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# taz.de -- Hilfe bei der Trauer um Haustiere: „Man kann Trauer nicht messen�…
> Die Hospizhilfe Bremen begleitet Menschen beim Sterben und stemmt sich
> gegen die Tabuisierung des Themas. Dazu gehört auch die Trauer um
> Haustiere.
Bild: Meist bleiben Angehörige zurück, wenn ein Mensch stirbt. Auch um sie k�…
Bremen taz | Das Leben ist endlich, wir alle sterben irgendwann. So
offensichtlich das ist, so wenig Platz hat das Thema im Alltag der meisten
Menschen. Regina Heygster aus dem Vorstand der Hospizhilfe Bremen ist alles
zu tabuisiert. Auch die Trauer um Tiere sei ein Raum, den es in der
Gesellschaft gar nicht gibt. „Wo trauert man denn öffentlich um Tiere?“
Deswegen will die Hospizhilfe bald Menschen einen Raum geben, die [1][ihr
Haustier] verloren haben.
„Ich weiß wie Menschen leiden, wenn das Tier stirbt“, sagt Heygster. „Und
der Standardsatz ist dann: ‚Du kannst dir doch einen neuen Hund kaufen.‘
Damit ist aber die Trauer um dieses Tier nicht weg.“ Die Trauer um die
Tiere werde klein gemacht. „Ich will das gar nicht auf die gleiche Stufe
stellen, wenn jemand seinen Partner verliert. Das steht mir nicht zu. Aber
man kann Trauer nicht messen.“ Vergleichen und Bewerten von Trauer findet
Heygster „gemein“.
Auf das Thema gekommen ist sie vor etwa fünf Jahren, als eine Freundin ihre
Katze verlor. Sie habe ganz extrem getrauert, erzählt Heygster, und dann
eine Rundmail an ihre Freund*innen geschrieben: Wer die Katze nochmal
sehen und mit ihr trauern will, könne ja vorbei kommen; sie sei vor dem
Ofen in einem Schächtelchen aufgebahrt. Regina Heygster ist gekommen –
sonst niemand. „Das hat mich traurig gestimmt. Unserer Freundin hätte es
gut getan, wenn ein paar mehr Menschen gekommen wären, die mit ihr vor der
Katze auf dem Fußboden geweint hätten.“
Michaela Höck, die in der Hospizhilfe auch die Trauergruppen für Angehörige
leitet, wird etwa ab März einmal im Monat einen Termin für Tiertrauer
anbieten.
Die Trauergruppen mit Höck, zwei in der Woche, sind [2][für Angehörige].
„Wenn Leute gestorben sind, bleiben die ja über“, sagt Gunnar Zropf, Erster
Vorsitzender im Verein und verheiratet mit Heygster. „Die müssen mit dem
Schicksal umgehen.“
Mitte der neunziger Jahre gegründet, begleitet der Verein ambulant und
unentgeltlich Menschen [3][beim Sterben]. Heygster beschreibt das so: „Wir
begleiten Menschen an ihrem Lebensende auf menschenwürdige, liebenswürdige
und empathische Weise ihren Wünschen gemäß.“ Dazu bildet der Verein
Menschen aus, auch andere Fortbildungen sind im Programm. Besonders
beliebt: „Wenn ich noch einen Tag zu Leben hätte“. 2023 konnte die
Fortbildung gleich zehn Mal stattfinden. „Nicht zu fassen“, sagt Heygster.
Und im neuen Jahr geht es weiter. Für Mitglieder sind die Fortbildungen
umsonst.
Sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen – auch das will der
Verein mit seiner Arbeit anregen. „Ich finde es sehr wichtig, Menschen mit
der inneren Auseinandersetzung dieser Themen zu berühren“, sagt Heygster.
