem
frisch erkorenen Ehrenbürger binnen weniger Tage eine Persona non grata
wurde. Und die aufgrund von Distanz angekitschten oder verdrängten
Erinnerungen einen harten Abgleich mit der Realität erfuhren. „Der beste
Film aller Zeiten“ ergeht sich hingegen in einem Wettbewerb, einem
Hahnenkampf um das vorzüglichste Spiel, angeleitet, unterwandert und zum
Teil auch mitgetragen von einer Regisseurin, die, bewusst oder auch nicht,
das Selbstwertgefühl der Männer provoziert.
Dass Gastón Duprat und Mariano Cohn dabei eine Welt schaffen, in der
Dokumentarisches und Fiktives interagieren und Zitate auf das eigene Werk
verweisen – so gibt es in „Der Nobelpreisträger“ ein asado, in welchem
Sätze aus „Todo sobre el asado“ fallen – macht das Ganze umso spannender.
Und es verdeutlicht, dass beide ihre Inspiration für Schwarzhumoriges
nirgendwo anders auflesen als dort, wie es sich gemeinhin tagtäglich
präsentiert: vor den eigenen Augen.
29 Jun 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Carolin Weidner
## TAGS
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