# taz.de -- Sudan-Experte zu Deutschlands Rolle: „Mit Waffen vollgepumpt“ | |
> Roman Deckert erklärt, dass Deutschland vor Jahren maßgeblich Sudans | |
> Unterdrückungsapparat mit aufgebaut hat. Aber das ist nicht seine einzige | |
> Kritik. | |
Bild: „Bewundernswerte Solidarität“: Warten auf ein Evakuierungsschiff in … | |
taz: Herr Deckert, was im Sudan geschieht, ist das ein Bürgerkrieg? | |
Roman Deckert: Ich warne vor dem Begriff. Er impliziert Chaos, alle gegen | |
alle, und verstellt den Blick darauf, dass die Zivilbevölkerung beide | |
Parteien weitgehend ablehnt. Die Menschen sind in den letzten Jahren für | |
Gewaltfreiheit eingetreten und praktizieren auch aktuell bewundernswerte | |
Solidarität. In erster Linie handelt es sich um einen Konflikt zwischen | |
zwei machthungrigen Generälen, Burhan mit der regulären Armee und Hametti | |
mit seinen Rapid Support Forces (RSF). | |
Wenn der Zusammenhalt so groß ist, was bewegt dann Zehntausende Kämpfer | |
loyal gegenüber der einen oder anderen Seite zu sein? | |
Sowohl die Armee als auch die RSF sind Arbeitgeber. Fachleute schätzen, | |
dass sie zusammen rund die Hälfte der Volkswirtschaft kontrollieren. Vor | |
allem für die Menschen in den marginalisierten Peripherien ermöglichen die | |
Milizen – RSF oder andere – sozialen Aufstieg. Selbst für Omar al-Bashir, | |
den 2019 gestürzten Präsidenten, war die Armee die einzige Chance | |
aufzusteigen. Er kam aus sehr einfachen Verhältnissen im Vergleich zur | |
urbanen Elite, die noch von der Kolonialmacht Großbritannien eingesetzt | |
wurde. Aktuell sehen wir Familien, in denen der eine Bruder für die RSF | |
kämpft, der andere für die Armee. | |
Der Konflikt verläuft also nicht entlang ethnischer oder weltanschaulicher | |
Linien? | |
Konflikte werden auch in Qualitätsmedien oft auf ethnische Gewalt verkürzt, | |
was suggeriert, dass Ethnizität die Ursache eines Konflikts ist. Deshalb | |
bin ich da sehr vorsichtig. Aber es gibt im Sudan eine ethnische | |
Komponente. Die RSF rekrutierten sich hauptsächlich aus dem Westsudan. | |
Viele Sudanesen im Zentrum sagen, dies seien Ausländer, da viele | |
RSF-Kämpfer aus dem Tschad kommen. Die Armee wird von manchen daher als | |
Akteur betrachtet, der sie vor Eindringlingen aus dem Ausland | |
beziehungsweise der Peripherie schützt. | |
Welche Rolle spielt aktuell die sudanesische Protestbewegung, die 2019 mit | |
Massenprotesten die Absetzung Bashirs herbeiführte? | |
Eine bewundernswerte! Sie hat Hilfsnetzwerke aufgebaut, plant Fluchtrouten, | |
schleust Leute aus umkämpften Stadtteilen heraus und beschafft Lebensmittel | |
und Medikamente. Die Leute öffnen ihre Häuser für Flüchtende. Die Bewegung | |
hat auch dafür gesorgt, dass Ausländer aus Khartum evakuiert werden | |
konnten. Die dezentralen Nachbarschaftskomitees, Teil der Protestbewegung | |
von 2019, werden jetzt von westlichen Diplomaten viel gelobt. Aber genau | |
diese basisdemokratischen Akteure wurden zuvor ignoriert. Entsprechend sind | |
in der Zivilbevölkerung die Klagen groß, was die internationale | |
Gemeinschaft angeht. Der UN-Sudanbeauftragte Volker Perthes, der jetzt vor | |
dem Scherbenhaufen seiner eigenen Initiativen steht, ist zu einer Hassfigur | |
geworden. | |
Was ist die Kritik am UN-Beauftragten Volker Perthes? | |
Ihm und anderen Akteuren wird vorgeworfen, dass sie zu lange auf die beiden | |
Militärs Burhan und Hametti gesetzt und sie damit legitimiert haben. Dass | |
man nach dem Sturz Baschirs auf die beiden als Hauptakteure gesetzt hat, | |
war von Anfang an schwierig, besonders aber nach dem Staatsstreich gegen | |
die zumindest nominell zivil geführte Regierung 2021. | |
Was wäre die Alternative gewesen? | |
Die Forderung der Nachbarschaftskomitees war, dass sich Armee und RSF | |
