# taz.de -- Tarifstreit im öffentlichen Diskurs: Danke für den schönen Strei… | |
> Die Streiks dürfen uns freuen – weil Menschen sich gegen | |
> Unverschämtheiten von oben wehren. Das mediale Geklingel dazu ist plumpe | |
> Täter-Opfer-Umkehr. | |
Bild: Streik in Deutschland: Spüren Sie auch die kalte Waffe im Rücken und de… | |
Achtung, Achtung, Deutschland wird ab Montag [1][„in Geiselhaft“] genommen! | |
Die Bundesrepublik ist „zur Immobilität verdonnert“, denn die | |
Gewerkschaften holen nichts Geringeres als [2][„ihre Folterwerkzeuge aus | |
der Schublade“,] ja, sie wählen „die höchste Eskalationsstufe“. | |
Spüren Sie auch schon die kalte Waffe im Rücken und den Angstschweiß auf | |
der Stirn, während ohrenbetäubend die Alarmsirenen heulen? | |
Nun kann es ja mal vorkommen, dass einem als Journalist oder Lobbyist die | |
passenden Metaphern ausgehen. Aber vielleicht sollte man dann lieber ganz | |
auf Äußerungen fürs Publikum verzichten. Was hier jedenfalls angesichts | |
eines Tarifstreits im öffentlichen Diskurs betrieben wird, ist eine plumpe | |
Täter-Opfer-Umkehr. | |
In der Verantwortung steht nämlich nur eine Seite: die Unternehmen. | |
Unternehmen, die ihrer hart arbeitenden Belegschaft viel zu geringe Löhne | |
auszahlen. Es herrschen Inflation und Energieknappheit. Menschen müssen | |
beim Heizen und beim Einkauf im Supermarkt sparen, obwohl sie arbeiten. | |
Unverschämt ist es, in dieser Situation weiter Niedriggehälter auszuzahlen. | |
Unverschämt ist nicht, wer für seine Arbeit angemessene Bezahlung fordert, | |
um in Würde leben zu können. | |
Haben diejenigen, die nun mediale Schnappatmung bekommen, sich einmal | |
gefragt, welche körperliche Anstrengung und welche menschliche | |
Verantwortung etwa eine Busfahrerin täglich trägt? Ein Krankenpfleger? | |
## Der „Monster“-Montag | |
Denn, ja, das wird in der Berichterstattung häufig ignoriert: Auch | |
Krankenhäuser in Berlin und Brandenburg streiken an diesem heutigen | |
„Monster“-Montag. | |
Unverschämt ist, dass es sich bei manchen der Unternehmen zudem um solche | |
handelt, die exorbitanten Profit machen. Die Helios-Krankenhäuser etwa | |
fahren Gewinne ein, während die Kliniken nicht ausreichend Personal haben, | |
das zudem unterbezahlt ist. Ähnlich geht es in der Flugbranche zu. Statt | |
angemessene Gehälter daraus zu machen, werden solche Gewinne fröhlich an | |
Aktionär*innen ausgezahlt, die für das Erwirtschaften dieses Profits | |
keinen Finger krumm gemacht haben – oder doch, und zwar beim Klicken, als | |
sie die Aktie kauften. Es war sicher sehr anstrengend. | |
Dass ÖPNV und Bahn wiederum vor allem von öffentlichen Geldern abhängen, | |
mindert die Verantwortung nicht – im Gegenteil. Es sind dies nämlich genau | |
die Sektoren, in die die Politik dringend mehr Geld stecken muss, um die | |
alle betreffende Klimakatastrophe abzufedern. Im Übrigen haben auch bei | |
solchen öffentlich-privaten Unternehmen ein paar Manager*innen schlicht | |
die Taschen viel zu voll. Bahnchef Richard Lutz verdient etwa 900.000 Euro | |
im Jahr. | |
Absurd bleibt, dass viele Medienvertreter*innen die Perspektive von | |
Unternehmensführungen übernehmen, obwohl sie selbst im Normalfall überhaupt | |
nicht zu diesen Superreichen gehören. Stockholm-Syndrom? Die Einbildung, | |
man könne sich durch die diskursive Konformität auch finanziell den | |
Milliardär*innen annähern? Das Wunschdenken, man zähle selbst zu einer | |
Elite und müsse nur kräftig genug nach unten treten? | |
## Schließt euch zusammen | |
Was auch immer es ist: Dem liegt ein gewaltiger Irrtum zugrunde. Wer sich | |
nach mehr Wohlstand sehnt, sollte sich schleunigst mit allen anderen | |
