# taz.de -- Wahlen in Westafrika: Lupenreine Demokraten | |
> West- und Zentralafrika hat ein Superwahlhalbjahr hinter sich. Die Lehren | |
> daraus sind ernüchternd für Afrikas Zukunft. | |
Bild: Wird auch „Kaiser“ genannt: Sassou Nguesso, Langzeitpräsident von Ko… | |
Wer wissen will, wie es um die Demokratie in Afrika bestellt ist, konnte | |
sich am vergangenen Freitag in Brazzaville ein Bild machen. Achtzehn | |
afrikanische Staatschefs waren in die Hauptstadt der Republik Kongo | |
gereist, um der Einschwörung des Langzeitherrschers [1][Denis | |
Sassou-Nguesso] zu seiner vierten gewählten Amtszeit beizuwohnen. Mit einer | |
kurzen Unterbrechung ist der 77-Jährige seit 1979 an der Macht. Im 20. | |
Jahrhundert regierte er als „sozialistischer“ Militärdiktator, im 21. | |
Jahrhundert als „demokratischer“ Präsident, der zwar Wahlen abhält, aber | |
keinen Widerspruch duldet. Sassou-Nguesso wurde am 21. März nach | |
offiziellen Angaben mit 88,4 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Sein | |
Hauptgegner starb am Wahltag an Covid-19, sein anderer Hauptgegner von der | |
vorherigen Wahl 2016 sitzt krank im Gefängnis. | |
„Empereur“ – Kaiser – sei Sassou-Nguessos Spitzname, enthüllte der | |
Präsident der Elfenbeinküste, Alassane Ouattara, bei seiner eigenen | |
erneuten Amtseinführung im vergangenen Dezember, nur halb im Scherz. | |
Sassou-Nguesso ist der unangefochtene Doyen im Club der Mächtigen im | |
französischsprachigen Teil Afrikas. | |
Die Feier für Sassou-Nguesso war ein würdiger und finsterer Abschluss für | |
das Superwahlhalbjahr, das West- und Zentralafrika gerade hinter sich hat. | |
Guinea machte am 18. Oktober 2020 den Anfang, es folgten bis Ende 2020 die | |
Elfenbeinküste, Burkina Faso, Ghana und [2][Niger], dann kamen in den | |
ersten Monaten 2021 noch Benin, Kongo-Brazzaville und zuletzt Tschad dazu. | |
Was wie eine seltene Serie demokratischer Machtproben aussah, hat sich als | |
eine einmalige Häufung autokratischer Machtdemonstrationen erwiesen. | |
Wie auch in Uganda und Tansania im gleichen Zeitraum am anderen Ende des | |
Kontinents sind diese Wahltermine nicht wirklich Anlässe dafür gewesen, | |
dass Machthaber ihre Macht zur Disposition stellen. Sie sind vielmehr | |
Anlässe für Machthaber, ihre Macht zur Schau zu stellen, und für | |
Oppositionelle, ihre Gegenmacht zu messen, sofern sie dürfen. Das Volk | |
tritt zum Loyalitätsbeweis an, jede/r Erwachsene einzeln und nachprüfbar – | |
diese Tendenz lässt sich an mehreren Feststellungen aufzeigen. | |
Erstens: Alle Amtsinhaber wurden wiedergewählt – im Ausnahmefall Niger | |
gewann der Wunschnachfolger des scheidenden Präsidenten – und die meisten | |
erhöhten ihre Stimmenanteile, selbst diejenigen, die gerade ausweislich der | |
Zahlen keine Allmacht beanspruchen können: Roch Marc Kaboré in Burkina Faso | |
von 54 auf 58 Prozent, Alpha Condé in Guinea von 58 auf 60, Denis | |
Sassou-Nguesso in Kongo-Brazzaville von 60 auf 88, [3][Patrice Talon] in | |
Benin von 65 auf 86, Alassane Ouattara in der Elfenbeinküste von 84 auf 95 | |
Prozent. Das Wahlergebnis im Tschad steht noch nicht fest, aber es wäre | |
erstaunlich, wenn Präsident Idriss Déby nach über dreißig Jahren an der | |
