| # taz.de -- Bestatter über seine Arbeit: „Überrascht, dass ich das konnte“ | |
| > Nach einer Trauerfeier bedanken sich die Angehörigen „oft wie in der Bar | |
| > für den schönen Abschied“, sagt Frank Blume. Der Hamburger muss es | |
| > wissen. | |
| Bild: Frank Blume arbeitet bei einem alternativen Hamburger Bestattungsunterneh… | |
| wochentaz: Gibt es Parallelen in der Arbeit als Kneipenwirt und als | |
| Bestatter, Herr Blume? | |
| Frank Blume: Dass man mit Menschen zu tun hat. Als Kneipier versuche ich, | |
| den Leuten einen schönen Abend zu machen und als Bestatter versuche ich, | |
| den Verstorbenen noch ein bisschen Würde zurückzugeben und vielleicht einen | |
| schönen Abschied, eine schöne letzte Fahrt. Ich bin nicht unbedingt der | |
| geselligste Mensch, aber hinterm Tresen war ich ganz gut, und ich habe mich | |
| immer gefreut, wenn es so gegen elf Uhr voll war, die Getränke waren gut | |
| und wenn die Leute nach Hause gingen, waren sie ein bisschen selig. Nach | |
| einer Trauerfeier bedanken sich die Angehörigen oft wie in der Bar für den | |
| schönen Abschied. | |
| Was macht einen guten Abschied für die Toten aus? | |
| Einen Verstorbenen, gerade wenn er von der Intensivstation kommt oder eine | |
| lange Krankheit hinter sich hat und in einem schlimmen Zustand sein kann, | |
| so zu versorgen, dass er wieder würdevoll aussieht. Also angezogen ist, in | |
| seinem Sarg liegt, friedlich aussieht. Man kann den Verstorbenen keine | |
| schöne Zeit machen, aber man kann ihnen ein bisschen Würde zurückgeben. | |
| Woran haben Sie gemerkt, dass es Zeit war, mit der Kneipe im | |
| Schanzenviertel aufzuhören? | |
| Ich war mit dem Thema langsam durch. Ich habe schon 1996 in der Gastronomie | |
| angefangen, 2004 habe ich mit einem Kumpel das Nord aufgemacht, [1][2008 | |
| dann die Austerbar] und 2019 ist das dann langsam bei mir eingeknickt. Der | |
| Laden läuft immer noch gut, aber er ist zu klein, um zwei Leute wirklich zu | |
| versorgen. Ich habe immer schon nebenher gearbeitet, in einem Shop für | |
| nachhaltiges Surfen. Aber ich wurde immer unzufriedener. | |
| Aber es lag nicht an der Arbeit, sondern am Geld? | |
| Ich habe vielleicht 10 Prozent der Zeit hinter dem Tresen gearbeitet, das | |
| war Bombe. Der große Rest war zum Schluss Buchhaltung, Ladenputzen, | |
| Bestellungen machen und Personalplanung. Ich war dann müde von der | |
| Gastronomie. Und wenn man als Gastronom einen eigenen Laden hat und müde | |
| ist, dann ist man ein schlechter Gastgeber. | |
| Und wie kam das Bestatterwesen ins Spiel? | |
| Meine Lebensgefährtin kannte Christian, den heutigen Geschäftsführer von | |
| Trostwerk, der so von meiner beruflichen Unzufriedenheit erfuhr und mich | |
| einlud, ein Praktikum bei ihm zu machen und eventuell bei ihm zu arbeiten. | |
| … [2][Trostwerk] ist das alternative Bestattungsinstitut, bei dem Sie jetzt | |
| arbeiten … | |
| Trostwerk kannte ich schon länger, ich habe früher um die Ecke gewohnt und | |
| habe da immer die Särge im Schaufenster gesehen und Christian gehörte schon | |
| lange zu meinem Bekanntenkreis. | |
| Und wie kam es dann zu Ihrer neuen Arbeit? | |
| Also, ich hatte vorher nicht gedacht, ich möchte Bestatter werden, und habe | |
| mich einen Monat damit befasst, es gedanklich hin und her geschoben und | |
| dann das Praktikum gemacht. Da haben wir festgestellt, dass ich gut ins | |
| Team passe, dass mir die Arbeit, so fremd sie mir anfangs auch war, | |
| gefällt. Und dann bin ich ins Team aufgenommen worden. | |
| Was ist das Fremde? | |
| Fremd ist es, aus dem prallen Barleben zu wechseln und dann, was ich vorher | |
| nie gemacht habe, im Bereich von Trauer und Tod zu arbeiten und Verstorbene | |
| zu versorgen. Und dann die Feststellung, dass das klappt, dass ich das | |
| kann. | |
| War es für Sie eine Überwindung, die Verstorbenen zu berühren? | |
| Ich musste mich an meine Zeit im Zivildienst erinnern, da habe ich bei der | |
