# taz.de -- Berliner Koalition aus CDU und SPD: Giffey macht sich klein | |
> Berlin wird künftig wohl von einer schwarz-roten Koalition regiert. Die | |
> SPD meint, mehr Gemeinsamkeiten mit der CDU als mit Linken und Grünen zu | |
> haben. | |
Bild: Neue Partner: Franziska Giffey mit Kai Wegner und Raed Saleh | |
Berlin taz | Seit 2001 hat die SPD in Berlin die Regierung geführt; seit | |
Mittwochabend ist klar: Damit ist es vorbei – und zwar freiwillig. „Wir | |
haben festgestellt, dass es große inhaltliche Schnittmengen mit der CDU | |
gibt und ein großes Entgegenkommen für unsere Themen“, sagte Franziska | |
Giffey nach der Sitzung des rund 40-köpfigen Parteivorstands. | |
Dort stimmte eine Zweidrittelmehrheit für die Aufnahme von | |
Koalitionsverhandlungen mit der CDU. Die Union selbst – das ist bereits | |
durchgedrungen – [1][präferiert auch die SPD]. Offiziell wollte sich | |
CDU-Spitzenkandidat und Landeschef Kai Wegner am Donnerstagabend dazu | |
äußern. Sind die Verhandlungen erfolgreich, wird Wegner auch Nachfolger von | |
Giffey als Regierende Bürgermeisterin. | |
Bisher regiert Giffey als Chefin einer rot-grün-roten Koalition in Berlin. | |
[2][Eine Fortsetzung dieses Bündnisses] mit ihr an der Spitze wäre auch | |
nach der Wiederholungswahl am 12. Februar möglich gewesen. Doch die | |
Regierende verzichtet offenbar lieber auf ihr Amt, als weiter mit Grünen | |
und Linken zu regieren. „Wir gehen einen Weg, der dem Wahlergebnis mehr | |
Rechnung tragen kann“, so Giffey am Mittwoch. | |
Die CDU hatte die Wahl mit 28,2 Prozent überraschend deutlich gewonnen; SPD | |
und Grüne folgten nur um 53 Stimmen getrennt auf Platz zwei und drei. | |
Giffey selbst steht aber für einen Senatorinnenposten zur Verfügung, wie | |
sie betonte. Das letzte Wort über ein schwarz-rotes Bündnis haben die | |
Mitglieder: In einem Entscheid dürfen sie über den Koalitionsvertrag | |
abstimmen – auch dies wurde am Mittwochabend beschlossen. | |
## Zerstrittene Koalition | |
Seit zwei Wochen hatten CDU, SPD, Grüne und Linke in unterschiedlichen | |
Konstellationen miteinander sondiert. Zuletzt hatte es danach ausgesehen, | |
dass SPD, Grüne und Linke die größten inhaltlichen Hürden für eine weitere | |
Zusammenarbeit ausgeräumt hatten, etwa den weiteren Umgang mit dem | |
erfolgreichen Enteignen-Volksentscheid. | |
Doch offenbar waren die Gespräche weiterhin von gegenseitiger Skepsis | |
geprägt. In ihrer Vorlage für die Sitzung des Landesvorstands warf die SPD | |
den Grünen vor, dass diese „erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer | |
Verabredungsfähigkeit“ hatten aufkommen lassen. Sprich: Die Grünen seien | |
kein vertrauenswürdiger Partner mehr, das Tischtuch war zerrissen. | |
Bei der CDU erhofft die SPD sich vor allem in den Bereichen | |
Wohnungspolitik, Innere Sicherheit und Verkehr mehr Gemeinsamkeiten. Wie | |
umfassend der Politikwechsel unter Schwarz-Rot ausfallen wird, ist noch | |
unklar: In den Sondierungen konnte die SPD der CDU zahlreiche | |
Zugeständnisse abringen, die so auch im rot-grün-roten Koalitionsvertrag zu | |
finden waren. | |
Insbesondere bei der Verkehrspolitik dürften Änderungen aber deutlich | |
sichtbar werden. Diese soll stärker als bislang auf den „Ausgleich zwischen | |
den unterschiedlichen Bedürfnissen der Verkehrsteilnehmern“ ausgerichtet | |
sein. Auch der umstrittene Weiterbau der Stadtautobahn 100 mitten durch die | |
Innenstadt dürfte unter Schwarz-Rot auf weniger Widerstand stoßen. | |
