# taz.de -- Volksentscheid Berlin 2030 klimaneutral: Am Sonntag wird es ernst | |
> Am 26. März wird über den Klima-Volksentscheid abgestimmt. Worum geht es | |
> da genau und ist das bindend? Eine Antwort auf die wichtigsten Fragen | |
Bild: Kein Wölkchen trübt den Himmel. Wenn das nicht ein gutes Zeichen für d… | |
Am 26. März ist Volksentscheid. Was passiert da? | |
Rund 2.432.000 BerlinerInnen dürfen über die Forderungen von „Berlin 2030 | |
klimaneutral“ abstimmen. Das sind, genau wie bei der Wiederholungswahl vom | |
12. Februar, alle Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft, die 18 oder | |
älter alt sind und seit mindestens drei Monaten in Berlin wohnen. Zwischen | |
8 und 18 Uhr sind 2.208 Abstimmungslokale geöffnet, in denen exakt ein | |
Kreuz gemacht werden kann – bei „Ja“ oder „Nein“. Das vorläufige Erg… | |
will [1][Landeswahlleiter Stephan Bröchler] gegen 22 Uhr verkünden. | |
Und was braucht es für einen Erfolg? | |
Erst mal natürlich mehr „Ja“- als „Nein“-Stimmen, aber das reicht noch | |
nicht. Die Volksgesetzgebung unterliegt nämlich einem sogenannten Quorum: | |
Die „Ja“-Stimmen müssen gleichzeitig mindestens einem Viertel aller | |
Abstimmungsberechtigten entsprechen. Nur wenn also rund 608.000 Menschen | |
oder mehr mit „Ja“ stimmen, gilt der Volksentscheid als angenommen. | |
Kann das klappen? | |
[2][Klimaneustart Berlin, die Initiative hinter dem Volksentscheid, ist | |
mittlerweile guter Dinge], auch weil zehn Tage vor der Abstimmung schon | |
rund 400.000 Anträge auf Briefwahl gestellt worden waren. Dass besonders | |
viele aus dem „Nein“-Lager sich diese Mühe machen, ist unwahrscheinlich. | |
Wer am kommenden Sonntag nicht abkömmlich ist, kann übrigens noch bis | |
Dienstag Briefwahlunterlagen online beantragen – oder das Kreuz einfach in | |
der jeweiligen bezirklichen Briefabstimmungsstelle machen: Das geht noch | |
bis Freitag 13 Uhr. | |
Noch mal zum Mitschreiben: Worum genau geht es? | |
Abgestimmt wird mit dem Volksentscheid über einige so überschaubare wie | |
folgenschwere Änderungen im Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz | |
(EWG). Dieses sieht derzeit noch vor, dass die CO2-Emissionen, die im Land | |
durch Nutzung von Strom und Wärme, den Betrieb von Fahrzeugen und | |
industrielle Produktion entstehen, bis 2045 um mindestens 95 Prozent | |
gegenüber dem Jahr 1990 sinken sollen. Kommt der Entscheid durch, wird das | |
um 15 Jahre, also auf 2030, vorgezogen – und aus dem „Ziel“ wird eine | |
„Verpflichtung“. | |
Das ist alles? | |
Es gibt eine Zwischenetappe, die noch ambitionierter ist: Schon bis 2025, | |
also in weniger als drei Jahren, muss der CO2-Ausstoß gemäß der | |
Gesetzesnovelle schon um 70 Prozent gesunken sein. Nach vorläufigen Zahlen | |
für das Jahr 2021 ist Berlin aber erst bei rund 50 Prozent angekommen – | |
begünstigt durch den Pandemie-Knick und den kompletten Wegfall des | |
Luftverkehrs aus der Statistik, die sich durch die Schließung von Tegel und | |
die Inbetriebnahme des BER in Brandenburg ergab. Das Gesetz sieht übrigens | |
vor, den BER anteilig in die Berliner Bilanz einzubeziehen. | |
Wie kam es eigentlich zu dem Volksentscheid? | |
Die Bürgerinitiative Klimaneustart Berlin gründete sich 2019, um per | |
Volksinitiative den Senat zur Ausrufung des „Klimanotstands“ zu bewegen. | |
Das klappte tatsächlich, auch wenn die Politik den Begriff „Klimanotlage“ | |
bevorzugte. Mit einer weiteren Volksinitiative regte Klimaneustart Berlin | |
2020 einen „Klima-Bürger*innenrat“ an, den der Senat im Sommer 2022 | |
einberief. Es folgte das Volksbegehren Berlin 2030 klimaneutral, das vom | |
Abgeordnetenhaus trotz wohlwollender Worte über die verfolgten Ziele | |
einstimmig abgelehnt wurde. Nach der erfolgreichen Sammlung von mehr als | |
180.000 Unterschriften im vergangenen Jahr kommt nun der Volksentscheid mit | |
bindender Wirkung. | |
Inwiefern bindend? | |
Gesetzlich bindend – weil nicht bloß über einen Appell an den Senat | |
abgestimmt wird, wie etwa beim Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. | |
enteignen“ von 2021, sondern über eine Gesetzesnovelle, die bei einem | |
Erfolg unwiderruflich in Kraft tritt. „Wir haben bewusst diesen Charakter | |