komplett heraushalten. Das war allerdings eine Maximalforderung, die so | |
nicht realistisch war. Die Kritik richtet sich aber auch deshalb an die | |
westliche Welt, weil die entscheidenden Akteure die US-Verbündeten | |
Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate waren. Die haben | |
Hametti all die Jahre aufgerüstet. Hametti hat im Gegenzug Fußtruppen | |
rekrutiert und nach Jemen geschickt. Seine andere Einnahmequelle ist Gold, | |
das hauptsächlich über Dubai vermarktet wird. Viele sudanesische Analysten | |
klagen, dass die USA ihre Sudanpolitik an Saudi-Arabien und die Emirate | |
outgesourct hat. | |
Und die Europäer? | |
Das europäische und speziell das deutsche Interesse besteht in erster Linie | |
darin, dass keine weiteren Flüchtlinge kommen. Der Sudan ist | |
Hauptdurchgangsland für Flüchtlinge aus Äthiopien und Eritrea, weshalb man | |
auf Stabilität setzt. Aber wenn das heißt, auf autoritäre Systeme zu | |
setzen, dann ist dies nur eine vermeintliche Stabilität. Genau das fällt | |
einem jetzt auf die Füße. Hunderttausende Flüchtlinge versuchen jetzt, aus | |
dem Sudan herauszukommen. Das ist die bittere Ironie der Geschichte. | |
Stichwort Geschichte: Sie haben auf Twitter auch die historische Rolle | |
Deutschlands kritisiert... | |
Der sogenannte Kalte Krieg war am Horn von Afrika ein heißer | |
Stellvertreterkrieg zwischen der westlichen Welt und dem Ostblock. Der | |
Sudan rief zum 1. Januar 1956 seine Unabhängigkeit aus, zur gleichen Zeit | |
erklärte die Adenauer-Regierung die Hallstein-Doktrin, um eine Anerkennung | |
der DDR im globalen Süden zu verhindern. Dafür hat die Adenauer-Regierung | |
den Sudan zu einem Bollwerk gegen östliche Einflüsse aufgebaut. | |
Inwiefern? | |
Man hat den Sudan mit Waffen vollgepumpt, vor allem mit Gewehren von | |
Heckler & Koch, aber auch mit anderen Waffengattungen, Munition und | |
Fahrzeugen. Ironischerweise wurde auch die Luftwaffenbasis in Wadi Seidna, | |
von wo aus die Bundeswehr jetzt evakuiert hat, von der Bundeswehr | |
aufgebaut. Außerdem hat man Personal im Geheimdienst- und Militärbereich | |
ausgebildet. Sudans gesamter Unterdrückungsapparat wurde maßgeblich von | |
Deutschland mit aufgebaut. Am nachhaltigsten war der Bau einer | |
Munitionsfabrik nahe Khartum durch eine bundeseigene Firma, Fritz Werner. | |
Die Fabrik war der Kern eines staatseigenen Verteidigungsunternehmens, mit | |
dem sich der Sudan nach Ende der deutschen Hilfe Anfang der 90er seine | |
eigene Militärindustrie aufbaute. Die Militarisierung der politischen | |
Ökonomie im Sudan ist erst möglich geworden durch drei Jahrzehnte direkter | |
Waffenhilfe aus Deutschland und später dann indirekt über Saudi-Arabien. | |
Welche Ziele verfolgte Berlin dann später? | |
Aufgrund ihrer historischen Rolle hat die BRD eine besondere Stellung beim | |
Regime in Khartum genossen. Bis in die 2010er Jahre galt die deutsche | |
Diplomatie als die khartumfreundlichste. Man muss dabei anerkennen, dass | |
das Ziel eine sogenannte weiche Landung Sudans war, ein Übergang von einem | |
Militärregime zu einer zivilen Führung. Wenn man eine Transformation | |
beeinflussen will, steckt man immer in dem Dilemma, dass man sich mit Typen | |
einlassen muss, die massenhaft Blut an den Händen kleben haben. Auch Volker | |
Perthes hat früher die Strategie der weichen Landung vertreten. Denn die | |
Isolierung durch die USA in den 90er Jahren, die Einordnung als | |
Schurkenstaat, die US-Sanktionen und die Dämonisierung Bashirs hatten nicht | |
zu einer Demokratisierung geführt. Der Versuch, den Sudan in die | |
internationale Gemeinschaft zurückzuholen, ist also nicht nur kritisch zu | |
sehen, wenngleich natürlich das Interesse maßgeblich war, Flüchtlingsströme | |