| Pflege geholfen. Da geht es auch ums Anfassen, ums Umwenden, teilweise mit | |
| denselben Griffen, die man hier bei der Versorgung hat. Die Arbeit und das | |
| Berühren des Körpers von Verstorbenen ist aber was komplett anderes, da | |
| musste ich mich erst dran gewöhnen. | |
| Sie haben vorhin gesagt, dass Sie den Verstorbenen [3][die Würde | |
| zurückgeben] wollen. Wodurch haben sie die verloren? | |
| Wenn die Leute im Krankenhaus versterben, werden die Kabel von den Geräten | |
| abgenommen, aber der Rest wird am Körper gelassen – so möchte niemand | |
| gesehen werden. Deswegen sehe ich das als Würde zurückgeben, wenn man diese | |
| ganzen Sachen entfernt, alle Wunden schließt und die Leute ankleidet. | |
| Wunden schließen zu können, das klingt wie Zaubern. | |
| Ich war überrascht, dass ich das konnte. Und im übertragenen Sinn schließt | |
| man auch noch einige andere Wunden, wenn man die Verstorbenen für den | |
| Abschied herrichtet. | |
| Wie haben Sie das Wundenverschließen gelernt? | |
| Zuerst guckt man beim Versorgen zu. Dann gibt es Fortbildungskurse für | |
| Bestatter, wo man so etwas lernt. Wobei wir bei uns versuchen, die | |
| Eingriffe so klein wie möglich zu halten. | |
| Vermittelt sich etwas von der Person, die die Toten einmal gewesen sind? | |
| Auf alle Fälle. Wir werden von Trostwerk vorher über die Verstorbenen | |
| informiert, gar nicht unbedingt über den Todesgrund, sondern darüber, was | |
| es für Angehörige gibt, was für einen Beruf die Leute hatten, wo und wie | |
| sie gewohnt haben. Und gerade wenn man die Person dann angezogen hat, sieht | |
| man sie komplett. Sie bekommen die Kleidung, die sie gerne mochten. Bei | |
| manchen ist es das, was sie im Garten getragen haben, weil sie gerne | |
| gegärtnert haben. Das ist manchmal seltsam, weil sie dann wie schlafend | |
| aussehen – sehr weit entfernt davon, eine Sache zu sein. | |
| Warum eine Sache? | |
| Für die Behörden sind die Verstorbenen zwar keine Sachen, aber sie | |
| verlieren alle Persönlichkeitsrechte. Ich glaube nicht an Gott oder an | |
| einen Himmel, aber ich habe das Gefühl, dass der oder die Verstorbene einen | |
| beobachtet und immer noch bei einem ist. | |
| Dürfen die Angehörigen bei der Versorgung der Toten helfen? | |
| Dürfen sie, aber es kommt in unserer Kultur als Idee gar nicht mehr vor – | |
| alles, was den Tod betrifft, wird an den Bestatter abgegeben. | |
| Ist es auch die Furcht, dass man den toten Menschen nicht wiedererkennt, | |
| dass das Gesicht schmerzverzerrt oder fremd ist? | |
| Verstorbene sehen oft fremd aus, anders als zu Lebzeiten. Aber ob es daran | |
| liegt, kann ich nicht sagen, ich habe keinen intensiven Kontakt zu den | |
| Angehörigen. Bei mir persönlich wäre die Angst früher wahrscheinlich auch | |
| groß gewesen. | |
| Versuchen Sie die Angehörigen vorsichtig davon zu überzeugen, doch bei der | |
| Versorgung zu helfen? | |
| Das tun wir, hängt aber von der jeweiligen Situation ab. Wenn sich die | |
| Angehörigen dazu entscheiden, findet eine unterstützte Totenfürsorge statt, | |
| in der wir beiseitestehen. Dann kann man schon sehen, wie vorsichtig die | |
| Angehörigen dort reingehen und manche erst lange warten, bevor sie | |
| überhaupt an den Tisch herantreten. | |
| Was war das Wichtigste, was Sie bei Ihrer Arbeit gelernt haben? | |
| Dass in den meisten Fällen das Sterben gerade im Alter ein sehr | |
| anstrengender, langer Prozess ist. Und dass die ganze Familie oft | |
| unglaublich viel durchmacht, gerade wenn Leute von ihren Verwandten zu | |
| Hause mitversorgt werden. Es ist ein langer Weg, und wenn ich einen | |
| Verstorbenen vor mir habe, habe ich auch Achtung davor, dass die Person das | |
| alles durchgestanden hat. Und nicht vorher einen anderen Ausweg gesucht | |
| hat, sondern wirklich gewartet hat, bis Schluss ist. | |
| Im Augenblick arbeiten Sie im BO-Team, BO steht für | |
| Besttattungsorganisation. Warum nicht auch in der Trauerbegleitung? | |
| Man ist drei- bis viermal pro Woche im Familienkreis von Angehörigen, man | |
