# taz.de -- Putsch in Guinea: Reformer, der an sich scheiterte | |
> Alpha Condé stand einst für den Widerstand gegen die Militärdiktatur. Als | |
> Präsident überwand er die autoritäre politische Kultur Guineas nicht. | |
Bild: Alpha Condé, nachdem er von Putschisten festgenommen wurde | |
BERLIN taz | Die Soldaten könnten seine Enkel sein. Scheinbar teilnahmslos | |
sitzt der 83-Jährige auf seinem Sofa, umgeben von Uniformen und Gewehren. | |
Guineas junge Putschisten präsentieren den alten Präsidenten am 5. | |
September als zerbrechliche Trophäe. Sie bitten ihn, zu bestätigen, dass | |
ihm kein Haar gekrümmt werde. Er schweigt. Wenigstens die innere Würde will | |
Alpha Condé bewahren, in der [1][Stunde seines politischen Todes]. | |
Jahrzehntelang verkörperte Condé in Guinea den Widerstand gegen die | |
Militärherrschaft. Als die taz ihn im November 2001 in Berlin traf, war er | |
gezeichnet von seiner Isolationshaft unter dem Terrorregime von General | |
Lansana Conté, gegen den er zweimal manipulierte Wahlen verloren hatte. | |
Nach dem zweiten Mal, Ende 1998, kam Condé vor Gericht: wegen Gewalt gegen | |
Sicherheitskräfte, unerlaubtem Grenzübertritt, verbotener Devisenausfuhr | |
und Söldnerrekrutierung – ein bizarrer Schauprozess, der im September 2000 | |
mit seiner Verurteilung zu fünf Jahren Haft endete. | |
Unter internationalem Druck ließ General Conté seinen prominentesten | |
Polithäftling im Mai 2001 frei. „Im strömenden Regen wurde Condé in seine | |
Residenz gefahren“, erinnerte sich eine Zeitzeugin; er war krank, hatte | |
Hüftprobleme und ging ins Exil, um Kräfte zu sammeln. | |
„Bis heute weiß ich nicht, wieso ich freigekommen bin“, vertraute er damals | |
der taz an. Aber so schwach er physisch auftrat, so zielstrebig waren seine | |
Gedanken: „Die Opposition muss sich zusammenschließen. Ich will, dass die | |
Leute sich hinter mich scharen.“ Neun Jahre später, Ende 2010, war Alpha | |
Condé am Ziel und Guineas erster frei gewählter Präsident. | |
## Nationalstolz, der ins Abseits führt | |
Guineas Geschichte ist eine Tragödie: die von Nationalstolz, der ins | |
Abseits führt. Die einst reichste Provinz Französisch-Westafrikas traute | |
sich als einzige, im Referendum von 1958 über die Zukunft des | |
Kolonialreichs Nein zur „Gemeinschaft“ mit Frankreich zu sagen. Guineas | |
Unabhängigkeitsführer Sékou Touré bot Frankreichs General de Gaulle die | |
Stirn – und wurde bestraft. | |
Guinea wurde nicht nur unabhängig, auch der französische Verwaltungsapparat | |
verließ das Land über Nacht, nahm alle Akten mit, alles Geld, sogar die | |
Bleistifte. Kein Lehrer blieb, nur ein einziger Arzt, erinnerte sich später | |
der damals 20 Jahre alte Pariser Student Alpha Condé. Als einziges Land der | |
Welt stimmt die Frankreich gegen Guineas Aufnahme in die UNO und versuchte, | |
die junge Republik auszuhungern. | |
Die Sowjetunion sprang ein, im Gegenzug für Guineas Rohstoffe lieferte sie | |
Militärhilfe für Tourés Diktatur. Wie es Condé 2001 schilderte: „Unter | |
Sékou Touré hatten wir eine sehr harte Zeit. Er schuf eine Geisteshaltung | |
der Angst. Die Leute hatten Angst vor ihren Ehepartnern, vor ihren Kindern. | |
Viel hat sich nicht verändert. Die Militärs, die jetzt herrschen, waren | |
Kollaborateure von Sékou Touré und folterten in seinen Lagern. Zu dieser | |
Geisteshaltung gehört auch: Guinea geht nur uns was an, der Rest der Welt | |
soll sich heraushalten – eine Bunkermentalität.“ | |
Guineas Geografie begünstigt dies. Das Land erstreckt sich von der | |
sumpfigen Atlantikküste über Hochland bis zu fernen Savannen und | |
Bergwäldern. Die Hauptstadt Conakry – „Jenseits des Wassers“ in der loka… | |
Sprache Soussou – liegt am Meer, mit dem Präsidentenpalast am Ende der | |
Halbinsel Kaloum. Die gehört zu einer Insel, die durch eine Brücke mit | |
einer weiteren Halbinsel verbunden ist. | |
## Politische Kultur seines Landes holte ihn ein | |
Guinea funktioniert, indem der Herrscher sich von Land und Volk fernhält | |
und mithilfe von Getreuen in seiner fernen Heimatregion dirigiert. Wer die | |
einzige Straße nach Kaloum kontrolliert, kontrolliert den Staat. Auch nach | |
Tourés Tod 1984 herrschten nur Generäle – bis zu den freien Wahlen 2010, | |
die Condé endlich an die Macht brachten. | |
Aus Guinea ein freies, modernes Land zu machen – das war Condés Ziel, eine | |
Herkulesaufgabe. Die [2][politische Kultur seines Landes] holte ihn schnell | |
ein. In Berichten wurde immer wieder geschildert, wie Condé stolz all seine | |
Mobiltelefone vor sich auf dem Tisch aufreiht, als Zeichen dafür, dass er | |
alles weiß und überall mitredet, und wie er nächtelang allein im | |
Präsidentenpalast Pläne schmiedete, ohne die Institutionen einzubeziehen. | |
Condé regierte als Kontrollfreak, er vertraute fast niemandem, seine | |
Beschlüsse blieben undurchsichtig, Kritik wurde schnell als Verrat | |
abgestempelt. Condé öffnete zwar Guinea zur Welt, seine Gegner können frei | |
arbeiten, es gibt heute in Conakry Strom, die unsinnigsten Bergbauverträge | |
sind annulliert – aber er selbst schaffte nicht den Schritt in eine neue | |
Ära. | |
2001 hatte Condé noch klar analysiert: „Guinea befindet sich im politischen | |
Mittelalter. Der Präsident ist der Chef, die anderen folgen.“ Daran ist er | |
gescheitert. Der Blick auf dem Sofa suggeriert: Er weiß es. | |
7 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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