Macht und einer zunehmend wichtigen Rolle als militärischer Stabilisator | |
der Sahelzone an Frankreichs Seite hinter die 60 Prozent vom letzten Mal | |
zurückfallen würde. Nur in Ghana, das als einziges Land der Region | |
regelmäßige friedliche Machtwechsel an der Wahlurne erlebt, fiel | |
Amtsinhaber Nana Akufo-Addo von 54 auf 51 Prozent zurück, und in Niger | |
gewann der neue Präsident Mohamed Bazoum längst nicht so viele Stimmen wie | |
sein Vorgänger, unter dem er als Minister gedient hatte. | |
Zweitens: In jedem Land zweifelten Oppositionelle am Wahlergebnis oder gar | |
an der gesamten Wahl, und in jedem Land vergeblich. Nur in Ghana und | |
Burkina Faso erkennen die Oppositionellen ihre Wahlniederlage umstandslos | |
an, nur dort gab es vorab keinen massiven Streit. In Tschad, | |
Kongo-Brazzaville und Benin wurde die Opposition bereits bei vergangenen | |
Wahlen eindeutig ausgebootet und gab sich jetzt gar keine Mühe mehr. Guinea | |
und die Elfenbeinküste aber haben selbstbewusste Oppositionelle und | |
erlebten Vorboten eines Bürgerkriegs, mit bewaffneten Auseinandersetzungen | |
und Dutzenden Toten. Unruhen gab es auch in Benin und Niger. Im Tschad | |
könnte dieser Tage das Aufkommen einer neuen bewaffneten Rebellion noch zu | |
einem blutigen Epilog führen. | |
Drittens: Nicht nur von den Regierenden, sondern auch von ihren Gegnern | |
hängt es ab, ob Wahlen eine Demokratie festigen oder nicht. In Guinea | |
boykottierte die Opposition die auf die Präsidentschaftswahl folgenden | |
Parlamentswahlen. Sie hält Präsident Condé für illegitim, sie wird weiter | |
zündeln, sobald sie kann, und immer wieder werden Gewaltakte gemeldet. In | |
der Elfenbeinküste rief die Opposition sogar eine Gegenregierung aus, nahm | |
das aber schnell wieder zurück und beteiligte sich an der Parlamentswahl; | |
das Land hat zum Frieden zurückgefunden. In Niger und Benin wird dies | |
schwieriger, da sich die wichtigsten Oppositionellen in Haft oder im Exil | |
befinden, wie schon länger in Kongo-Brazzaville und Tschad. | |
Eine gefestigte Demokratie mit Gewaltenteilung und einer anerkannten | |
Opposition in den Institutionen bleibt die Ausnahme und nicht die Regel. | |
Und ausnahmslos alle Sieger dieses Superwahlhalbjahrs reisten jetzt nach | |
Brazzaville, um dem „Kaiser“ zu huldigen. | |
Wer sich fragt, wohin als Nächstes die Reise geht, findet in | |
Sassou-Nguessos Antrittsrede ein paar wichtige Hinweise. Der Altherrscher | |
stellt den Schutz von Umwelt und Biodiversität in den Mittelpunkt seiner | |
nächsten Amtszeit – das sei die kommende Herausforderung für Afrikas | |
Selbstbewusstsein. „Wir müssen in der Lage sein, den anderen Führern der | |
Welt zu zeigen, dass sie keine Umweltpolitik ohne uns entscheiden können“, | |
verkündete er. „Gemeinsam mit meinen Amtskollegen will ich Afrika seinen | |
Platz im Konzern der Nationen zurückgeben. Man wird nicht mehr | |
Schwarzafrika sagen, sondern Grünafrika.“ Erst gegen Ende der Rede fiel ihm | |
noch etwas anderes ein: „Ich denke auch an meine Landsleute.“ | |
18 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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