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# taz.de -- Die Wahrheit: Im Klub der Kotzbrocken
> Wie viel Wahrheit enthält die neue Autobiografie des ehemaligen
> „Bild“-Chefredakteurs Kai Diekmann? Hier die erste von zwei
> schonungslosen Analysen.
Bild: Historisches Penisometer zum historischen Penisprozess
Alte Männer erzählen gern vom Krieg. Und wenn sie in keinem echten waren,
muss schon mal drei Nummern kleiner ein Zeitungskrieg herhalten. Um vom
momentanen Hype um den großen
Springer-Döpfner-Reichelt-Stuckrad-Barre-Komplex zu profitieren, hat der
langjährige Bild-Chefredakteur Kai Diekmann jetzt auch noch ein Buch
vorgelegt – zum Glück keinen Roman, aber eine Autobiografie zu seinem alles
bestimmenden Lebensthema: „Ich war Bild“. Darin beschreibt Diekmann ein 16
Jahre währendes „Leben zwischen Schlagzeilen, Staatsaffären und Skandalen�…
so der Untertitel.
Ausgespart ist selbstverständlich sein unrühmlicher Abgang, der wohl auch
durch die Belästigung einer Mitarbeiterin beim Nacktbaden am See ausgelöst
worden sein soll, wie man aus Benjamin von Stuckrad-Barres Kolportagewerk
„Noch wach?“ herauslesen kann. Lieber berichtet der bekennende
Helmut-Kohl-Jünger Diekmann von all den wundervollen Prominenten, die
seinen Weg kreuzten, deren Bilder den Innenumschlag zieren und die ein
beredtes Mahnmal für die alte Wahrheit-Devise liefern: „Prominente sind die
Kotze Gottes.“
Ein langes Kapitel widmet der größte Boulevardist aller Zeiten seiner
Lieblingsfeindin, der taz, und ihrer Tochter, der Wahrheit, hatte die doch
einst sein wichtigstes Denkorgan in den Mittelpunkt des öffentlichen
Interesses gestellt – im sogenannten Penis-Prozess. Bei dem es laut
Diekmann um die Frage ging: „Wer hat den Längeren?“
Zu Beginn des Jahrhunderts überschwemmten immer mehr Nacktbilder das
Blut-und-Sperma-Blatt Bild, das Diekmann knallhart sexualisierte. Dazu
gehörte auch die Geschichte des Schweizer Botschafters Thomas Borer und
seiner Frau Shawne Borer-Fielding. Im Jahr 2002 wurde Borer vom Schweizer
Boulevardblatt Blick ein Verhältnis mit einem sogenannten Botschaftsluder
unterstellt. Nach einer Fehlgeburt seiner texanischen Frau brachte Bild die
Story in extrem widerlicher Form auf ihre Titelseite.
## Operation am Dödel für 500 Dollar?
Vor diesem Hintergrund, den Diekmann wohlweislich ausklammert, schrieb der
Wahrheit-Autor Gerhard Henschel seine Untenrum-Satire mit dem Titel
„Sex-Schock! Penis kaputt?“ Diekmann habe angeblich in Texas für „500
Dollar“ eine Operation an seinem Dödel vornehmen lassen. Dabei, so
Henschel, sei wohl etwas schiefgegangen. Mehr darf man heute leider aus dem
Text nicht zitieren, aber allein die „500 Dollar“ sind genial, denn wer
würde schon so wenig für eine solch wichtige Operation an seinem besten
Stück bezahlen? Sicher nicht ein Bild-Boss, der Millionen verdient.
Im Text aber war der Eingriff in die Intimsphäre so offensichtlich, dass
sich die Wahrheit-Redaktion wegen der möglichen juristischen Folgen vor der
Veröffentlichung mit dem Hausjustiziar und der Chefredaktion der taz
abstimmen musste. Die Einschätzung war unentschieden: fifty-fifty. Die
Teppichboden-Etage meinte, dass Diekmann gerade versuche, in der Branche
als seriöser Journalist eines ernsthaften Leitmediums wahrgenommen zu
werden. Deshalb sei er bestimmt nicht so dumm, wegen einer Satire zu
klagen. Also riskierten wir es. Der Text erschien am 8. Mai 2002. Und
Diekmann tat uns den Gefallen: Er klagte.
