| # taz.de -- Präsidentschaftswahl in Nigeria: Endspurt im Pulverfass | |
| > Kurz vor der Wahl erscheint das Rennen um die Präsidentschaft offen. Die | |
| > Jungen sehnen sich nach Wandel, die etablierten Parteien setzen auf Sieg. | |
| Bild: Der Exgouverneur Tinubu schaut auf Wahlplakaten siegesgewiss | |
| Lagos taz | Das Teslin-Balogun-Stadion in Surulele ist schon Stunden vor | |
| dem letzten Wahlkampfauftritt von Bola Tinubu in Lagos fast voll besetzt. | |
| Unterstützergruppen des 70-jährigen Präsidentschaftskandidaten von Nigerias | |
| Regierungspartei APC (All Progressives Congress) ziehen über den Rasen, | |
| halten Plakate hoch und setzen sich anschließend auf die Tribüne. Viele | |
| haben Besen mitgebracht, das Symbol der Partei. Draußen versuchen weitere | |
| Tinubu-Anhänger*innen die Polizei zu überzeugen, ebenfalls in das Stadion | |
| zu kommen. Längst nicht alle haben Zutritt. Schon Tage zuvor hatte die | |
| Regierung des Bundesstaates von Lagos eine weiträumige Sperrung der Straßen | |
| angekündigt. Lagos, die größte Stadt Afrikas, ist Heimspiel für Tinubu, der | |
| hier von 1999 bis 2007 Gouverneur war. | |
| Die Veranstaltung sei ein deutliches Zeichen dafür, dass Tinubu | |
| [1][Nigerias Präsidentschaftswahl am Samstag] gewinnen wird, ist sich Grace | |
| Nwankwo-Okere sicher. Sie ist APC-Lokalpolitikerin im Stadtteil Ejigbo. Die | |
| Teilnahme an der Abschlusskundgebung ist für sie Ehrensache. „Die beste | |
| Zeit kommt noch“, sagt sie. Auf die Frage, wie sie den derzeitigen | |
| Präsidenten Muhammadu Buhari bewertet, der ebenfalls dem APC angehört und | |
| jetzt nach zweimal vier Jahren im Amt nicht mehr antritt, antwortet sie | |
| ausweichend. „Ein Mann kann nicht alles richten. Wir sind alle in der | |
| Verantwortung. Du und ich.“ | |
| An Tinubus Veranstaltung nimmt Buhari zwar teil, er taugt aber nicht als | |
| Zugpferd. Die Lage in Nigeria ist angespannt wie selten seit dem Ende der | |
| Militärherrschaft 1999. 133 der 220 Millionen Einwohner*innen leben | |
| nach amtlichen Angaben [2][in Armut], bei Buharis Amtsübernahme 2015 waren | |
| es noch rund 110 Millionen. Die aktuelle Bargeldknappheit durch die | |
| Einführung neuer Naira-Scheine verschärft das. Die Inflation liegt bei | |
| knapp 22 Prozent. Seit vergangenem Jahr ist Nigeria hinter Angola nur noch | |
| zweitgrößter Ölproduzent Afrikas, die Förderung sinkt, aber andere | |
| bedeutende Einnahmequellen für den Staat sind nicht entstanden. | |
| Die Armut vereint die Menschen in Nigeria, aber die Politik spaltet sie. | |
| Stanley Achonu, Landesdirektor der entwicklungspolitischen US-Lobbygruppe | |
| One, sagt: „Heute hat im Prinzip jede Region einen eigenen Konflikt.“ Durch | |
| das enge Rennen und die schlechte Sicherheitslage ist die Sorge vor Gewalt | |
| rund um diese Wahlen groß. Auch Hasstiraden der Kandidaten haben Spuren | |
| hinterlassen. | |
| ## Die Volksgruppe der Igbo bekommt einen Spitzenkandidaten | |
| Vordergründig sorgt der Wahlkampf für etwas Ruhe. Im Südosten hat sich die | |
| separatistische Bewegung Indigene Menschen von Biafra (IPOB) von Nnamdi | |
| Kanu, die aus Protest gegen den Zentralstaat in den vergangenen Jahren | |
| Polizeistationen und Büros der Wahlkommission angriff, abgeschwächt. Grund | |
| dafür ist auch, dass mit Peter Obi von der kleinen Labour Party erstmals | |
| ein aussichtsreicher Spitzenkandidaten der größten südostnigerianischen | |
| Volksgruppe der Igbo antritt. Viele Igbo beklagen seit Jahrzehnten, | |
| politisch marginalisiert zu werden. | |
| Im Nordosten sind die [3][Terrorgruppen Boko Haram] und „Islamischer Staat | |
| in der Provinz Westafrika“ (ISWAP) seit Wochen überraschend ruhig. Auch im | |
| Nordwesten hat es keine Entführungen durch bewaffnete Banden mehr gegeben, | |
| bei denen immer wieder Dutzende Menschen verschleppt wurden. Dennoch zählt | |
| das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR 3,3 Millionen Binnenvertriebene in | |
| Nigeria – neben der Gewalt auch wegen der schweren Flut im Zentrum des | |
| Landes im vergangenen Jahr. Laut Wahlkommission können Vertriebene in Camps | |
| ihr Wahlrecht ausüben. Viele sind aber privat untergekommen und leben nun | |
| nicht dort, wo sie registriert sind. | |
| Insgesamt stehen mehr als 93,4 Millionen Menschen in Nigerias Wahlregister, | |
| über 11 Millionen mehr als vor vier Jahren. Viele junge Menschen stellen | |
| sich deutlich hinter Peter Obi, der als Kandidat des Wandels antritt. Er | |
| ist vor allem in sozialen Medien aktiv, landesweite Strukturen fehlen | |
| seiner Partei ebenso wie genügend Parlamentskandidaten. Selbst wenn Obi | |
| gewinnen würde, wäre er ein Präsident ohne Mehrheiten. Die Regierungspartei | |
| setzt auf treue Wählerschichten auf dem Land. Vergangene Woche twitterte | |
| Hadiza El-Rufai (APC), Frau des Gouverneurs von Kaduna, in Richtung Obi: | |
| „Ihr habt das Internet. Wir haben die Basis.“ | |
| Neben Tinubu und Obi ist Atiku Abubakar von der PDP (People’s Democratic | |
| Party), die Nigeria von 1999 bis 2015 regierte, der dritte bekannte | |
| Bewerber. Der 76-Jährige, der von 1999 bis 2007 Vizepräsident von Nigeria | |
| war, stammt aus dem Nordosten, konnte hat sich aber nicht als „Kandidat des | |
| Nordens“ etablieren. Im Wahlkampf ist er weniger präsent als Tinubu und | |
| Obi. | |
| „Es besteht die Möglichkeit, dass die Menschen gar nicht erst wählen | |
| gehen“, warnt Stanley Achonu. Die zahlreichen Meinungsumfragen sehen | |
| täglich einen anderen Wahlsieger. Und das Wahlrecht ist kompliziert. Um im | |
| ersten Wahlgang zu gewinnen, sind mindestens 25 Prozent aller Stimmen in | |
| mindestens 24 der 36 Bundesstaaten notwendig. Es könnte sein, dass keiner | |
| diese Hürde schafft. Dann müsste eine Stichwahl spätestens drei Wochen | |
| später stattfinden. | |
| 23 Feb 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Gänsler | |
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