# taz.de -- Wechselstimmung in Nigeria, Kenia und Co: Nie mehr Eintagsfliege se… | |
> In immer mehr Ländern Afrikas bringt der Unmut der Menschen Außenseiter | |
> an die Macht, die zumindest für einen kurzen Moment Veränderung | |
> verheißen. | |
Bild: Peter Obi sagt dem Politestablishment den Kampf an: Das verfängt bei sei… | |
Als Kind hatte Sodea So Ne Kpekase große Pläne. Der kleine Kameruner machte | |
gerne Musik, er bastelte mit Elektrogeräten und er wollte Wasserminister | |
werden. Aber sein Vater hatte andere Ideen. Sein Sohn sollte das Vieh | |
hüten, damit seine fünf Brüder und die große Schwester zur Schule gehen | |
können. | |
Sodea sagte Nein und wurde von der Familie verstoßen, im Alter von 13 | |
Jahren. Er biss sich alleine durch und landete doch noch auf der | |
Hochschule. „Ich erlebte Fehlschläge, aber ich legte die Hände nicht in den | |
Schoß,“ beschreibt er seinen Lebensweg im Informationsbrief seiner | |
kamerunischen Jugendaktivistengruppe, der unter dem Motto „Gemeinsam die | |
Welt verändern“ erscheint. Mittlerweile sitzt Sodea So Ne Kpekase im | |
Jugendparlament von Kamerun, eine Plattform, in der Jugendliche so tun | |
können, als seien sie Abgeordnete, sich als „Honorable“ bezeichnen, eine | |
Amtsschärpe umlegen und diversen nützlichen Aktivitäten nachgehen, die | |
Kameruns Staat vernachlässigt. Sodea zum Beispiel hilft Familien in seiner | |
Heimatregionen, Geburtsurkunden für ihre Kinder ausgestellt zu bekommen – | |
ein für viele Menschen mit hohen Hürden verbundener bürokratischer Prozess, | |
ohne den aber keine Teilhabe am staatsbürgerlichen Leben möglich ist. | |
Sodeas Geschichte ist typisch in Ländern wie Kamerun, wo die meisten | |
Menschen in Armut leben, Kinder die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, | |
restriktive familiäre Vorgaben das Erwachsenwerden prägen und Aufstieg das | |
Privileg weniger darstellt. Ökonomen zufolge haben nur 10 Prozent der | |
kamerunischen Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter überhaupt eine bezahlte | |
Arbeit im formellen Sektor, der Rest überlebte informell als Prekariat. | |
Anderswo sieht es nicht viel besser aus. Die meisten Menschen sehen das | |
Leben der Reichen und Schönen an sich vorbeiziehen, während sie selbst | |
nicht wissen, was ihre Kinder am nächsten Tag essen sollen. | |
In der Demokratischen Republik Kongo sagt das Sprichwort, der | |
Durchschnittskongolese habe eine Lebenserwartung von täglich verlängerbaren | |
24 Stunden („24 heures renouvelables“). Ein politisches System, das dem | |
Rechnung tragen könnte, muss erst noch erfunden werden. Demokratische | |
Institutionen mit freien Wahlen bringen wenig, wenn die meisten Menschen | |
den Status von Eintagsfliegen haben, die sich von Scheiße ernähren müssen | |
und sich an der Wahlurne bloß zwischen unterschiedlichen Haufen entscheiden | |
sollen. Hoffnung bestünde darin, gar keine Eintagsfliege mehr zu sein, aber | |
diese Option steht nicht zur Wahl. | |
So haben regelmäßige demokratische Machtwechsel in Afrika ihren Glanz | |
verloren. In Ghana oder Sambia, wo der Regierungswechsel zwischen | |
etablierten politischen Kräften inzwischen Routine ist, hat sich das Leben | |
dadurch nicht verbessert. Eher erscheinen solche Länder noch anfälliger für | |
