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# taz.de -- Gender-Dozentin über Kolonialismus: „Unsere Geschichte neu schre…
> Die Kolonialherren hätten das Wissen über die Rolle afrikanischer Frauen
> ausradiert, sagt Florence Ebila. Mit ihren Studierenden will sie das
> ändern.
Bild: Einst Prinzessin, dann später kurzzeitig Außenministerin: Elizabeth Bag…
taz: Frau Ebila, Uganda war ab 1894 britisches Protektorat. 1962 wurde es
unabhängig. Welches antifeministische Erbe haben die Kolonialherren dem
Land hinterlassen?
Florence Ebila: [1][Die Kolonialherren] haben es geschafft, die Frauen aus
der Politik und damit auch aus den Geschichtsbüchern auszuradieren. In
ihrer Wahrnehmung hat es in Afrikas Politik anscheinend keine Frauen
gegeben. Neben der Staatsebene hatten Frauen auch in kleineren
Institutionen wie der Familie oder einem ganzen Clan die Führung inne. Auch
ihre Geschichten gingen verloren, weil sie nur mündlich überliefert wurden.
Gibt es Wege, dieses verlorene Wissen wiederherzustellen?
Wir erforschen in den Genderstudies, welche Rolle Frauen in der
afrikanischen Geschichte gespielt haben. In den von den Europäern
verfassten Büchern wurde wenig über Frauen in Afrika geschrieben. Deswegen
forsche ich als Literaturwissenschaftlerin in den Autobiografien von
Frauen. Zum Beispiel in der von Elizabeth Bagaya, der Prinzessin des
Toro-Königreichs in Westuganda: In der Zeit des britischen Protektorats
spielte die Monarchie eine wichtige Rolle. Bagayas Eltern regierten Toro
von 1928 bis zum Tod ihres Vaters im Jahr 1965, ihm folgte ihr Bruder. Die
Königin war damals eine einflussreiche Person in Toro, doch von den Briten
wurde sie fast nicht wahrgenommen. Prinzessin Elizabeth selbst war die
wichtigste Beraterin ihres Bruders während seiner Regenschaft und galt als
einflussreichste Frau Ugandas. Doch aus den Geschichtsbüchern ist ihre
Rolle während dieser Zeit fast völlig ausgelöscht.
War das Ausblenden der Frauen nach dem Ende der Kolonialherrschaft beendet?
Nein, im Gegenteil. Es wurde zunächst eher schlimmer. Vor der Kolonisierung
brauchten Frauen keine Bildung, keine Englischkenntnisse, um sich einen
Platz in der Gesellschaft zu sichern. In den Familien, den Clans und den
Königstümern wurde jeweils in der eigenen Sprache kommuniziert. Doch nach
dem Ende der Kolonialzeit mussten Frauen gut Englisch sprechen, um auf
lokaler Ebene gewählt zu werden und politisch zu regieren. Weil aber Frauen
nur selten zur Schule gingen, waren sie aus dem politischen Leben fast
völlig ausgeschlossen.
War dieser Ausschluss dauerhaft?
Ugandas Historiker sagen, dass Frauen in der Politik erst wieder
wahrgenommen wurden, als unsere derzeitige [2][Regierung unter Präsident
Yoweri Museveni] 1986 an die Macht kam und laut Verfassung auch
Frauenvertreterinnen ins Parlament gewählt werden sollten. Ich möchte
argumentieren, dass es vor 1986 begann: In den 1970er Jahren organisierte
[3][Präsident Idi Amin] eine Frauenkonferenz. Elizabeth Bagaya schreibt in
ihrer Autobiografie, wie sie dort die Frauen Ugandas repräsentierte. Sie
sehen: Auf diese Weise können wir die Beteiligung von Frauen auf der
politischen Ebene nachvollziehen, obwohl wir nichts davon in den
Geschichtsbüchern finden.
Viele Frauen haben einen wichtigen Beitrag im Kampf zur Befreiung von der
Kolonisierung geleistet, einige waren sogar Rebellenführerinnen. Ist das
ein vergessenes Kapitel afrikanischer Geschichte?
Nein, keineswegs. Das Gute ist, dass wir jetzt auch Wissenschaft fördern,
die über die Betrachtung der schriftlichen Archive hinausgeht. Wir
untersuchen gezielt die mündlichen Überlieferungen. Melinda Otunga etwa
führte ihrer Autobiografie zufolge eine Rebellion in Westuganda an. Aber
in Tansania, Ruanda und Uganda wird sie lediglich als spirituelle Führerin
ohne politische Ziele erinnert. Eine meiner Studentinnen untersucht nun,
welche Rolle diese Rebellion im Freiheitskampf gegen die Kolonialisten
spielte. Sie hat dabei sehr interessante mündliche Erzählungen und Lieder
in Westuganda gefunden. Diese lassen darauf schließen, dass die Rebellion
entscheidend war für den Befreiungskampf – von den Kolonialherren aber als
Sekte stigmatisiert wurde.
Welche Rolle spielen solche Erkenntnisse für die junge Generation?
Erst vergangene Woche habe ich darüber mit meinen Studentinnen gesprochen.
Sie wollen in ihre Gemeinden auf dem Dorf zurückkehren, um herauszufinden,
welche Rolle Frauen dort bei der Führung ihrer Gemeinschaften gespielt
haben. Denn oft entspricht das, was im Geschichtsbuch geschrieben steht,
nicht dem, was als Erzählung in unseren Gemeinden vorhanden ist. Das liebe
ich am Lesen und Schreiben über Frauengeschichte: Es zwingt uns, die
vorhandene Erzählung infrage zu stellen. Wir müssen unsere Geschichte neu
schreiben.
In vielen europäischen Ländern ist [4][Dekolonisierung ein großes Thema].
Müssen in diesem Zuge auch in Afrika die Geschichtsbücher umgeschrieben
werden?
Die kolonialen Erzählungen müssen getilgt werden, damit die Wahrheit ans
Licht kommt. Wir müssen das Wissen ausgraben, das in unseren Gemeinschaften
verfügbar ist. Aber schauen Sie sich die akademische Wissenschaft an: Wer
gibt die Finanzierung, wer legt die Agenda fest? Meist sind es Stipendien
aus westlichen Ländern, die an dieser Geschichtsschreibung nicht besonders
interessiert sind. Doch die Zeit drängt: Die Zeitzeugen sind inzwischen
sehr alt, immer mehr von ihnen sterben.
10 Mar 2023
## LINKS
[1] /Kolonialismus/!t5014183
[2] /Bedeutung-der-Wahlen-in-Uganda/!5739114
[3] /Vertreibung-von-Indern-aus-Uganda/!5863772
[4] /Literaturwissenschaftler-ueber-Kolonialismus/!5876119
## AUTOREN
Simone Schlindwein
## TAGS
Schwerpunkt Feministischer Kampftag
Feminismus
Kolonialismus
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Kolumne Diskurspogo
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