„Wir brauchen den Blick darauf, dass wir alle natürlich sterben werden. In
unser aller Leben sterben Menschen. Wenn das plötzlich passiert, ist das
schon erschreckend, das kann man sich immer gar nicht vorstellen.“
Noch was Neues hat sich die Hospizhilfe überlegt: Seit Anfang Dezember
läuft die Begleitung hochbetagter Menschen. „Hochbetagt heißt bei uns,
Menschen die ihrem Lebensende zugehen, über 90 Jahre alt sind, aber noch
nicht im akuten Sterbeprozess“, erklärt Andrea Hopfenblatt. Sie ist seit
drei Jahren im Vorstand der Hospizhilfe und inzwischen angestellt für
Projektkoordination.
Diesen Hochbetagten wolle die Hospizhilfe ausgebildete Ehrenamtliche zur
Seite stellen, auch über einen längeren Zeitraum, sagt die 36-Jährige.
Lebensbegleitung statt Sterbebegleitung nennt sie das. „Die Chance ist,
eine längere Beziehung entstehen zu lassen. Wir möchten Zeit schenken und
gegen die Einsamkeit wirken.“ Viele hochbetagte Menschen seien
[4][alleine], wenn die Familie woanders wohnt oder Freund*innen schon
gestorben sind.
Für die eigentliche Hospizarbeit im Sinne der Sterbebegleitung braucht es
immer eine Diagnose – zum Beispiel Krebs im Endstadium. Entsprechend können
dann Erwachsene jedes Alters begleitet werden.
Eine feste Gruppe von Ehrenamtlichen, die ein Wochenende lang von
Hopfenblatt dafür ausgebildet wurde, begleitet nun die ersten hochbetagten
Menschen im Bremer Pflegeheim Johanniterhaus.
Würde sie noch leben, würde wohl die Mutter von Regina Heygster zur
Zielgruppe des neuen Projekts gehören. Heygster erzählt, dass ihre Mutter
mit 92 Jahren gestorben und davor jedoch „keineswegs im Sterbeprozess“
gewesen sei. „Sie hatte Arthrose, war blind, schwerst hörgeschädigt, hat
für uns Kaffee gekocht und man hat miteinander gelebt.“ Dennoch habe die
Familie ihr eine Begleitung zur Seite gestellt: „weil es ihr unheimlich gut
tat, mit jemandem über Themen außerhalb von Familie und Kinder zu reden“.
Bei der Mutter von ihrem Mann war es anders. Dennoch weiß Zropf, was eine
lange Begleitung von Menschen ausmachen kann: Mit der Diagnose
Herzinsuffizienz habe seine Mutter einen Sterbebegleiter von der
Hospizhilfe bekommen. „Ich sollte noch ins Krankenhaus, mich
verabschieden.“ Doch seine Mutter hat sich erst vier Jahre später
verabschiedet, „weil sie jeden Sonntag mit dem Sterbebegleiter
philosophische Texte gelesen und klassische Musik gehört hat“. Für diesen
Sonntag habe sie gelebt, davon ist Zropf überzeugt. „Sie war körperlich
völlig runter, pflegebedürftig im Bett.“
Es gehe bei der Lebensbegleitung weniger um Freizeitgestaltung wie
Theaterbesuche, sagt Zropf, wie die üblichen Besuchsdienste sie anbieten,
sondern um Lebensqualität und -mut für die 90- oder auch 100-Jährigen. „Die
Leute leben dadurch teilweise länger.“
Von der Umsetzung viel weiter entfernt ist ein anderes Projekt: die
Sterbebegleitung von obdachlosen Menschen. Man wolle den Bereich nicht
ausgrenzen, sagt Heygster. Auch Menschen, die obdachlos sind, sterben und
bräuchten Mitgefühl. „Der Hospiz-Gedanke ist ja: Der Mensch ist ein Mensch,
und ein wertvoller Mensch. Egal, wohin ihn das Leben gebracht hat, verdient
er meinen Respekt und eine würdevolle Behandlung.“ Am Ball bleiben und das
Thema in die Öffentlichkeit holen, das will Heygster.
