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# taz.de -- Die Grünen und der Lützerath-Protest: Die Vertrauensfrage
> Je größer der Protest in Lützerath wird, desto mehr wird sichtbar, wie
> sehr der Deal mit RWE die Glaubwürdigkeit der Öko-Partei beschädigt hat.
Bild: Am Tagebau Garzweiler II hakt sich die Klimabewegung unter
Die Grünen hatten es sich harmlos ausgemalt. Ein paar Hippies sitzen in
Lützerath auf den Bäumen und werden von der Polizei runtergepflückt: Nicht
schön, klar, aber wir leben in pragmatischen Zeiten. Der ganz große
Aufschrei wird schon ausbleiben. Also Augen zu und durch.
Es ist anders gekommen. Medial ist die Räumung des Dorfs am Tagebau
Garzweiler in diesen Tagen das beherrschende Thema. Die Klimabewegung hakt
sich um Lützerath geschlossen unter, von linksradikalen Gruppen bis zum
BUND. Aus der Zivilgesellschaft erhalten sie in offenen Briefen
Unterstützung, von Katja Riemann, Igor Levit und den Sportfreunden Stiller.
Das grüne Kernklientel begehrt gegen die grüne Regierungspolitik auf.
Dieser Protest ist nicht ganz frei von einer wohlfeilen Note. Natürlich ist
es Irrsinn, mitten in der Klimakrise weitere Millionen Tonnen Kohle
abzubaggern. Es ist auch fraglich, ob in der Summe wirklich CO2 eingespart
wird, nur weil im Gegenzug das letzte Kohlekraftwerk im Westen schon 2030
abgeschaltet wird statt 2038. Die Vereinbarung, die die grünen
WirtschaftsministerInnen Habeck und Neubaur im Herbst mit RWE getroffen
haben, ist nicht unbedingt ein Fortschritt.
Die Grünen haben aber einen Punkt, wenn sie auf ihren begrenzten
Handlungsspielraum verweisen: Schon vor dem Deal hatte der Konzern das
Recht, Lützerath abzubaggern. In die Verhandlungen sind die beiden Grünen
aus der Position der Schwäche gegangen. Zu bieten hatten sie RWE nur das
Recht, in der Energiekrise zwei Kraftwerksblöcke, die zu Neujahr vom Netz
gehen sollten, noch ein paar Monate länger laufen zu lassen. Ein lukratives
Zugeständnis – aber eben auch das einzige.
Ob sie in den Gesprächen trotzdem mehr hätten rausholen können? Ob sie
einfach härter hätten verhandeln müssen? Definitiv kann diese Frage niemand
beantworten. Politik ist keine Naturwissenschaft, die Verhandlungen lassen
sich nicht in einer Versuchsanordnung mit unterschiedlichen Graden der
Entschlossenheit nachstellen. Letztlich geht es um eine Vertrauensfrage:
Glaubt man Habeck und Neubaur, dass sie ihren begrenzten Spielraum voll
ausgenutzt haben?
Die Breite des Protests zeigt, dass die Grünen dieses Vertrauen nur noch
begrenzt genießen. Und das haben sie sich dann doch selbst zuzuschreiben:
Die Verhandlungen mit RWE führten Habeck und Neubaur in Eile und im
Geheimen. Harmonische Gespräche waren ihnen wichtiger als die
argumentativen Vorteile, die ihnen eine kritische Öffentlichkeit im Rücken
hätte liefern können. Auch im Nachhinein verbaten sich Spitzen-Grüne
Kritik. „Wir müssen uns nicht immer entschuldigen!“, rief [1][Cem Özdemir]
sichtlich erregt auf dem Parteitag. Und statt die Verantwortung für das
Ende von Lützerath einfach auf RWE zu schieben, stellen sie sich auch
inhaltlich bis heute hinter die Räumung. Um russisches Gas zu ersetzen,
brauche es die Kohle unter dem Dorf, sagte Mona Neubaur zuletzt [2][im
taz-Interview]. Zu Gutachten, die etwas anderes sagen, fällt ihr nichts
ein.
Ins Leere läuft da auch der Rat der Grünen an die Klimabewegung, in
Lützerath bitte nicht mehr lange zu nerven und lieber an anderer Stelle zu
demonstrieren, weil in der Verkehrspolitik und beim Kohleausstieg im Osten
weit größere Aufgabe warten. Wer im Rheinischen Revier das Vertrauen in die
Entschlossenheit der Grünen verloren hat, wird kaum noch Hoffnung haben,
dass sie sich gegen das FDP-geführte Verkehrsministerium und die Kohleköpfe
in den ostdeutschen Landesregierungen durchsetzen. Bleibt die Frage, ob die
Proteste den Grünen langfristig schaden. Eine Prognose ist schwierig: Ein
Vertrauensverlust in der eigenen Kernkompetenz ist einerseits nicht
zuträglich.
Andererseits haben enttäuschte Grünen-Anhänger*innen wenige
Alternativen. Die Linkspartei setzt sich in Lützerath zwar in Szene, hat
ihren eigenen Klimakurs aber nicht geklärt. Zum Vorsitzenden des
Bundestags-Klimaausschusses hat sie mit [3][Klaus Ernst] zum Beispiel einen
Porsche-Fahrer gemacht, der für den Verbrennermotor kämpft.
Politische Schlagkraft ergibt sich aber nicht nur aus Wahlergebnissen,
sondern eben auch aus Entschlossenheit in der Sache. Vor Beginn der Räumung
in Lützerath fiel es den Grünen leicht, den Protest als Ritual ohne tiefere
Bedeutung abzutun. Je größer der Protest jetzt wird, desto eher werden sie
ihn doch zum Anlass nehmen müssen, die eigene Rolle im Kohlekonflikt zu
reflektieren. Schaffen sie es dadurch, bei der nächsten Gelegenheit
glaubhafter zu vermitteln, dass sie ihren Spielraum ausreizen, hätten sie
am Ende sogar etwas gewonnen.
14 Jan 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Tobias Schulze
## TAGS
RWE
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Bündnis 90/Die Grünen
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Schwerpunkt Klimaproteste
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