# taz.de -- Infrastruktur für Fahrrad: Der radlose Verkehrsminister | |
> Volker Wissing will neue Autobahnen und eine Weiterführung des | |
> Verbrenners. Sein jüngster „Vorstoß“ für Fahrräder ist unglaubwürdig. | |
Bild: Allein der Anblick von Fahrrädern scheint für ihn konsternierend: Verke… | |
Es wirkt wie ein Ablenkungsmanöver. Seit Wochen [1][streitet die | |
Ampelkoalition], der Bundesverkehrsminister ist unter Druck geraten. Nun | |
scheint er nachweisen zu müssen, dass er mehr für eine nachhaltige | |
Verkehrswende tun wird. | |
Volker Wissing (FDP) hat sich in den vergangenen Wochen mit der | |
EU-Kommission über das eigentlich längst vereinbarte [2][Ende des | |
Verbrennungsmotors angelegt] – das er zu verhindern sucht. Er ist weiter | |
auch für den Bau neuer Autobahnen, obwohl die Verkehrsplanung schon jetzt | |
bei den Klimaschutzzielen hinterherhinkt. Das zeigen insbesondere die neuen | |
Zahlen des Umweltbundesamts zur Klimabilanz 2022. | |
Vor einigen Tagen hat der Bundesverkehrsminister dann also ein neues | |
Förderprogramm angekündigt – für ein Fortbewegungsmittel, das grundsätzli… | |
frei von jeglichem Verdacht ist, klimaschädlich zu sein: das Fahrrad. | |
Wissing und sein Ministerium wollen in den kommenden vier Jahren 110 | |
Millionen Euro dafür bereitstellen. Genauer gesagt für sogenannte | |
Fahrrad-Parkhäuser oder auch große Sammelschließanlagen, in denen E-Bikes | |
und Räder in der Nähe von deutschen Bahnhöfen oder S-Bahn-Stationen | |
untergebracht werden können. | |
## Wenige Vorschläge aus Wissings Ministerium | |
Denn viele Menschen würden Rad und Bahn häufiger nutzen, insbesondere | |
Pendler, „wenn sie ihr Fahrrad oder E-Bike am Bahnhof sicher abstellen | |
könnten“, heißt es dazu von Volker Wissing in einer Mitteilung aus seinem | |
Ministerium. | |
Dass die Stellplätze für Räder hierzulande tatsächlich fehlen, zeigt auch | |
eine Erhebung aus Wissings Ministerium. Dort wurde errechnet, dass im | |
Umfeld von deutschen Bahnhöfen, Bus- oder S-Bahn-Stationen derzeit bis zu | |
rund 1,5 Millionen Abstellflächen für Räder und E-Bikes nicht vorhanden | |
seien, obwohl sie dort dringend gebraucht würden. | |
Neue Zahlen des Zweirad-Industrie-Verbandes (ZIV) zeigen zudem, dass auch | |
der Kauf von Rädern und E-Bikes hierzulande, nach einem leichten Rückgang | |
nach der Coronapandemie, sich insgesamt weiterhin positiv entwickelt. Der | |
Fahrradbestand hat demnach um 6,9 Millionen zugenommen und einen neuen | |
Rekord erreicht. Insgesamt gibt es 82,8 Millionen Fahrräder in Deutschland. | |
Statistisch gesehen besitzt damit jeder Bundesbürger hierzulande sein | |
eigenes Rad oder E-Bike. | |
Dass Volker Wissings Ministerium nun verkündet, Radverkehr und Öffentlichen | |
Personenverkehr (ÖPV) in Zukunft besser miteinander verknüpfen zu wollen, | |
dürfte Verkehrsverbände und RadfahrerInnen eigentlich freuen. Man würde | |
erwarten, dass dafür mehr sichere Radwege und Abstellplätze gebaut werden. | |
Bislang aber hat sich Wissings Ministerium nur wenig mit Vorschlägen | |
hervorgetan, die das Fahrrad als klimafreundlichen Verkehrsträger in | |