## Hilfe für Obdachlose ist schwer zu organisieren
Doch die Umsetzung ist schwierig: Erstmal müsse man mit den Institutionen,
die sich um Obdachlose kümmern, in Kontakt sein. Darum habe man sich
bereits bemüht, jedoch festgestellt, dass es unheimlich schwierig sei. „Die
Menschen haben schon das Drama, obdachlos zu sein – und dann soll jemand
von der Inneren Mission zu dem Menschen unter der Weserbrücke gehen und
sagen: ‚Wir haben da ein neues Konzept mit der Hospizhilfe. Wenn's dich mal
erwischt, wärst du dann offen, dabei begleitet zu werden?‘ Das ist ganz
schwer.“
„Die Resonanz war nicht so gut“, sagt auch Zropf. Auch wenn die Idee
grundsätzlich sehr gut angekommen sei. Ein Problem sei: Es gebe Treffpunkte
für Obdachlose, aber eben keinen Wohnort. „Eine Begleitung wäre extrem
schwer zu organisieren.“ Am ehesten vorstellbar sei es aktuell, wenn jemand
ins Krankenhaus kommt. „Wir würden uns dem gern annehmen, aber das wird
dauern. Wir müssen auch schauen, dass wir uns da nicht überfrachten.“ Denn
beide arbeiten Vollzeit: Heygster, 68 Jahre alt, ist Dozentin und
Supervisorin im sozialen Bereich, Zropf, 65, leitet eine Einrichtung der
Arbeiterwohlfahrt (AWO) für Menschen mit geistiger Behinderung. Seit 2015
arbeiten beide mit der AWO zusammen, bieten dort Fortbildungen für die
Mitarbeitenden an.
Kerngeschäft der Hospizhilfe ist die Sterbebegleitung. Die Leute kommen,
weil Angehörige entlastet werden müssen, es vielleicht auch gar keine gibt.
„Wir sind nicht mehr in Verbunden wie früher. Wir sind eine
Single-Gesellschaft“, sagt Heygster. „Viele Menschen, die alt werden, haben
nicht mehr unbedingt diesen familiären Zusammenhalt.“
## Ausbildung zur Sterbebegleiter*in
Es melden sich Betroffene, Angehörige oder auch Pflegekräfte und -heime –
aber immer im Wissen der Sterbenden. „Die wollen das selbst.“ Dann kommen
die ehrenamtlichen Helfer*innen vorbei, stellen sich vor – wie oft und
wie lange die Menschen dann begleitet werden, ist den Ehrenamtlichen selbst
überlassen. Auch, ob sie selbst telefonisch erreichbar sein wollen, oder ob
das lieber doch das Büro übernehmen soll.
In der Ausbildung zur Sterbebegleitung, die 80 Stunden umfasst, lernen die
Ehrenamtlichen, Angehörige wie Partner*innen mit einzubinden. „Ich darf
mich nicht dazwischen setzen oder etwas ersetzen wollen“, sagt Zropf.
Weitere Inhalte der Ausbildung erklärt Heygster: „Sich selbst
zurückzunehmen, nicht zu wissen wo es langgeht, nicht zu glauben, ich weiß
gut, was dir jetzt gut täte.“ Auch Stille auszuhalten sei wichtig. „Ich
muss aushalten, nicht zu wissen, was ich sagen soll und auch dass der
andere nichts sagt.“ Entscheidend für die Begleitung ist natürlich auch
Mitgefühl.
Den Auszubildenden soll auch vermittelt werden, dass der zu begleitende
Mensch mehr war, als in dem Moment zu sehen ist. „Wenn ich eine 93-jährige
alte verknitterte Dame ohne Haare sehe, war der Mensch wesentlich mehr“,
sagt Heygster. „Vielleicht eine brilliante Schönheit, vielleicht hat sie
Kinder gehabt, vielleicht war sie sehr erfolgreich, oder eine ganz normale
Putzfrau und hat vielen Menschen die Wohnung so flott gemacht, dass alle
glücklich waren am Wochenende.“
## Mehr Präsenz in der Öffentlichkeit
Andrea Hopfenblatt ist selbst über diese Ausbildung im Verein gelandet.
