| # taz.de -- Zeitenwende in Westafrika: Brandrede aus Guinea | |
| > Wer verstehen will, wie sich Afrika verändert, findet in der Rede von | |
| > Guineas Militärherrscher auf der UN-Vollversammlung Antworten – und neue | |
| > Fragen. | |
| Bild: Teil des Problems: Mamadi Doumbouya, Präsident Guineas, bei der UN-Gener… | |
| Die Rede des Präsidenten von Guinea ist selten ein Highlight der | |
| UN-Generalversammlung in New York, aber der [1][Auftritt von Juntachef | |
| Mamadi Doumbouya] am 21. September hatte es in sich. Man müsse bei der | |
| aktuellen „Putschepidemie“ in Afrika nicht nur die Folgen verurteilen, | |
| sondern die Ursachen verstehen, sagte der Oberst, der sich im September | |
| 2021 in Guinea an die Macht geputscht hat, in [2][seiner Rede]: Verlogene | |
| und korrupte Eliten, manipulierte Verfassungen, Ungleichheit ohne Ende, | |
| Hunger und Elend, „wenn sich die Reichtümer eines Landes in den Händen | |
| einer Elite befinden, während in den Krankenhäusen die Neugeborenen | |
| sterben“ – all das führe dazu, dass Afrikas Bevölkerung, „wacher denn j… | |
| ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen wolle. | |
| „Afrika leidet, meine Damen und Herren“, rief Doumbouya. „Es leidet an | |
| einem Regierungsmodell, das ihm aufgezwungen wurde. Ein sicherlich gutes | |
| und effizientes Modell für den Westen, der es im Lauf seiner Geschichte | |
| konzipiert hat, aber das sich nicht an unsere Realitäten, unsere Gebräuche, | |
| unser Umfeld anpasst. Die Transplantation hat leider nicht geklappt.“ | |
| Dann geißelte der Guineer den Umgang der Welt mit Afrikas Zeitenwende. „Wir | |
| haben genug von den Kategorisierungen, in die man uns sperren will“, | |
| erklärte er. „Afrikas Bevölkerung ist jung. Sie hat den Kalten Krieg nicht | |
| miterlebt. Sie hat die ideologischen Kriege nicht miterlebt, die die Welt | |
| der letzten siebzig Jahre geprägt haben. (…) Wir sind weder pro- noch | |
| antiamerikanisch, weder pro- noch antichinesisch, weder pro- noch | |
| antifranzösisch, weder pro- noch antirussisch, weder pro- noch | |
| antitürkisch. Wir sind einfach proafrikanisch. Das ist alles.“ | |
| Da regte sich Applaus im großen UN-Saal, wo bis dahin eher teilnahmslos | |
| zugehört wurde. „Das alte Afrika ist vorbei!“ rief Doumbouya zu weiterem | |
| Applaus. Afrika zähle mehr als eine Milliarde Menschen, „davon etwa 70 | |
| Prozent Jugendliche ganz ohne Komplexe, weltoffen und dazu entschlossen, | |
| ihr Schicksal in die Hände zu nehmen“, fuhr er fort. „Die Strukturen, die | |
| Regeln aus dem Zweiten Weltkrieg, als unsere Staaten noch gar nicht | |
| existierten, sind überholt. Eine Epoche des Ungleichgewichts und der | |
| Ungerechtigkeit, in der wir nichts zu sagen hatten, ist zu Ende.“ | |
| In seinem ungelenken Französisch und seinem weißen Umhang erinnerte | |
| [3][Mamadi Doumbouya] an diesem 21. September 2023 an seinen illustren | |
| Vorgänger Sékou Touré am 25. August 1958. Damals, gegen Ende der kolonialen | |
| Ära, hatte dieser Guineer es gewagt, Frankreichs allmächtigem Präsidenten | |
| Charles de Gaulle in dessen Anwesenheit öffentlich zu widersprechen und De | |
| Gaulles Konzept einer „Gemeinschaft“ assoziierter Staaten, die Frankreichs | |
| Kolonialreich ohne französischen Machtverlust ablösen sollte, abzulehnen. | |
| „Wir ziehen Armut in Freiheit dem Reichtum in der Sklaverei vor“, [4][hatte | |
| Sékou Touré gesagt] – ein Satz, der in Afrikas Geschichtsbücher eingegangen | |
| ist. Er forderte die „völlige Emanzipation“ und „fundamentale“ Reforme… | |
| kolonialen Strukturen. „Das schwarze Afrika ist nicht anders als jede | |
