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# taz.de -- Krankenhausseelsorger über Sterben: „Abschied geschieht stückch…
> Der Krankenhausseelsorger Borris Pietzarka über das Sterben an einem Ort,
> der dafür gar nicht gedacht ist.
Bild: Borris Pietzarka begleitet die Angehörigen und Sterbenden im Asklepioskr…
taz: Hat sich Ihr Blick aufs Sterben verändert, seitdem Sie Sterbende im
Krankenhaus begleiten, Herr Pietzarka?
Borris Pietzarka: Ja, das hat es. Es ist möglich, in Würde zu sterben bei
einer sehr guten Symptomkontrolle, und dennoch bleibt immer auch etwas
Unbestimmtes, Unplanbares.
taz: Beunruhigt Sie das?
Pietzarka: Ich gehe nicht davon aus, dass ich spontan sterbe, sondern, dass
es ein Prozess sein wird. Die Vorstellung, bei Nacht im Bett zu sterben,
ist dann doch zu viel Wunschdenken. Es wäre Unsinn zu sagen, dass der
Gedanke an das eigene Sterben und den Tod einen nicht bedrückt,
andererseits will ich auch gar nicht ewig leben, ich mag irgendwie auch den
Gedanken an Begrenzung. Und klar sterbe ich auch in Hoffnung, in Gott
hinein zu sterben. Mir hat mal ein Kollege gesagt: Vor dem Tod habe ich
keine Angst, denn dann bin ich ja schon gestorben. Ich denke, wir können
diese Spannung und Ambivalenz einfach nicht auflösen, sondern nur mit ihr
leben.
taz: Formulieren die Sterbenden, die Sie als Seelsorger im Krankenhaus
betreuen, das eigentlich so klar: Ich sterbe?
Pietzarka: Sie würden nicht sagen: Ich sterbe gerade. Aber sie sagen: Ich
weiß, dass ich nicht mehr viel Zeit habe. Wir haben die Möglichkeit, einen
Wünschewagen kommen zu lassen, mit dem man noch mal an einen Ort fahren
kann, der einem wichtig ist. Und da ist oft so die Frage, wann der richtige
Zeitpunkt ist.
taz: Was ist das Kriterium dafür?
Pietzarka: Dass es körperlich noch möglich ist. Ein letztes Mal an die
Ostsee fahren – mache ich das jetzt gleich am Anfang oder warte ich? Wir
denken beim Tod immer ein bisschen magisch, in der Art: Wenn ich jetzt zu
früh mit dem Wünschewagen fahre, dann sterbe ich bald. Oder ich will es
möglichst lange hinauszögern, weil es wirklich ein Abschluss für mich sein
soll, weil das Meer mir so viel bedeutet.
taz: Das heißt aber, die Mehrheit der Sterbenden verdrängt nicht, dass sie
stirbt, und benennt das auch?
Pietzarka: Ja, aber eben nicht so explizit. Nicht „ich merke jetzt, ich
sterbe“, sondern: „die Kraft wird weniger, jeden Tag weniger“. Keinen
Appetit mehr haben, das sind Anzeichen, bei denen Menschen merken, dass der
Körper spürbar anders wird. Dann geht es zum Sterben hin.
taz: Ich hatte immer gedacht, es ist wichtig, dass in der letzten halben
Stunde jemand dabei ist. Aber nach dem, was Sie sagen, ist die Zeit davor
genauso wichtig.
Pietzarka: Manche sind bemüht, noch mal auf ihre Lebensliste zu gucken: Was
will ich eigentlich noch abarbeiten? Jemand kann friedlicher sterben, wenn
er ein paar Sachen auf der Liste getan hat. Da geht es manchmal um
praktische Nachlassfragen, manchmal sind es auch außergewöhnliche Dinge,
wie den Sohn wiederzusehen, zu dem man jahrelang keinen Kontakt mehr hatte.
Manchmal haben wir die skurrile Situation, dass Frauen noch lernen, wie das
Banking funktioniert, weil der Mann alle Passwörter hat. Die Tage oder
Wochen vor dem Tod sind wichtig, aber ja, die letzte halbe Stunde ist es
auch.
taz: Wenn es um die Wünsche in den letzten Momenten geht, in denen
Sterbende vielleicht nicht mehr ansprechbar sind – wie vermittelt sich, was
ihnen dann guttut?