Wirtschaftskrisen, weil die neuen Regierungen immer vor allem die | |
Hinterlassenschaften ihrer Vorgänger ausmisten müssen. | |
Immer öfter punkten daher politische Außenseiter, die gegen das System an | |
sich antreten, als selbst ernannte Quereinsteiger und Heilsbringer, die der | |
verelendeten Masse die Tore zum Paradies öffnen sollen. Wo 90 Prozent der | |
Bevölkerung Außenseiter sind, kann echte Demokratie eigentlich gar nicht | |
anders funktionieren. In Nigeria muss Peter Obi, der als Spitzenkandidat | |
einer Minipartei antritt, die Wahlen gar nicht gewinnen, [1][um Nigerias | |
Wahljahr 2023] zu prägen: Er sagt dem [2][Politestablishment] den Kampf an, | |
predigt in einem der korruptesten Länder der Welt Genügsamkeit und | |
Einfachheit und landet damit an der Spitze mancher Umfragen. Obi ist in | |
Wirklichkeit selbst längst Teil der Elite, aber er wirkt glaubwürdiger als | |
seine Kollegen, weil er die Werte dieser Elite kritisiert. | |
[3][William Ruto in Kenia gewann vergangenes Jahr] die Präsidentschaftswahl | |
mit der Selbstbezeichnung „hustler“ – jemand, der ständig irgendwelche | |
Geschäfte am Laufen hat und sich durchboxt. Rutos Lebensgeschichte vom | |
Armenjungen zum Millionär war überzeugender als die seines Konkurrenten | |
Raila Odinga, der zwar für eine inklusivere Politik antrat, aber als Sohn | |
eines Unabhängigkeitshelden den Makel des Dynastiezöglings nicht ablegen | |
konnte. Von Exfußballstar George Weah in Liberia bis zum Millionär [4][Sam | |
Matekane in Lesotho] reicht die Liste weiterer Außenseiter, die Wahlen | |
gewinnen und an die sich immense Hoffnungen auf Veränderung knüpfen. | |
Wo die politischen Systeme zu verkrustet für Machtwechsel an der Wahlurne | |
sind, erfüllen Putschisten diese Aufgabe – Assimi Goïta in Mali, Mamady | |
Doumbouya in Guinea oder die verschiedenen Militärherrscher von Burkina | |
Faso. In vielen Ländern Afrikas erscheint die Armee, in der alle die | |
gleiche Uniform tragen und die gleichen Befehle befolgen müssen, als | |
einziger halbwegs fairer Weg zum gesellschaftlichen Aufstieg. Der | |
Militärputsch soll diese Gleichheit in die Politik tragen. Das geht | |
langfristig immer schief, da eine militärische Befehlskette nicht zum | |
Regieren taugt, aber für den 24-Stunden-Horizont genügt es. Dort, wo auch | |
die Armee von Günstlingswirtschaft und Korruption durchsetzt ist, führt es | |
allerdings geradewegs in den Bürgerkrieg. | |
Und in Kamerun? [5][Präsident Paul Biya regiert seit 1982]. Im vergangenen | |
November feierte er den 40. Jahrestag seines eigenen Putsches und am 13. | |
Februar 2023 seinen 90. Geburtstag, auf seiner Farm, streng abgeschirmt von | |
der Bevölkerung, mit einer großen Geburtstagstorte und geladenen Gästen. | |
Ganz Kamerun fürchtet den Moment, in dem Paul Biya stirbt und damit auch | |
sein Feudalsystem, in dem außer ihm niemand etwas zu sagen hat und zugleich | |
kein Rivale und kein Nachfolger in Sicht ist. Kamerun ist der nächste große | |
Krisenherd Afrikas in Wartestellung. Ein Land voller Jugendlicher, die ihre | |
Träume vom schönen Leben nie realisiert haben und die nicht länger zulassen | |
wollen, dass man ihnen ihre Zukunft vorenthält. | |
1 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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