Zukunft weiter stärken sollen. Der Vorstoß mit den Fahrradparkhäusern ist | |
da eher eine Ausnahme. | |
## Radverkehr „kolossal“ unterschätzt | |
Bei der kürzlich vorgestellten Verkehrsprognose bis zum Jahr 2051 pochte | |
Wissing darauf, dass künftig der Verkehr insgesamt zunehmen werde. Dies | |
treffe insbesondere auf den Transport von Waren und Gütern mit Lkws auf der | |
Straße zu. Dieser steige laut dem Bundesverkehrsministerium (BMDV) künftig | |
um 54 Prozent. | |
Wissing versuchte damit offenkundig auch seine eigene Position zu stärken, | |
um auf den – aus seiner Sicht – notwendigen [3][schnelleren Bau neuer | |
Autobahnen zu drängen]. Unter Verbänden und bei Umweltschützern hat der | |
Verkehrsminister schon lange den Ruf weg, nur halbherzig andere | |
Verkehrsträger als das Auto – wie etwa die Schiene oder eben auch das | |
Fahrrad – zu fördern. | |
Viele Verkehrsverbände, wie etwa die Allianz pro Schiene, aber auch der | |
mitgliederstarke Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), kritisierten | |
Wissing im Nachgang scharf. Der Minister sei „ohne verkehrspolitischen | |
Gestaltungsanspruch“, hieß es von der Allianz pro Schiene. | |
Auch die Verkehrsprognose des Verkehrsministeriums halten die Verbände für | |
unrealistisch. Darin heißt es etwa, dass der Radverkehr bis 2051 auf | |
deutschen Straßen um rund 36 Prozent weiter zunehmen werde. Damit | |
unterschätze das Verkehrsministerium den Radverkehr „kolossal“, kritisiert | |
etwa der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) als einer der größten | |
Interessenverbände von RadfahrerInnen. | |
## Es braucht mehr Radwege | |
Selbst konservative Berechnungen wie die der Nationalen Plattform Zukunft | |
der Mobilität (NPM) würden prognostizieren, dass der Radverkehr sich | |
bereits bis zum Jahr 2030 fast verdoppele, bemängelt der ADFC. Laut diesen | |
Zahlen würde der Radverkehr hierzulande dreifach so schnell anwachsen, wie | |
das die Zahlen des BMDV nahelegen. Das Ministerium rede „das Potenzial des | |
Radverkehrs künstlich klein“, glaubt die ADFC-Bundesgeschäftsführerin | |
Ann-Kathrin Schneider. | |
VerkehrswissenschaftlerInnen sind sich zudem durch die Bank einig, dass vor | |
allem der Ausbau von Infrastruktur die Nutzung gewisser Verkehrsmittel | |
grundsätzlich fördern könne. Dass Menschen das Auto auch mal zugunsten des | |
Fahrrads stehen lassen, hängt somit maßgeblich auch damit zusammen, ob es | |
genügend ausgebaute Radwege oder Stellflächen gibt. Oder anders gesagt: | |
Welches Verkehrsmittel bevorzugt wird, hängt nicht einzig und allein von | |
der prognostizierten Nachfrage der VerkehrsteilnehmerInnen ab. | |
Bestes Beispiel dafür sind auch die immer wieder gern als Vorbild | |
herangezogenen [4][Fahrradstädte in den Niederlanden], wie Utrecht oder | |
Amsterdam. Die Radinfrastruktur wurde dort bereits vor Jahrzehnten gut | |
ausgebaut und wird von ihren BewohnerInnen viel genutzt. In Amsterdam haben | |
zu Beginn dieses Jahres zudem neue Fahrrad-Parkhäuser in der Nähe des | |
Hauptbahnhofs eröffnet. | |
Das Bundesverkehrsministerium und Volker Wissing dagegen hätten die | |
„Dimension des Themas noch nicht erkannt“, meint | |
