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# taz.de -- Historisches Bremen im Farbfilm: Bunt trieben es die alten Bremer
> Mit Farbaufnahmen von 1930 bis 1959 korrigiert der Film „Bremen wird
> bunt“ die Vorstellung der Vergangenheit. Das Gesehene wirkt unmittelbar.
Bild: Bremens Polizei hatte in der Nazi-Zeit gute Laune
Im kollektiven Gedächtnis ist das Leben im vergangenen Jahrhundert bis in
die 1960er-Jahre schwarz-weiß: Die meisten Fotos und Filmaufnahmen aus
diesen Zeiten waren monochrom, weil Farbmaterial teuer war. Das beeinflusst
unsere Wahrnehmung.
Vor einigen Jahren gab es einen Skandal, weil Farbaufnahmen von Adolf
Hitler in Kinos gezeigt wurden. Er würde dadurch „zu menschlich“ wirken,
meinten einige Kritiker*innen. Auch der Bremer [1][Filmarchäologe und
Produzent Hermann Pölking] sagt, „dass farbige Filme sehr viel stärker
berühren“, weil das Publikum „die Distanz verliert“.
Genau so wirkt auch der von Daniel Tilgner und Pölking zusammengestellte
Kompilationsfilm „Bremen wird bunt – Die Jahre 1930 bis 1959“, dessen
Uraufführung am heutigen Freitag um 19.30 Uhr im Bremer Kino Schauburg
stattfindet.
Wenn da Familien in den 1930ern am Badestrand Lankenauer Höft in der Weser
planschen, sehen ihre Badeanzüge und -hosen wohl ein wenig seltsam aus,
aber davon abgesehen würden Handyaufnahmen von heutigen Badevergnügen kaum
anders aussehen. Die Bilder historisieren nicht, wie dies
Schwarz-Weiß-Aufnahmen tun. Das Gesehene wirkt unmittelbar.
## Geräusche aus Tonarchiven eingefügt
Wenn es denn entsprechend bearbeitet wurde, wie jede Irritation diesen
Effekt vermindert. Kratzer oder Schlieren auf dem Filmstreifen,
unnatürliche Farben – Filmmaterial bekommt im Lauf der Jahre einen Stich –
oder das Fehlen von Klängen – die meisten Privatfilme wurden ohne Ton
gedreht – zerstören die Illusion. So musste das Filmmaterial digitalisiert,
restauriert und bearbeitet werden. Das war die Hauptaufgabe der
Filmemacher, die kein einziges Bild ihres Werkes selbst gedreht haben.
Daniel Tilgner ist der Leiter des Landesfilmarchivs Bremen. Da es unter den
vielen Tausend Filmstreifen, die dort gelagert sind, auch ein paar schöne
Farbfilme gibt, hatte er die Idee, sie zu einer Farbfilmrolle zu montieren.
Durch die Zusammenarbeit mit Hermann Pölking kam dann noch Material aus
acht anderen Archiven dazu – und Sequenzen aus Dokumentarfilmen der
[2][Hollywoodregisseure William Wyle]r („Ben Hur“) und George Stevens
(„Giganten“), die während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg
Propagandafilme für die US-Streitkräfte drehten und so etwa mit
Luftaufnahmen dokumentiert haben, wie extrem Bremen durch die
Bombeneinsätze zerstört wurde.
Mehr als zweieinhalb Jahre hat ein Filmteam um Tilgner und Pölking
gearbeitet, um das Filmmaterial so zu montieren und aufzubereiten, dass man
von diesen Mühen im Kino möglichst nichts mehr sieht und hört. Der
Komponist André Feldhaus hat eine dezente Filmmusik eingespielt. Geräusche
aus Tonarchiven wurden eingefügt und allein 17 Personen sprachen meist
unverständliche Gesprächsfragmente ein, damit man immer, wenn jemand in
einem Film etwa sagt, auch irgendetwas hört.
Doch die meiste Arbeit ging in die Bearbeitung des Filmmaterials. Hier
stellte sich das Spezialistenteam einer besonderen Herausforderung, denn es
fanden sich im Bremer Archiv farbige Privataufnahmen aus den frühen
1930er-Jahren, also bevor Kodak und Agfa ihre Farbfilme auf den Markt
brachten, die im Linsenrasterverfahren aufgenommen wurden. Das erwies sich
als extrem schwer zu bearbeiten.
Diese Filme drehte damals der Diplomingenieur Arnold Hennings, und da das
Farbfilmen auch später noch ein sehr teures Hobby war, waren auch die
anderen Herren hinter der Kamera Autohändler, Werbefachmann, Kaufmann oder
Banker – also wohlhabend. So wird in den Filmen vor allem das gute Leben
der Reichen gezeigt, die in der NS-Zeit Urlaub in Venedig machten oder ihre
neuen schönen Autos vorführten.
Dass dabei dann oft Hakenkreuzfahnen im Hintergrund flatterten, war so
allgegenwärtig, dass es den Filmemachern kaum noch aufgefallen sein dürfte.
Umso wichtiger ist nun die Einordnung durch den Kommentar, der von den
bekannten Bremer Radio- und Fernsehstimmen Heidi Jürgens und Peter Kaempfe
eingesprochen wurde.
Der Historiker Daniel Tilgner ist hier ganz in seinem Element und er hat
auch den geringsten Details in den Filmfragmenten nachrecherchiert. So
erfährt man etwa den Namen des Kapitäns eines [3][„Kraft durch
Freude“]-Dampfers, aber auch, dass die große Weserbrücke schon sehr bald
nach der Machtübernahme in „Adolf-Hitler-Brücke“ umgetauft wurde und das
Weserstadion in dieser Zeit „Bremer Kampfbahn“ hieß.
## Emotional berührend
Von wenigen Unschärfen abgesehen, sind die Filmaufnahmen so gut „poliert“,
dass man auch emotional so berührt wird wie man es eher von Spielfilmen
gewohnt ist. Natürlich ist dies ein Film für Bremer*innen. Eine Person aus
Hamburg wird kaum etwas mit all den Straßen, Gebäuden und Stadtansichten
anfangen können, die wir natürlich ständig mit dem heutigen Bremen
vergleichen.
Interessant ist auch, dass die Windmühle in den Wallanlagen, die über die
Jahrzehnte von fast allen Hobbyfilmern aufgenommen wurde und im Film immer
wieder wie ein Running Gag auftaucht, schon 1930 von ganz ähnlichen
Blumenbeeten umsäumt wurde wie heute. Der Film ist also eine schöne
Bremensie.
Daher war es sinnvoll, dass zusätzlich eine niederdeutsche Tonfassung
erstellt wurde, die Mitte April auf dem Bremer Filmfest zum ersten Mal zu
hören sein wird. Dort wird auch die englische Fassung mit dem Titel „Bremen
colourful“ gezeigt. Deren Zielpublikum dürfte aber eher begrenzt sein.
17 Mar 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Kino
Film
Geschichte
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Schwerpunkt Nationalsozialismus
Bildungssystem
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