In seinem Buch klingt das dann so: „Ich sage immer, wer als Bild-Chef
austeilt, muss auch einstecken können, aber in diesem Moment habe ich die
Nase einfach voll. Die wollen Keile? Dann kriegen sie Keile.“ Der
Schwerverletzte verlangte Schmerzensgeld. Erstmals verrät Diekmann nun,
dass die Springer-Anwältin für „stramme 50.000 Euro plädiert“, und fährt
dann herablassend fort: „Aber ich habe Mitleid: Die taz schrammelt
chronisch an der Pleite vorbei – wäre doch nicht schön, die ganze Redaktion
führe wegen meines Penis vor die Wand. Also belassen wir es bei 30.000.“
Eine Arroganz, die Diekmann noch teuer bezahlen sollte, hängt ihm sein
kurzes Geschlechtsteil doch nun ein Leben lang an.
## Countdown mit geflicktem Pimmel
Wir hatten derweil viel Spaß mit Diekmanns Penis! Ein meisterliches Werk
der Penis-Kunst stammt vom Wahrheit-Zeichner ©Tom, der in der Woche vor dem
ersten Prozess auf der Seite einen Countdown startete – einen täglich immer
kürzer werdenden geflickten Pimmel. Und allein den gegnerischen Anwalt zu
erleben, den feinsinnigen Juristen Peter Raue mit seiner gediegenen Fliege,
der sich sonst nur mit Hochkunst in der Berliner Nationalgalerie
beschäftigte und nun dauernd im Gericht angewidert das Wort
„Penisverlängerung“ in den Mund nehmen musste, war die Arbeit wert.
Auch Diekmann bedauert seinen Anwalt, der doch ein „Topanwalt in
Medienfragen“ sei: „Wie ein biblischer Prophet, das gewellte schlohweiße
Haar sorgfältig vom linken zum rechten Ohr gekämmt, hält er den
Penis-Artikel hoch und fragt mit dramatischer Stimme: 'Was hat die arme
Mutter von Kai Diekmann gedacht, als sie diesen Text gelesen hat: ‚Kind,
was machst du denn?‘“ An das stürmische Gelächter in dem biblischen Moment
kann sich jeder Beobachter noch gut erinnern. „Vermutlich gibt es keinen
deutschen Medienjournalisten, der nicht anwesend ist“, vermutet Diekmann
und nennt das Schauspiel mit cäsarischem Größenwahn „Panem et circenses“.
Juristisch ging der Vorgang durch zwei Instanzen, bis das Berliner
Kammergericht das letzte Urteil fällte: Zwar handle es sich bei dem Text
von Henschel um eine Satire, aber es läge eindeutig eine
Persönlichkeitsrechtsverletzung vor, befanden die Richter, die jedoch auch
darauf erkannten, dass die Verletzung nicht so schwerwiegend sei, dass dem
Kläger daraus ein Schmerzensgeld zustände. Vielmehr müsse der
Bild-Chefredakteur hinnehmen, dass für ihn andere juristische Maßstäbe
gelten.
## Die eigene Unterhose im Wind
Mit anderen Worten: Wer den ganzen Tag die Unterhosen fremder Menschen aus
dem Fenster hängt, der sollte einmal spüren, wie es ist, wenn die eigene
Unterhose im Wind flattert. Abschließend verfügte das Gericht, dass der
Text nicht mehr veröffentlicht werden darf. Jeder Verstoß würde ein
Ordnungsgeld von 250.000 Euro nach sich ziehen.
Im Boxen nennt man so etwas einen Punktsieg – für die Wahrheit und für das
Presserecht, dem in der ewigen Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und
Meinungsfreiheit eine durchaus historische Entscheidung zuteil wurde. Zehn
Jahre später sprach Diekmann in einem Interview mit der türkischen Zeitung
Hürriyet vom größten Fehler seines Lebens, die Klage angestrebt zu haben.
Auch in seinem Buch gibt er sich einsichtig: „Sieg für die taz. Diekmann k.
o. Ich bin ein solcher Idiot.“ Da möchte man nicht widersprechen. Dafür
konnte man sich einige Zeit später persönlich davon überzeugen, wie
Diekmann bei der Arbeit auftrat: „Die Feindes-taz“. Eine in der taz nicht
unumstrittene Marketingidee. (Fortsetzung folgt)
19 May 2023
## AUTOREN
Michael Ringel
## TAGS
Die Wahrheit
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Penis
Axel Springer
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