| ist wirklich intensiv dabei und ich bin mir unsicher, ob ich dieser | |
| Herausforderung gewachsen bin. | |
| Warum? | |
| Ob ich die nötige Mischung aus Abstand und Nähe hinbekomme. Also nah genug, | |
| um empathisch zu sein, aber weit genug entfernt, um nicht selbst von der | |
| Trauer angefallen zu werden. | |
| Wie viel Trauer fällt Sie bei der Arbeit an, die Sie jetzt tun? | |
| Wie misst man das? Eine Träne pro Tag? Dort, wo ich arbeite, ist es gut | |
| dosierbar, sehr gut absehbar. Am intensivsten sind die Momente, wenn wir | |
| die Verstorbene von zu Hause abholen. Das ist oft im Familienkreis, | |
| meistens auch sehr kurz nach dem Tod. Ich finde es sehr anstrengend und | |
| herausfordernd, dort alles eins zu eins mitzubekommen. Gerade wenn es | |
| Familienväter oder Kinder sind. | |
| Ich stelle mir das sehr schwierig vor: Man soll den Verstorbenen abholen, | |
| aber irgendwie nimmt man ihn ja auch der Familie weg. | |
| Auf alle Fälle. Der finale Moment ist, wenn das Oberteil des Sargs | |
| geschlossen wird, denn das ist dann für die Angehörigen wirklich der | |
| Augenblick, der zeigt, dass jetzt der geliebte Mensch abgeholt wird. Das | |
| ist schon auch ein Wegnehmen. Wobei es den Angehörigen offensteht, immer | |
| bei uns vorbeizukommen, auf Wunsch sogar nachts. | |
| Gibt es Situationen bei der Arbeit, bei denen Sie sagen: Das kann ich | |
| nicht, das geht über meine Grenzen? | |
| Jeder hat die Möglichkeit zu sagen, ich mach nicht weiter, und das würde | |
| einem auch auf keinen Fall nachgetragen werden. Ich habe bisher bei mir | |
| noch keinen solchen Moment erlebt. | |
| Ich finde, das Beeindruckende ist, dass Menschen diese Arbeit tun, denen es | |
| schwerfällt und sie es trotzdem tun. | |
| Es gibt Leute, denen es noch schwerer fällt als mir. Es ist wesentlich | |
| härter für einige Leute hier, die eigene Kinder großgezogen haben. Oder | |
| wenn es um Kinder geht, die das gleiche Alter haben wie die eigenen. | |
| Wenn man die Porträts der Mitarbeiter:innen hier liest, sind es sehr | |
| viele Quereinsteiger:innen – so wie Sie. | |
| Fast alle, gerade bei den Begleiterinnen und Begleitern. Es sind Leute, die | |
| vorher im Hospiz gearbeitet haben oder in sozialen Berufen. Aber es ist | |
| keiner oder keine dabei, der oder die schon mit 17 dachten: Ich möchte | |
| Bestatterin werden oder Bestatter. Die Leute werden dann eher angesprochen. | |
| Übrigens, die Geschichte von Trostwerk hat mit der Bestattung eines Kindes | |
| angefangen. | |
| Was ist damals passiert? | |
| Im Umfeld der Trostwerk-Gründer starb ein Kind und es war damals für sie | |
| unmöglich, einen Bestatter zu finden, der eine Bestattung oder eine | |
| Trauerbegleitung anbieten konnte, die zum alternativen Lebenskonzept der | |
| Leute passte. Daraus entstand die Idee, ein Bestattungsinstitut zu gründen, | |
| um auch andere Wege zu zeigen. | |
| Trostwerk selbst hatte einen Todesfall, eine Mitarbeiterin, an die auf der | |
| Internetseite erinnert wird. | |
| Es war eine Person, die wusste, dass sie sterben wird. Und die bis zum | |
| Schluss einfach noch gearbeitet hat. Sie hatte einen wahnsinnig | |
| beeindruckend bewussten Umgang mit ihrem Tod. | |
| Sprechen Sie untereinander über den Umgang mit der Traurigkeit? | |
| Es gibt Supervision und einmal pro Woche eine Teamsitzung, wo solche Sachen | |
| besprochen werden. | |
| Ist die Arbeit eigentlich wieder so eine Zwischenposition wie als | |
| Kneipenwirt: als Teilzeit-Mitglied des Büroteams Teil des Geschehens sein, | |
| aber eher vom Rand her? Sodass Sie den Grad selbst dosieren? | |
| Ja, ich könnte dosieren – bisher musste ich das nicht. Aber ich glaube, | |
| wenn ich Begleiter wäre, wäre es das Schwierigste für mich zu dosieren, wie | |
| viel ich jetzt mit nach Hause nehme. | |
| 27 Feb 2023 | |
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| Friederike Gräff | |
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