| andere Gesellschaft oder jedes andere Volk. Wir wollen auf unserem Weg | |
| unser Glück erreichen, und dies mit umso mehr Willen und Entschlossenheit, | |
| als wir wissen, wie lang der Weg vor uns ist.“ | |
| ## Widerstand gegen De Gaulle | |
| Guinea stimmte dann am 28. September 1958 als einzige französische | |
| Afrikakolonie gegen De Gaulles Gemeinschaft und wurde hart bestraft: | |
| Unabhängigkeit mit sofortiger Wirkung am 2. Oktober bei Entzug sämtlicher | |
| technischen und administrativen Kapazitäten der Kolonialverwaltung – also | |
| ein Land ohne Staat, über Nacht in die Welt gesetzt. Die zwangsläufige | |
| Folge: eine finstere Ein-Mann-Militärdiktatur unter Sékou Touré, der im | |
| Ausland panafrikanische Reden schwang und aus Guinea ein bitterarmes, | |
| isoliertes Gefängnis machte, bis zu seinem Tod 1984. | |
| Guineas dramatische Geschichte ist geprägt von der tiefen Kluft zwischen | |
| hochtrabender Rhetorik und niederschmetternder Realität. Auf Sékou Touré | |
| folgten weitere Diktatoren, bis am 28. September 2009, genau 51 Jahre nach | |
| dem kolonialen Referendum, Hunderte von Menschen bei einem friedlichen | |
| Protest von Soldaten massakriert wurden. Danach wurde Guinea zu einem der | |
| ganz wenigen Länder des ehemaligen französischen Kolonialreichs in Afrika, | |
| wo ein Anführer der verfolgten Demokratiebewegung Wahlen gewinnen durfte | |
| und Präsident wurde: der Sozialist Alpha Condé. | |
| Nach seinem Amtsantritt 2010 im Alter von 72 Jahren, gezeichnet von Haft | |
| und Exil, enttäuschte Condé allerdings, denn auch er überwand nicht | |
| wirklich Guineas autoritäres Staatsmodell. [5][2021 fiel Condé den jungen | |
| Putschisten um Doumbouya zum Opfer], und nun herrscht wieder das Militär | |
| mit seiner düsteren Geschichte und seiner emanzipatorischen Rhetorik. | |
| ## Schein-Jubel für Doumbouya | |
| Ist dieser Widerspruch aufzulösen? Bei seiner Rückkehr nach Guinea wurde | |
| Doumbouya am Samstag [6][in der Hauptstadt Conakry von der Menschenmenge | |
| bejubelt]. Die Szenen sehen nach Begeisterung aus, aber [7][unabhängige | |
| Medien enthüllten], dass alle Staatsministerien angeordnet hatten, ihre | |
| Bediensteten an präzise zugewiesenen Orten zum Jubeln aufzustellen. | |
| Populismus gehört noch zu den freundlicheren Charakterisierungen, die | |
| Doumbouyas Gegner in Guinea für seinen Auftritt in New York übrig haben. | |
| Und doch: Hat Doumbouya nicht auch recht? Ist es nicht überfällig, eine | |
| neue Weltordnung zu entwerfen, die nicht unter Ausschluss des „globalen | |
| Südens“ zustandekommt wie die von 1945? Sind die Ideen des 20. Jahrhunderts | |
| nicht überholt aus Sicht der Mehrheit Afrikas, die erst nach der | |
| Jahrtausendwende geboren wurde? Man kann Doumbouya da nur zustimmen. Man | |
| kann es aber als Teil des Problems werten und nicht als Teil der Lösung, | |
| dass die Artikulation dieser Einsichten einem Putschisten aus einem der | |
| brutalsten Militärapaparate Afrikas vorbehalten bleibt. | |
| 25 Sep 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=vb1KZzLlIfQ | |
| [2] https://gouvernement.gov.gn/discours-de-son-excellence-colonel-mamadi-doumb… | |
| [3] /Nach-dem-Staatsstreich-in-Guinea/!5795438 | |
| [4] https://perspective.usherbrooke.ca/bilan/servlet/BMDictionnaire/1717 | |
| [5] /Putsch-in-Guinea/!5799245 | |
| [6] https://twitter.com/lsiafrica/status/1705670848928010438 | |
| [7] https://lelynx.net/2023/09/retour-du-colonel-doum-bouillant-des-nations-uni… | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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