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# taz.de -- Trauer und Fußball in Berlin: Nachrufe in der Halbzeitpause
> Der 1. FC Union gedenkt seiner verstorbenen Fans mit einem festen Ritual.
> Auch Hertha will nun Strukturen und Angebote für Trauernde etablieren.
Bild: Gedenkaktion von Union Berlin für verstorbene Fans anlässlich des Aufst…
Der FC Union Berlin, der sich, wie alle Fußballclubs, gern als
unverwechselbar betrachtet, ist es in einer Hinsicht zweifellos: Schon seit
vielen Jahren verzichtet der Verein in der Halbzeitpause auf Reklame und
der Stadionsprecher verliest stattdessen Nachrufe auf verstorbene Fans. Das
ist einzigartig.
Als vor dem diesjährigen Saisonstart ein langjähriger Anhänger starb,
schrieb [1][der Fanblog Textilvergehen] daraufhin: „Spätestens in der
Halbzeitpause (…) geht es um uns. Unsere Familie. Unseren Verein. Denn uns
hat gestern Matti Michalke nach schwerer Krankheit verlassen und ist
jetzt bei all den anderen wunderbaren Menschen, die leider nicht mehr hier
sind.“
Auch die Aktion „Endlich dabei“, die im August 2019 von der aktiven
Fanszene organisiert wurde, fügt sich in das Bild eines Clubs, der mit dem
Gedenken an Verstorbene einen besonderen Umgang sucht. Und das bereits seit
Langem: So war das Stadion An der Alten Försterei in Köpenick voller als
ausverkauft, bevor Union Berlin vor gut vier Jahren [2][zum ersten Mal in
seiner Geschichte] Bundesligafußball spielte. Während der Vereinshymne vor
dem Spiel hielten damals einige der 22.476 Stadionbesucher die Bilder von
455 verstorbenen Fans hoch, die ihren Verein nicht mehr in der höchsten
Spielklasse erleben konnten.
Carmen Mayer ist selbstständige Trauerbegleiterin und hat vor fünf Jahren
das Projekt [3][„Trauer und Fußball“] initiiert. Seitdem publiziert, schult
und spricht sie darüber, wie der Fußball und sein Umfeld beim Gedenken an
Trauernde helfen können. „Trauer ist individuell verschieden, und Vereine
sind individuell verschieden“, sagt die 49-jährige Dauerkartenbesitzerin
bei Turbine Potsdam zur taz. Das Halbzeit-Ritual der Unioner sei deshalb
nur ein Beispiel. „Das kann man übernehmen oder nicht.“
## Fan-Sein ist mehr als Fußball-Gucken
Und doch ist es eine wertvolle Arbeit, die Union da leistet, findet Mayer.
Dass der Verein in seinem Stadion überhaupt Strukturen und Raum für das
Gedenken an verstorbene Fans geschaffen hat, ist außergewöhnlich. Dabei
scheint es bei genauerer Betrachtung naheliegend. Denn Fußballfan zu sein
bedeutet für Menschen oft mehr, als jedes Wochenende 90 Minuten lang 22
Männern oder Frauen beim Kicken zuzusehen.
Gerade diejenigen, die sich einem Club so sehr hingeben, dass sie ihm quer
durch Deutschland oder um die ganze Welt folgen oder auch nur jedes
Heimspiel besuchen, tun das für gewöhnlich nicht, weil sie so besessen nach
dem Spiel auf dem Rasen wären. Sondern wegen der Gemeinschaft auf den
Rängen, die Freude, Leid und Wut teilt.
„Zu uns kommen häufig Menschen, die einen Weggefährten verloren haben“,
sagt Saskia Kriese, die bei Hertha BSC in der Fanbetreuung arbeitet. „Für
viele ist Hertha gleichbedeutend mit Familie, und wenn jemand nicht mehr da
ist, wird das betrauert.“ Ganz oft werde der Wunsch geäußert, dass der
Verein eine Rolle bei der Verabschiedung spielt oder die Lücke anerkennt,
die der Tote hinterlässt. „Doch bisher gibt es kaum feste Strukturen und
Angebote für trauernde Fans bei Hertha“, sagt Kriese. „Das wollen wir jetzt
zusammen angehen.“
Seit Juni kooperiert der Verein mit dem Projekt „Trauer unterm Flutlicht“,
das Carmen Mayer von „Trauer und Fußball“ gemeinsam mit „KickIn“, einer
Beratungsstelle für Inklusion, gestartet hat, gefördert von der Deutschen
Fußballliga (DFL). Gemeinsam wolle man „lernen, was die Herausforderungen
sind, und ermitteln, welche allgemeingültigen Tipps wir an andere Clubs
weitergeben können“, sagt Carlo Kosok von „KickIn“.
## Hilfe, aber keine Vorgaben
Die Verantwortlichen betonen, dass die einjährige Zusammenarbeit als
Modellprojekt gedacht ist, das anderen Vereinen helfen, aber keine Vorgaben
machen soll. Strukturen, die hier geschaffen würden, seien auf andere Clubs
nicht eins zu eins anwendbar. „Jeder Verein soll finden, was ihm zusagt“,
sagt Carmen Mayer. „Die Fußballkultur ist eine unheimlich kreative Szene,
die immer wieder tolle, neue Sachen entwickelt.“
Das Projekt soll vor allem dazu dienen, Erfahrungen zu sammeln und
Transparenz zu schaffen. So ist eine Internetseite geplant, die Fans eine
Übersicht zu den Möglichkeiten der Trauer bei ihrem Verein bieten soll. Die
Ergebnisse der Zusammenarbeit wollen alle Beteiligten im nächsten Sommer
präsentieren.
Was die Wünsche von Trauernden angeht, berichtet Fanbetreuerin Kriese, dass
es einerseits häufig Anfragen gebe, die die Trauerfeiern oder eine
besondere Gestaltung der Urne betreffen. Andererseits komme es immer wieder
vor, dass Hinterbliebene etwa Blumen oder Kerzen zum Gedenken mit ins
Stadion bringen wollen. Die Spielstätte ist für viele ein ganz besonders
wichtiger Ort des Erinnerns, das zeigt nicht zuletzt das Beispiel Union
Berlin.
Trauerbegleiterin Carmen Mayer, deren Projekt sich als Teil der
Fußballfankultur begreift, erzählt, dass besonders aktive Fans und
Fanszenen häufig die treibende Kraft hinter den Aktionen zum Gedenken
seien. Ihre Einbindung halte sie daher für unerlässlich. Die Berliner
Ultras tragen regelmäßig den „Remember Benny-Cup“ und das „Carsten Grab
Gedenkturnier“ aus, um zwei jung verstorbener Mitglieder der Szene zu
gedenken. Benny stand jahrelang in der Kurve von Hertha, Carsten war
Fanbeauftragter des Vereins.
Warum solche Wege des Gedenkens besonders wertvoll sind? „Weil es eine
Würdigung, eine Erinnerung an die toten Menschen ist“, erklärt Mayer. „Von
Trauernden höre ich oft: Wenn nicht mehr über den verstorbenen Menschen
gesprochen wird, dann ist das wie, wenn er ein zweites Mal stirbt.“
10 Nov 2023
## LINKS
[1] https://www.textilvergehen.de/2023/08/19/so-oder-so-wird-es-einzigartig/
[2] /Noch-mehr-erste-Liga-fuer-Berlin/!5597082
[3] /Trauerkultur-im-Fussball/!5539103
## AUTOREN
David Kulessa
## TAGS
Fußballvereine
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Fußball
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