zu unterbinden, und die Strategie einen Deal mit dem Teufel beinhaltete. | |
Dieser letzte Punkt wird von den revolutionären Nachbarschaftskomitees | |
hervorgehoben. | |
Wie sah dieser Deal aus? | |
Die Hauptkritik ist, dass die Überwachung der Grenze gestärkt werden sollte | |
und der Grenzschutz vor allem aus den RSF-Milizen bestand. | |
Es heißt, die EU habe den Aufbau des Grenzschutzes mit finanziert. | |
Das ist der Vorwurf. Inwieweit es substanzielle Unterstützung für Hametti | |
gab, weiß ich nicht. Das Problem ist, dass man Hametti damit legitimiert | |
und nicht genug Einfluss auf die eigenen Verbündeten ausgeübt hat. Denn | |
Saudi-Arabien und die Emirate haben Hametti tatsächlich mit substanzieller | |
Waffenhilfe aufgebaut. | |
Wie geht es weiter? Sehen Sie Wege raus aus der Eskalation? | |
Es gibt Anzeichen, dass die jeweiligen Verbündeten nicht weiter Öl ins | |
Feuer gießen. Von internationaler Seite muss das unterstützt werden, um | |
Waffennachschub und Finanzströme an die Kriegsparteien zu unterbinden. Ich | |
knüpfe meine Hoffnung außerdem an die Ablehnung von Gewalt durch die | |
Bevölkerung. Die Frauen und Männer der basisdemokratischen | |
Nachbarschaftskomitees sind die Zukunft. Die Bevölkerung hat sich schon | |
dreimal gegen Militärregime erhoben: 1964, 1985 und 2019. Es gibt eine | |
stolze Tradition und eine Resilienz, die sich ins kollektive Bewusstsein | |
eingebrannt hat. Khartum versinkt aktuell in Schutt und Asche, aber aus | |
dieser kann ein neuer Sudan auferstehen. | |
3 May 2023 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Krieg in Sudan | |
Sudan | |
Khartum | |
Saudi-Arabien | |
Schwerpunkt Krieg in Sudan | |
Fluchtrouten | |
Schwerpunkt Krieg in Sudan | |
Schwerpunkt Krieg in Sudan | |
Schwerpunkt Krieg in Sudan | |
Schwerpunkt Krieg in Sudan | |
Warlord | |
Schwerpunkt Krieg in Sudan | |
Sudan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gewalt gegen Frauen in Sudan: „Keine Frau in Khartum ist sicher“ | |
Seit Kriegsausbruch steigt die Zahl der Vergewaltigungen in Sudan. Suleima | |
Ishaq kümmert sich mit ihrer Organisation um betroffene Frauen. | |
Flucht aus dem Bürgerkrieg: Ohne Reisepass kein Durchlass | |
Die meisten ausländischen Botschaften sind geschlossen. Nun stehen hunderte | |
Sudanes:innen ohne Pässe da, eine Ausreise ist unmöglich. | |
Ein Monat Krieg in Sudan: Der Himmel über Khartum brennt | |
Seit einem Monat herrscht Krieg in Sudan. Khartum wird jede Nacht | |
bombardiert. Widerstandskomitees organisieren eine Notversorgung. | |
Dialog mit Vermittlern der USA und UNO: Vorverhandlungen für Sudan beginnen | |
Vertreter beider Kriegsparteien reisen nach Saudi-Arabien. Es geht zunächst | |
ausschließlich um Gespräche über die humanitäre Lage. Der Krieg tobt | |
weiter. | |
Olaf Scholz in Äthiopien: Der rote Teppich fehlt | |
Als erster westlicher Politiker seit Kriegsbeginn besucht Olaf Scholz die | |
Afrikanische Union. Konkrete Zusagen macht der Kanzler bislang nicht. | |
Krieg in Sudan: In den Abgrund | |
Internationale Vermittler schaffen es nicht, eine Feuerpause auszuhandeln, | |
der Frieden rückt in weite Ferne. Und bald haben die Menschen nichts mehr | |
zu essen. | |
Krieg in Sudan: Ein verhinderbarer Krieg | |
Viel zu oft wacht die internationale Gemeinschaft viel zu spät auf. | |
Rechtzeitige Intervention hätte das Blutvergießen in Sudan aufhalten | |
können. | |
Krieg in Sudan: Keine Abschiebungen in Kriegsgebiet | |
Pro Asyl ruft die Bundesregierung auf, Abschiebungen nach Sudan zu stoppen. | |
Außerdem fordert sie humanitäre Korridore. | |
Krieg in Sudan: Nicht auf der Prioritätenliste | |
Der Konflikt in Sudan wird erst enden, wenn die Militärs die Macht an eine | |
zivile Regierung abgeben. Der Schlüssel dazu liegt in Ägypten und am Golf. |