„Ich hatte noch nie eine Scheu vor Tod und Sterben, aber mit Hospiz konnte
ich nichts anfangen.“ Sie habe dann recherchiert und die Ausbildung
gemacht. „Es war ein großes Geschenk. Ich kann daraus ganz viel ziehen:
Dadurch dass man sich bewusst ist, dass es endlich ist, hat man eine andere
Sicht aufs Leben.“ Das Interesse ging sogar so weit, dass sie später
Palliative Care an der Akademie für Weiterbildung an der Uni Bremen
studiert hat. Den Studiengang gibt es inzwischen nicht mehr.
Heygster ist schon seit über 25 Jahren im Vorstand der Hospizhilfe.
Fortbildungen habe es immer gegeben, für die Mitglieder. Vor wenigen Jahren
habe der Vorstand jedoch die Entscheidung getroffen, mehr in der
Öffentlichkeit zu arbeiten und auch größer zu werden, sagt Zropf. Vor drei
Jahren 110 Mitglieder, habe man jetzt das Doppelte. Dazu wurden zwei große
Seminarräume auf der gleichen Etage der Büroräume in Bremen-Mitte mit
gemietet, damit die Ausbildungen auch vor Ort stattfinden können. Vier
Angestellte mit insgesamt 90 Wochenstunden koordinieren die
Sterbebegleitung, die Projekte und beraten zu Patientenverfügung und
Vorsorgevollmacht.
Inzwischen gibt es sehr viele Angebote in Bremen, auch stationäre Hospize,
oder solche speziell für Kinder. Die Hospizhilfe war jedoch einer der
ersten unter ihnen.
## Finanzierung über die Krankenkassen und über Spenden
Die Finanzierung der Hospizarbeit läuft über die Krankenkassen. Beim
Verband der Krankenkassen stellt die Hospizhilfe am Ende eines Jahres einen
Antrag zur Refinanzierung der Ausgaben, erklärt Zropf. Gezahlt wird
rückwirkend; etwaige Vorschüsse, zum Beispiel für neue Angestellte oder
Räume, müssen also über Spenden generiert werden.
Abhängig von der Zahl der aktiven Ehrenamtlichen – das seien derzeit etwa
70, sagt Zropf – und der verstorbenen begleiteten Menschen gibt es dann
Geld. „Nicht die Zahl der Begleitungen, sondern die Zahl der Verstorbenen
ist entscheidend.“ Daraus ergibt sich eine Summe, innerhalb der dann Miete,
Lohnkosten, Supervision oder Büromaterial abgerechnet werden können. Nicht
abrechnen könne der Verein die Trauergruppen, so Zropf. „Die Kasse sagt:
Mit Trauer haben wir nix zu tun.“ Heygster versteht nicht, warum Trauer
nicht abgerechnet werden kann.
Ebenso geht es Zropf beim Thema Langzeitbegleitung, wie bei seiner Mutter.
Es sei „absurd“, dass diese wichtige Arbeit erst honoriert werde, wenn
jemand stirbt. „Hier werden Unterschiede gemacht. Unser Verein macht das
aber nicht.“ Man nage zum Glück nicht am Hungertuch sondern schaue einfach,
wie man Spenden eintreiben kann. „Wir sind finanziell besser getragen als
so manch andere soziale Projekte.“
Mit Blick auf seine Vereinskolleg*innen sagt Zropf, der selbst seit
2009 dabei ist: „Die sind fröhlicher, dadurch dass die sich so viel mit dem
Tod beschäftigen. Das ist auffällig.“ Man denke nicht ständig an den Tod,
aber sei sich der Endlichkeit eben mehr bewusst. „Das führt dazu, dass wir
uns mehr freuen, dass wir da sind.“
27 Dec 2023
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## AUTOREN
Alina Götz
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