des Volksentscheids gewählt“, sagt Jessamine Davis von Klimaneustart | |
Berlin. „Nur so ist er verbindlich und muss – egal, wer gerade regiert – | |
umgesetzt werden.“ | |
Okay. Und wird es umgesetzt? | |
Das ist die große Frage. Über konkrete Maßnahmen, wie die Verpflichtungen | |
erfüllt werden sollen, schweigt der Entwurf sich aus. Die Umsetzung sei der | |
Job der PolitikerInnen, argumentiert die Initiative. Aber selbst die | |
Grünen, die sich als einzige größere Partei zur Unterstützung des | |
Volksentscheids aufgerafft haben, glauben nicht an die Machbarkeit. Wie ihr | |
Fraktionschef Werner Graf letztens beim taz-Talk sagte: „In der Theorie | |
lässt sich das technisch umsetzen. Die Frage ist, ob das Material und | |
Personal reicht.“ Weder sei die Verwaltung entsprechend aufgestellt, noch | |
gebe es kurzfristig genügend HandwerkerInnen oder Solarpanels – was man für | |
ein radikales Umsteuern eben so braucht. | |
Die Grünen regieren dann ja ohnehin nicht mehr. | |
Stimmt. Übrigens kündigte der CDU-Umweltpolitiker Danny Freymark, | |
wahrscheinlich einer der größten Klimaschutz-Nerds seiner Partei, beim | |
taz-Talk an, er werde mit einem „maximal wertschätzenden Nein“ stimmen – | |
weil er ein solches Gesetz eben für nicht umsetzbar halte. | |
Kostet das Ganze nicht auch jede Menge Geld? | |
Mit Sicherheit weitaus mehr als die 5 oder 10 Milliarden Euro, die die | |
schwarz-roten WunschkoalitionärInnen gerade für ein | |
[3][Klimaschutz-Sondervermögen] vereinbart haben. Wie teuer genau eine | |
klimatechnische Generalüberholung der Stadt in gut sieben Jahren wäre, weiß | |
niemand wirklich. Die amtliche Kostenschätzung des Senats, die den | |
Abstimmungsunterlagen beiliegt, spricht von „gesamtwirtschaftlichen | |
Investitionskosten mindestens in hoher zweistelliger Milliardenhöhe“. | |
Welchen Teil davon die öffentliche Hand aufbringen müsste, lasse sich | |
„gegenwärtig nicht abschätzen“. | |
War da nicht noch was mit den Mieten? | |
Richtig, fast hätten wir es vergessen: Ein hoch umstrittener Passus in der | |
Novelle lautet wie folgt: „Soweit Maßnahmen oder Anordnungen nach diesem | |
Gesetz zu einer Erhöhung der Nettowarmmiete für Wohnraum führen, ist der | |
Erhöhungsbetrag dem Zahlungspflichtigen als monatlicher Zuschuss aus dem | |
Landeshaushalt zu erstatten. Diese Verpflichtung endet im Jahr 2050.“ | |
Sprich: Wenn die Mieten nach der Wärmedämmung der Gebäude und dem Austausch | |
von Heizungsanlagen durch die Decke gehen, zahlt das Land rund 25 Jahre | |
lang die Differenz – und die landet in den Taschen der VermieterInnen. Das | |
ist der Grund, warum die Linke den Volksentscheid nicht unterstützt. | |
Was passiert eigentlich, wenn sich die Politik nicht an das Gesetz hält? | |
Ob mit Absicht oder nicht – wenn sich abzeichnet, dass der Senat es nicht | |
hinbekommt mit dem CO2-Ausstieg, muss dieser ein „Sofortprogramm mit | |
verstärkten Maßnahmen zur Erreichung der Verpflichtungen“ vorlegen. Ein | |
besonders scharfes Schwert ist das freilich nicht, und so kündigen die | |
KlimaaktivistInnen bereits Klagen für den Fall an, dass die Politik das | |
Ganze nicht so ernst nimmt. Ob ein juristisches Hin und Her den Prozess | |
beschleunigt, steht auf einem anderen Blatt. Ein „Abgeordneten- und | |
Ministerstrafrecht“, wie es ein Redner auf einer Demo der | |
Volksentscheid-Kampagne für solche Fälle forderte, ist jedenfalls nicht in | |
Sicht. | |
Letzte Frage: Könnte Schwarz-Rot das Volksgesetz nicht auch wieder | |
kassieren? | |
Formal betrachtet auf jeden Fall. Mit ihrer Mehrheit im Abgeordnetenhaus | |
wäre die Koalition in der Lage, umgehend eine Novellierung der Novellierung | |
vorzubereiten und zu verabschieden. Die Frage ist, ob sie sich das traut, | |
denn die Legitimität eines vom Volk verabschiedeten Gesetzes ist hoch. | |
Nicht umsonst hat der potenzielle Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) | |
vorgeschlagen, das per Volksentscheid zustandegekommene Bebauungsverbot des | |
Tempelhofer Feldes nur auf Grundlage einer Volksbefragung zu kippen. | |
20 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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