ADFC-Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider. Der neue Vorstoß von | |
Wissing, künftig einen dreistelligen Millionenbetrag für Fahrradparkhäuser | |
zur Verfügung zu stellen, sei zwar ein „positives Signal“, bleibe aber | |
deutlich hinter den Erwartungen zurück. | |
## Zu wenig Geld | |
Zwar werden solche Abstellflächen unter ExpertInnen als sogenannte | |
„Gamechanger“ bewertet, von denen es in Deutschland – abgesehen von | |
einigen Einzelfällen – noch immer zu wenige gibt. Wie etwa in der | |
nordrhein-westfälischen Stadt Münster, wo im Vergleich zu anderen Städten | |
überproportional viel Rad gefahren wird. Oder in Berlin, wo neben einer | |
S-Bahn-Station an das angrenzende Bundesland Brandenburg ein solches | |
zweistöckiges Parkhaus für Fahrräder steht. | |
Bei den vom Ministerium errechneten noch ausstehenden 1,5 Millionen | |
Stellplätzen im Umfeld von Bahnhöfen sei das dafür bereitgestellte Geld | |
aber einfach viel zu wenig, findet der ADFC. Nötig seien dafür deutlich | |
mehr Mittel in Höhe von mindestens 3 Milliarden Euro oder mehr, so lauten | |
Einschätzungen des Verbandes. | |
Die eingeplanten Fördergelder von Wissing sollen vor allem in die Planung | |
und den Bau von Fahrrad-Parkhäusern, Sammelschließanlagen, großen | |
Fahrradparktürmen oder in die Umwidmung von ungenutzten Räumen im | |
Bahnhofsumfeld fließen. Nicht zur Verfügung stehen werden sie dagegen für | |
herkömmliche Fahrradständer, Abstellmöglichkeiten mit Überdachungen oder | |
auch Doppelstockparker – von denen es hierzulande aber auch immer noch zu | |
wenige gibt. | |
Wissings neuer Vorstoß zur Förderung des Radverkehrs gilt vielen Verbänden | |
insgesamt als nicht ausreichend beim Ausbau der Radinfrastruktur. | |
## Der Radplan des Koalitionsvertrags | |
Die Idee der Rad-Parkhäuser stammt noch von Verkehrsminister Andreas | |
Scheuer (CSU) aus dem Nationalen Radverkehrsplan 3.0 vom Frühjahr 2021. Die | |
Opposition, allen voran die CDU, kritisiert daher gerne, dass Wissing doch | |
eigentlich bereits eine fertig ausgearbeitete Strategie der Bundesregierung | |
in der Schublade liegen habe, die er nur noch umsetzen müsse, wenn er das | |
Fahrrad in Zukunft wirklich mehr fördern will. | |
Dass der bestehende Radverkehrsplan fortgeschrieben werden soll, fordert | |
allerdings nicht nur die Opposition. Auch die Ampelpartner, und auch | |
Wissings Partei FDP, haben sich zu Beginn ihrer Amtszeit darauf geeinigt, | |
auf den Radplan aufbauen zu wollen, und dies auch im Koalitionsvertrag | |
festgeschrieben. | |
Enthalten ist darin aber nicht nur der Bau und die Planung von | |
Fahrradparkhäusern, sondern auch der Ausbau des Radwegenetzes. Dafür sind | |
laut BMDV in einem Förderzeitraum bis 2030 insgesamt rund 390 Millionen | |
Euro vorgesehen. | |
Will der Bundesverkehrsminister also zeigen, dass mehr hinter seinem | |
Vorstoß steckt, das Fahrrad als klimafreundlichen Verkehrsträger zu | |
fördern, gibt es noch mehr Punkte, die aus dem Koalitionsvertrag dafür | |
umgesetzt werden könnten. | |
16 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Nikola Endlich | |
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