# taz.de -- Ukrainekrieg und Energieversorgung: Schmerzhafte Entscheidungen | |
> Der gefürchtete Energienotstand in Deutschland ist bislang ausgeblieben. | |
> Die Lage hat sich entspannt – auf Kosten des Klimaschutzes. | |
Bild: Ein Spezialschiff dient in Wilhelmshaven als schwimmende Plattform, um Fl… | |
Berlin taz | In deutschen Schwimmbecken wird es wieder wärmer. Viele | |
Hallenbetreiber waren im Frühjahr der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft | |
für das Bäderwesen (DGfdB) gefolgt und haben die Wassertemperatur von 28 | |
auf 26 Grad gedrosselt, manche noch weiter. „Mit einer Senkung von 2 Grad | |
können bis zu 25 Prozent Energie gespart werden“, sagt eine | |
DGfdB-Sprecherin. Jetzt erhöhen Bäder die Temperaturen wieder. Denn gerade | |
für Ältere und kleine Kinder ist kälteres Wasser hart. An der Empfehlung | |
ändert sich allerdings nichts. Auch beim vielerorts eingeführten | |
„Energiesoli“, einem Aufschlag von 50 Cent oder 1 Euro auf den Eintritt, | |
bleibt es meistens. Denn die Energiekosten sind weiterhin sehr hoch. | |
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine war in Deutschland die Angst vor | |
einem Energienotstand und einer damit verbundenen Wirtschaftskrise groß. Im | |
Rückblick ist kaum zu fassen, wie abhängig die Bundesrepublik von | |
russischen Importen gewesen ist: Nach Angaben des | |
Bundeswirtschaftsministeriums kamen vor Kriegsbeginn 55 Prozent des | |
Erdgases, 50 Prozent der Steinkohle und 35 Prozent des Öls aus Russland. | |
Diese Ströme sind versiegt – ohne Crash. | |
„Deutschland ist durch glückliche Umstände einigermaßen glimpflich durch | |
diese Krise gekommen“, sagt Konjunkturexperte Klaus-Jürgen Gern vom | |
Institut für Weltwirtschaft Kiel. Zu den glücklichen Umständen gehört, dass | |
Russland den Gashahn nicht von heute auf morgen, sondern nach und nach | |
zugedreht hat. „Deutschland hatte Zeit, sich auf die neue Lage | |
vorzubereiten“, sagt Gern. So konnten die Vorräte aufgestockt werden, indem | |
die Bundesregierung Gas auf dem Weltmarkt aufkaufen ließ. Mit Hochdruck hat | |
die Regierung sogenannte LNG-Terminals bauen lassen, über die Flüssiggas | |
von Tankern ins deutsche Gasnetz gepumpt werden kann – was Umwelt- und | |
Klimaschützer:innen heftig kritisieren. Und: Es kann nicht | |
ausgeschlossen werden, dass [1][über Zwischenhändler russisches LNG nach | |
Deutschland] kommt. | |
Energie ist weiterhin sehr teuer. Auch aufgrund der vergleichsweise | |
niedrigen Temperaturen im Winter sind die Gaspreise an den Börsen zwar | |
mittlerweile gesunken. Das wird sich aber erst mit Zeitverzögerung für | |
Verbraucher:innen bemerkbar machen. Die hohen Kosten für | |
Bürger:innen und Unternehmen fängt die Bundesregierung teilweise [2][mit | |
sogenannten Preisbremsen auf] – trotzdem sind die Belastungen für etliche | |
private und gewerbliche Verbraucher:innen kaum zu schultern. Und nicht | |
nur das: Die hohen Energiekosten treiben die Preise fast aller Produkte | |
nach oben. | |
Knapp ist Gas derzeit nicht. Das kann sich aber ändern. Deutschland bezieht | |
zwar kein Gas mehr aus Russland, andere europäische Länder aber schon. | |
„Österreich deckt fast seinen gesamten Bedarf mit russischem Gas“, | |
berichtet Gern. Ein abrubter Lieferstopp würde auch auf Deutschland | |
Auswirkungen haben. „Dann bestände die Gefahr, dass es wie im vergangenen | |
Sommer nochmal zu einen Energiepreisschock kommen könnte“, sagt er. Schon | |
damit die Gasvorräte für den kommenden Winter ausreichend aufgestockt | |
werden können, ist Energiesparen sehr wichtig. | |
Trotzdem [3][verschleppt die rot-grün-gelbe Koalition ein zentrales | |
Projekt: ein Energiespargesetz.] Im Oktober hat Bundeskanzler Olaf Scholz | |
das Gesetz mit seinem „Machtwort“ für den Streckbetrieb der deutschen Akw | |
angekündigt. Die Meiler laufen weiter, aber das Gesetz kommt nicht, | |
kritisiert Constantin Zerger, Leiter des Bereichs Energie und Klimaschutz | |
bei der Deutschen Umwelthilfe. Dabei sind die möglichen Einsparungen gerade | |
bei Unternehmen immens. | |
## Im Panikmodus für LNG-Terminals entschieden | |
Zerger findet es nachvollziehbar, dass die Bundesregierung angesichts des | |
drohenden Energiemangels eine Reihe „schmerzhafter Entscheidungen“ | |
getroffen hat, etwa Kohlekraftwerke reaktivierte. „Aber wir dürfen die | |
Klimaziele nicht aus den Augen verlieren.“ Um den zusätzlichen CO2-Ausstoß | |
zu kompensieren, müsse der Kohleausstieg in ganz Deutschland von 2038 auf | |
2030 vorgezogen werden, fordert er. „Wir sehen nicht, dass in der gebotenen | |
Eile am Klimaschutz gearbeitet wird“, kritisiert er. Auch der Ausbau der | |
Flüssiggas-Infrastruktur gehört zu den Entscheidungen, die in Zergers Augen | |
schmerzhaft sind. Langfristige Lieferverträge etwa mit Katar zeigen, dass | |
eine neue fossile Infrastruktur auf Dauer entsteht. „Die Politik hat | |
darüber im Panikmodus entschieden“, sagt er. „Jetzt brauchen wir eine | |
Denkpause.“ Denn der komplette Ausstieg aus fossilen Energien müsse schnell | |
vorangetrieben werden. | |
Die Bundesregierung hat unmittelbar nach dem Angriff Russlands auf die | |
Ukraine ein ganzes Bündel an Maßnahmen ergriffen, um den Ausbau von | |
Windkraft und Solarenergie voranzutreiben. Genehmigungsverfahren sollen | |
künftig sehr viel schneller gehen. Hier könnten die Verantwortlichen vom | |
LNG-Ausbau lernen, sagt Zerger. Denn der ging schnell, weil die Ressourcen | |
in den Behörden zusammengezogen wurden. | |
Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat auch neue Initiativen | |
angekündigt, damit neue Fabriken für die Herstellung von Wind- und | |
Solaranlagen in Deutschland und der EU entstehen. Dazu gehören staatliche | |
Bürgschaften und Garantien sowie Steuervorteile. „Das geht in die richtige | |
Richtung“, sagt Zerger. „Wir müssen anfangen, die Energiewende | |
industriepolitisch zu denken.“ Wie Habecks Programm im Detail aussehen | |
wird, ist noch offen. | |
25 Feb 2023 | |
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[3] /Energieverbrauch-senken/!5908880 | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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