# taz.de -- Profifußball in der Ukraine: Mal Spielfeld, mal Front | |
> An Wochenenden kickt Olexander Kutscherenko für den FC Inhulez Petrowe in | |
> der ukrainischen Profiliga. Zwischen den Spielen fährt er in den Donbass. | |
Bild: Olexander Kutscherenko bei seinem Hilfstransport | |
Das Bemerkenswerteste am ukrainischen Fußball dieser Tage ist sicher, dass | |
er während des Krieges weiter existiert – ganz einfach so, als wäre nichts | |
geschehen. Der [1][Ligabetrieb] in fast allen Spielklassen läuft, und | |
mitunter werden Spieler ins Ausland [2][transferiert]. Auch in Zeiten des | |
Kriegsrechts können sie ins Ausland reisen, obwohl Männer das Land | |
eigentlich [3][nicht verlassen] dürfen. Etliche Klubs der Premier League | |
geben wieder viel Geld aus, um Spieler aus dem Ausland zu verpflichten. | |
Da ist es beinahe ein Wunder, was Olexander Kutscherenko vom FC Inhulez | |
Petrowe zu Wege bringt. Zwischen den Spielen und Trainingseinheiten schafft | |
er es, regelmäßig in Städte in der Nähe der Front zu reisen, um humanitäre | |
Hilfe für Zivilisten und Militärs zu leisten. Die Videos, die Kutscherenko | |
auf Instagram postet, zeigen die Krater von eingeschlagenen Granaten und | |
Minen auf beiden Seiten der Straßen, leere und zerstörte Städte und | |
Hunderte von Menschen, denen sein Hilfseinsatz zugutegekommen ist. | |
Dabei ist Kutscherenko der wichtigste Spieler des Erstligaklubs Petrowe im | |
Gebiet Kirowograd. Zuvor lief er für den mittlerweile aufgelösten Wolyn | |
Luzk auf. Aus dieser Zeit stammen viele Freundschaften. Er hat erfahren, | |
was Krieg bedeutet. Gleich in den ersten Kriegstagen hat er Kisten mit | |
Hilfsgütern gepackt, die an die Front im Osten und Süden der Ukraine | |
geschickt wurden. Bald beschloss er, die Hilfsgüter selbst auszuliefern. | |
Kutscherenko stammt aus Slowjansk im Gebiet Donezk, wo seine Eltern bis | |
heute leben. Auch ihr Haus wurde getroffen – Granatsplitter haben das Dach | |
zertrümmert. Warum sie die Gefahrenzone nicht verlassen? Sie hätten Angst | |
davor, was woanders auf sie zukommt, berichtet Kutschernko. „Das ist unser | |
Land, sagen sie. Wie oft habe ich schon versucht, sie zur Flucht zu | |
bewegen. Aber sie wollen nicht weg.“ 2014 haben sie erlebt, wie ihre Stadt | |
für kurze Zeit von russischen Einheiten besetzt worden ist. „In solchen | |
Momenten wird einem klar, wie sehr man auf die Hilfe von Verwandten | |
angewiesen ist. Aber nicht jeder hat Angehörige, die in solchen Momenten | |
helfen können“, sagt der Fußballer. „Dafür gibt es Freiwillige.“ | |
So liefert er Nachschub für das Militär und organisiert gezielte Übergaben | |
von Hilfsmitteln an die Zivilbevölkerung in Bachmut, Sewersk und | |
Konstantinowka – Städte an der Front, die von den Russen dem Erdboden | |
gleichgemacht werden. | |
## Ein Geländewagen für die Armee | |
„Wir füllen Kisten mit Waren und verteilen sie nach und nach an bestimmten | |
Orten. Am Tag vor unser Ankunft informiere ich die Leute, dass wir kommen.“ | |
Kutscherenko berichtet: „Als es noch möglich war, nach Bachmut zu fahren, | |
habe ich oft in den Kellern der zerstörten Häuser nach Menschen gesucht, | |
die sich vor den Explosionen versteckt hatten.“ | |
Zunächst hat er selbst Lebensmittel oder militärische Ausrüstung eingekauft | |
