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# taz.de -- Streik in Frankreich: Brennende Barrikaden
> Rund 70 Prozent der Französ*innen unterstützen die massiven Streiks
> und Proteste gegen die Rentenreform. Ein Einknicken ist nicht in Sicht.
Bild: „Ich bin nicht Gefangener eures Systems“ steht auf dem Schild. Paris …
Wenn in Frankreich Streik ausgerufen wird, dann besteht der nicht nur aus
massiver Arbeitsniederlegung, sondern aus Blockaden und Besetzungen der
Produktionsorte. So wurden und werden dieser Tage Müllverbrennungsanlagen
versperrt und Ölraffinerien blockiert, ebenso Autobahnen und
Zufahrtsstrecken zu den Großstädten. Viele solcher Barrikaden zünden die
Streikenden an, damit wirklich kein Durchkommen ist. Sichtschutz bieten die
schwarzen Rauchwolken teilweise auch. In Brest [1][versperrten die
Hafenarbeiter*innen mit Containern die Zufahrten] zum Industriehafen.
Seit die Regierung ihre Rentenreform mit dem berüchtigten Paragrafen 49.3
ohne parlamentarische Abstimmung durchgesetzt hat, hat sich die enorme Wut
in Frankreich nicht mehr gelegt. Viele Gewerkschaften haben angekündigt,
die Arbeit erst wieder aufzunehmen, wenn die Reform zurückgenommen wird.
Das geht dem Land langsam an die Eingeweide: In manchen Tankstellen soll
das Benzin bereits knapp sein, daneben fehlt es auch an Kerosin. Und in
vielen Städten stapelt sich der Müll auf den Bürgersteigen und Straßen.
Zuletzt ließ die Regierung deshalb eingreifen – oder versuchte es
zumindest. Nach tagelangen Auseinandersetzungen gelang es
Polizeieinsatztruppen etwa am Samstag, die Blockaden einer Raffinerie in
Fos-sur-Mer zu durchbrechen und die Kontrolle zu übernehmen. In der
Vergangenheit wurden solche Zwangsmaßnahmen juristisch im Nachhinein
oftmals als illegal befunden.
## König Charles III. „im Visier“
Die Gewerkschaft CGT kündigte an, die Raffinerie am Sonntag wieder neu zu
besetzen. Zur Ölraffinerie nach Gonfreville [2][reisten Menschen aus Paris
an], um die Blockaden zu unterstützen. Auch Promis kommen bei solchen
Reisen mit – etwa der Linksintellektuelle Frédéric Lordon oder die
Star-Schauspielerin Adèle Haenel.
Ein Fernsehinterview mit Präsident Emmanuel Macron vergangene Woche, in dem
er an der Reform festhielt, trieb den landesweiten Ärger noch auf die
Spitze. Ebenso die Aussage der Premierministerin Elizabeth Borne, die
[3][am Wochenende verkündete], sie habe getan, was die Bürger:innen von
ihr erwarteten.
Mittlerweile wirkt es so, als müssten sich die Regierenden vor ihrer
eigenen Bevölkerung fürchten. So sah sie sich auch gezwungen, den
britischen König Charles III. auszuladen. Der hatte eigentlich zu Besuch
kommen wollen, unter anderem nach Paris, Versailles und Bordeaux. Da in
vielen französischen Städten seit dem 16. März fast allabendlich
Spontandemonstrationen stattfinden und in Paris der überall herumliegende
Müll angezündet wird, hätte sich dem britischen König wohl ein recht
peinliches Bild des Kontrollverlusts geboten. Die Gewerkschaften hatten im
Vorfeld außerdem angekündigt, Charles III. „[4][im Visier zu haben]“ und
die Tram zu bestreiken, die er benutzen wollte. Das konnte nur wie eine
Drohung klingen.
Weiterhin sagte der Präsident am Freitag seinen geplanten Besuch eines
Fußballmatches im Stade de France ab – weil er wohl ahnte, dass es
unangenehm für ihn werden könnte. Pünktlich nach 49 Minuten und 3 Sekunden
des Spiels – als Anspielung auf den gleichnamigen Paragrafen 49.3, mit dem
die Rentenreform durchgesetzt wurde – brach die Menge in lautes Rufen aus:
„[5][Macron, démission]!“ – „Macron, Rücktritt!“
## Über 4 Millionen Euro in den Streikkassen
Umfragen zeigen, dass [6][mehr als 70 Prozent der Menschen in Frankreich
gegen die Rentenreform sind]. Dass es seit Mitte März fast jeden Abend
Sachbeschädigung und Unruhen gibt, tut der Streikunterstützung keinen
Abbruch. 70 Prozent [7][glauben laut Umfrageinstitut Odoxa], dass die
Regierung schuld an den Ausschreitungen sei. Zudem gibt es harsche Kritik
an übermäßiger Polizeigewalt.
Die breite Unterstützung für den Streik zeigt sich auch bei den sogenannten
„Streikkassen“. Dort wird Geld gesammelt, um Streikende zu unterstützen,
die teilweise über Wochen auf ihr Gehalt verzichten, wenn sie die Arbeit
niederlegen. Ein Rekordbetrag von mehr als 4 Millionen Euro ist da schon
zusammengekommen.
All das zeigt: Bei den Protesten sind nicht nur Radikale dabei. Die Wut
gegen die Rentenreform wird von einer großen Mehrheit der Bevölkerung
getragen. Der nächste Generalstreik ist für Dienstag geplant.
26 Mar 2023
## LINKS
[1] https://www.capital.fr/economie-politique/journee-des-ports-morts-nantes-sa…
[2] https://twitter.com/RevPermanente/status/1639229344345104386?s=20
[3] https://www.francetvinfo.fr/economie/retraite/reforme-des-retraites/video-r…
[4] https://www.europe1.fr/international/en-pleine-colere-sociale-la-visite-de-…
[5] https://twitter.com/ynk_94/status/1639389262813491201
[6] https://www.bfmtv.com/economie/economie-social/reforme-des-retraites-72-des…
[7] http://www.odoxa.fr/sondage/emmanuel-macron-a-attise-la-colere-sociale/
## AUTOREN
Lea Fauth
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