## Grüne: „Vertrauen verspielt“ | |
Für die Berliner Grünen dürfte der Schritt in die Opposition mit Debatten | |
über die künftige Ausrichtung verbunden sein. Ihrer Spitzenkandidatin | |
Bettina Jarasch war es auch im zweiten Anlauf nicht gelungen, stärkste | |
Kraft im linken Lager zu werden. Thema wird auch der künftige Umgang mit | |
dem einstigen Koalitionspartner. „Die SPD hat in den vergangenen 24 Stunden | |
sehr viel Vertrauen verspielt, das ist bedauerlich“, sagte die grüne | |
Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, Silke Gebel, der taz. „Wir Grüne | |
müssen bewerten, was das heißt.“ | |
Auch bei den Grünen im Bund ist der Frust auf die Berliner SPD groß – weil | |
sie sich für die Union entschieden hat und weil sie die Schuld daran dem | |
grünen Sondierungsteam zuschiebt. So schrieb die Bundestagsabgeordnete | |
Renate Künast, die auch schon mal Berliner Bürgermeisterin werden wollte, | |
auf Twitter: „Schämt euch“. | |
Eigentlich hatte sich die Partei für dieses Jahr vorgenommen, auf dem Weg | |
zur Vorherrschaft im Mitte-Links-Lager weitere Pflöcke einzuschlagen. | |
Nachdem es letztes Jahr gelang, in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen | |
als Juniorpartner neu in die Landesregierungen einzutreten, sollten sich | |
jetzt endlich weitere grüne Regierungschefs und -chefinnen zu | |
Baden-Württembergs Winfried Kretschmann gesellen. Die Chance bietet sich | |
jetzt nur noch bei der Hessen-Wahl, für Berlin ist sie mehr als vertan. Die | |
Erfahrung, aus einer Regierung zu fliegen, haben die Grünen in den | |
vergangenen Jahren deutschlandweit nur selten gemacht. | |
Während Erfolg zusammengeschweißt hat, könnte Misserfolg nun langsam wieder | |
die Frage aufwerfen, ob die Partei strategisch richtig aufgestellt ist. | |
Dass der Berliner Wahlkampf nicht glücklich gelaufen ist und der starke | |
Fokus auf die autofreie Friedrichstraße in der Innenstadt wenig gezogen | |
hat, sehen außerhalb des Landesverbands mittlerweile viele so. Aber auch | |
bundesweit liegen die Grünen in Umfragen mittlerweile stabil unter den 20 | |
Prozent und mehr vom letzten Sommer. | |
## Bundesrat-Blockade droht weiter | |
Für die Ampelkoalition im Bund hat die Berliner Entscheidung jedoch keine | |
unmittelbaren Auswirkungen. Mittelfristig ist aber die Aussicht weg, dass | |
sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ändern. Probleme hat die | |
Bundesregierung aktuell bei Gesetzesvorhaben, für die das Grundgesetz die | |
aktive Zustimmung der Länderkammer vorsieht. Im letzten Jahr war das zum | |
Beispiel bei der Einführung des Bürgergelds der Fall, bei der CDU und CSU | |
bekanntlich Kompromisse erzwingen konnten. | |
Insgesamt gibt es im Bundesrat 69 Stimmen. Die absolute Mehrheit liegt | |
entsprechend bei 35 Stimmen. Die Länder, in denen die Union bislang | |
mitregiert, haben zusammen aber 39 Stimmen. Sie können | |
zustimmungspflichtige Gesetze somit schon jetzt blockieren. | |
Insgeheim gab es in der Ampel die Hoffnung, dass sich das im Herbst ändert | |
– weil dann in Hessen gewählt wird, die CDU dort aus der Regierung fliegen | |
könnte und somit die entscheidenden 5 Stimmen weg gewesen wären. Kommt | |
jetzt aber in Berlin mit seinen 4 Stimmen tatsächlich Schwarz-Rot, wäre die | |
Blockademehrheit der Union so oder so gesichert. Die Ampel kann sich also | |
schon mal darauf einstellen, auch künftig mit CDU und CSU verhandeln zu | |
müssen. | |
2 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
Tobias Schulze | |
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