und auf eigene Kosten den Lkw betankt. Dann begannen Bekannte in Luzk, | |
Lebensmittel für seine Transporte zu sammeln. Kutscherenko und ein paar | |
Freunde bringen nun Fleischkonserven, Medikamente zur Wundheilung, Mehl, | |
Energydrinks, Brot und Kekse in den Osten des Landes. „Einmal hat ein | |
fremder Mann angerufen und gefragt, ob wir Kartoffeln brauchen. Eine Stunde | |
später hat er fast eine Tonne gebracht.“ Während Kutscherenko das erzählt, | |
schaut er auf sein Handy, wo Nachrichten eingehen über Dinge, die jetzt | |
benötigt werden. | |
Als im Sommer 2022 klar war, dass die Meisterschaft in der Ukraine wieder | |
aufgenommen werden soll, hat Kutscherenko einen neuen Vertrag bei Inhulez | |
unterschrieben, wo er schon zuvor einmal gespielt hatte. Aber er hörte | |
nicht auf, Hilfsgüter an die Front zu liefern. Einige Reisen hat er | |
gemeinsam mit Taras Mychalik unternommen, einem früheren Nationalspieler | |
und Ex-Profi von Dynamo Kiew. Gemeinsam haben sie einen Geländewagen für | |
die Truppen gekauft und ihn an die Front gebracht. | |
Sein Klub unterstützt Kutscherenko und stellt ihn zwischen den Ligaspielen | |
für die Reisen in den Donbass frei. Das läuft dann so ab: Während des | |
Spielbetriebs sammelt Kutscherenko Informationen über den Bedarf an | |
Hilfsgütern und belädt das Auto. Derweil nimmt er am Trainingsbetrieb teil | |
und lebt das normale Leben eines Profifußballers. Nach einem Spiel haben | |
die Spieler in der Regel ein paar freie Tage. Die nutzt Kutscherenko für | |
seine Ausflüge an die Front. Er kommt zurück, schläft sich aus, geht wieder | |
zum Training und zu den Spielen. | |
## „Man gewöhnt sich auch an die Explosionen“ | |
So reibungslos klappt das nicht immer. „Zu Beginn des Wintertrainingslagers | |
musste ich dringend Kleidung für 40 Leute auftreiben und liefern. Das war | |
für Leute, die unter Beschuss geraten waren und fast nackt und barfuß | |
dastanden. Ich bin mit einem Tag Verspätung zum Trainingsauftakt gekommen, | |
aber die Trainer waren verständnisvoll“, erzählt Kutscherenko. | |
Die Kollegen im Klub fragen immer wieder, was an der Front so los ist. Dann | |
berichtet er, wie schwer es ist nach einer Reise in die dortige Hölle in | |
ein friedliches Leben zurückzukehren. „Manchmal komme ich zurück und | |
spreche zwei Tage lang mit niemandem. Man gewöhnt sich daran. Man gewöhnt | |
sich auch an die Schüsse und Explosionen.“ | |
Es gibt ihm [4][Kraft], wenn er an die Soldaten denkt, denen er hilft. | |
Einmal, in der Nähe von Kreminna, saß Kutscherenko in einem Auto nur einen | |
Kilometer von den Russen entfernt. Dort begegnete er ukrainischen Soldaten, | |
die von der Front zurückkehrten. „Sie hatten seit zwei Tagen nichts | |
gegessen, waren verdreckt und erschöpft. Diese Männer wissen, wofür und für | |
wen sie kämpfen. Wie könnte man ihnen nicht helfen?“ | |
Für ihn ist es ganz einfach, die Armee und die Zivilbevölkerung zu | |
unterstützen. Einfach nicht ausgehen, kein Bier, keinen Kaffee trinken, | |
sondern das eingesparte Geld der Armee spenden. Derzeit sammelt | |
Kutscherenko für ein weiteres Auto, für Tablets und eine Wärmebildkamera, | |
die ein Lazarett der Armee gerade dringend benötigt. | |
10 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Juri Konkewitsch | |
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