Lohnarbeitenden verbünden und um höhere Gehälter kämpfen. Jeder Fünfte in | |
Deutschland arbeitet im Niedriglohnsektor und die meisten anderen sind | |
diesem Niedriglohnsektor deutlich näher als dem Gehalt von Richard Lutz. | |
Na klar, jetzt kommt natürlich noch das Argument, dass andere Berufssparten | |
doch deutlich schlechter dastehen als diejenigen, die jetzt streiken. Ein | |
schlechtes Argument. Miserable Arbeitsbedingungen, von denen es immer noch | |
erschütterndere Beispiele gibt, sollten für nichts und niemanden ein | |
Maßstab sein. | |
Was es braucht, sind – sofern und solange es an fairen Bedingungen und | |
verhandlungsfähigen Arbeitgeber*innen fehlt – noch mehr Streiks, in | |
noch mehr Sektoren. | |
Was es braucht, ist ein Zusammenschluss der arbeitenden Masse gegen die | |
ungerechte Konzentration von Reichtum in wenigen Händen. | |
Was es braucht, ist ein Bewusstsein: Gerechte Löhne und Bedingungen wurden | |
immer nur erkämpft und nie verschenkt. Der Weg dahin kann übrigens schön, | |
fröhlich und bestärkend sein – eben voller solidarischer Erfahrungen. | |
27 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/reaktionen-warnstreiks-verkehr-101.html | |
[2] https://www.deutschlandfunk.de/die-presseschau-aus-deutschen-zeitungen-6938… | |
## AUTOREN | |
Lea Fauth | |
## TAGS | |
Streik | |
Arbeitsbedingungen | |
Solidarität | |
IG | |
Helios Kliniken GmbH | |
Warnstreik | |
Tariflöhne | |
Tarifstreit | |
Presse | |
Streik | |
Streik | |
Streik | |
Verdi | |
Warnstreik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Helios-Kündigung einer Klinikärztin: Satte Abfindung beendet Prozess | |
Der Helios-Konzern will die Hamburger Ärztin Franziska Schlosser loswerden, | |
seit sie als Streikleitung tätig war. Nun stimmte sie der Kündigung zu. | |
Busse und Bahnen stehen still: Warnstreiks im ÖPNV | |
Verdi ruft die Beschäftigten lokaler Verkehrsbetriebe am Donnerstag zum | |
Streik auf. In fünf Bundesländern kommt es zu Einschränkungen im | |
Nahverkehr. | |
Flughäfen lahmgelegt: Warnstreiks in Berlin und Hamburg | |
Die Gewerkschaft Verdi will für das Personal bessere Konditionen | |
herausholen. Deshalb erhöht sie jetzt streikend den Druck. Der BER ist | |
besonders betroffen. | |
Tarifeinigung im öffentlichen Dienst: Geschürte Erwartungen nicht erfüllt | |
Dass die Verdi-Mitglieder mit dem Ergebnis zufrieden sind, ist | |
unwahrscheinlich. Angesichts des erklärten Verhandlungsziels war das | |
Erreichte mager. | |
Wenn Journalist:innen streiken: Bundesweit die Nachrichten kappen | |
Journalismus ist unterbezahlt und wird nicht genügend wertgeschätzt. Was | |
wäre, wenn wir deswegen streiken? Ein Gedankenspiel. | |
Warnstreik in Deutschland: Über allen Gleisen ist Ruh | |
Wegen des Streiks sind die Bahnhöfe gespenstisch leer. Nur ein paar | |
Reisende suchen verzweifelt nach einer Reisemöglichkeit. Selbst auf | |
Autobahnen ist weniger los. | |
Streik in Deutschland: 24 Stunden Pause in Deutschland | |
In Deutschland fallen mehrere Streiks auf einen Tag. Das betrifft Bahn und | |
Nahverkehr – mancherorts auch Krankenhäuser und Kitas. | |
Streik in Frankreich: Brennende Barrikaden | |
Rund 70 Prozent der Französ*innen unterstützen die massiven Streiks und | |
Proteste gegen die Rentenreform. Ein Einknicken ist nicht in Sicht. | |
Warnstreik am Montag: Fast alle Räder stehen still | |
Mit einem Mobilitätsstreik in nie da gewesenem Ausmaß machen Verdi und EVG | |
mächtig Druck für ihre jeweiligen Tarifkonflikte. Ist das nur der Auftakt? | |
Streiktage in Berlin: Vom Streik zum Streik | |
Die Warnstreiks an Krankenhäusern und bei der Stadtreinigung gehen weiter. | |
Laut Bahn ist ein Ersatzfahrplan für den Warnstreiktag am Montag nicht | |
möglich. |