Pietzarka: Es gab einmal die Situation, dass eine Person immer an dem
Sterbenden rüttelte, um zu gucken, ob er noch lebte. Ich sagte dann
irgendwann: „Warum machen Sie das?“ – „Ich muss ja wissen, wann er stir…
– „Was meinen Sie: Hätte er das so gewollt?“ – „Das glaube ich nicht…
„Okay, was hätte er denn gewollt?“ Wir wissen schon so ein bisschen, wie
die Menschen gerne angesprochen oder angefasst werden. Ich denke, wir
sollten beim Sterben unser Verhalten normalisieren.
taz: Was bedeutet das konkret?
Pietzarka: Man muss nicht übermäßig vorsichtig reden, man muss nicht
übermäßig viel berühren, man darf auch mal rausgehen, man darf auch mal
lachen. Man darf auch weinen, aber ich finde, das ist kein Moment, der dem
Leben völlig entnommen ist und wo völlig andere Gesetze gelten.
taz: Was mich in den Gesprächen über die Wünsche von Sterbenden frappiert
hat, war, dass einige dabei alleine bleiben wollen.
Pietzarka: Das kann für die Angehörigen schwierig sein. Die haben manchmal
das Bild, sie müssten unbedingt dabei sein, oder wollen es von sich aus
dringend. Es gibt aber tatsächlich auch Patient:innen, die einfach gerne
alleine sind, und manchmal gehen die Angehörigen ganz kurz Kaffee trinken
und die Person stirbt währenddessen. Wir sagen dann immer: gerade so den
Raum genutzt.
taz: Das ist jetzt sehr pauschal gefragt, aber trotzdem: Sind die
Sterbenden dann überhaupt noch in der Lage, ihre Wünsche vermitteln zu
können?
Pietzarka: Es gibt sehr wohl Sterbende, die das sagen können. Oder sie
haben schon vorher abgesprochen, dass Familie da ist. Wir bieten auch, wenn
wir das können, die Möglichkeit, dass jemand hier auf einem Beistellbett
übernachten kann. Das müsste eigentlich ein ethischer Standard sein, aber
wir wissen ja selber, wie es gerade aussieht bei uns in der
Gesundheitslandschaft.
taz: Die Krankenhaus-Mitarbeitenden, mit denen ich bislang sprach, sagten,
dass es für die Betreuung der Sterbenden kaum Kapazitäten gebe. Es reiche
ja kaum für die anderen.
Pietzarka: Erlauben Sie mir noch eine Schleife: Krankenhäuser sind vom
System her immer würdebedrohend. Das sage ich nicht, um das
Krankenhaussystem als solches anzugreifen. Aber es macht Menschen sehr
gleichförmig. Man sagt ihnen, was sie essen sollen, wann sie aufzustehen
haben oder wach sein sollen. Es geht also darum, Würde und Autonomie zu
wahren, auch im Sterben. Da sind wir am Punkt der Einflussmöglichkeiten.
taz: Was sind die?
Pietzarka: Wir sprechen mit den Patient:innen darüber, wie es
weitergehen soll, und das ist ja nicht nur der Weg ins Hospiz, sondern es
kann auch eine ambulante Palliativversorgung zu Hause sein. Wir gucken mit
ihnen: Was ist der sichere Ort?
taz: Inwiefern sicher?
Pietzarka: Sicher, wenn spontan Schmerzen auftreten. Dazu können Sterbende
etwas sagen, die liegen ja nicht einfach nur und können nichts mehr sagen.
Das ist für mich der Bogen zur Würde, zur Selbstbestimmung. Wir fragen: Wie
soll es weitergehen, ist eine Situation im häuslichen Bereich nicht zu
halten, weil die Menschen schlicht und ergreifend alleine sind?
taz: Das Paradox ist: Die überwältigende Mehrheit will laut Umfragen zu
Hause sterben, aber die meisten Menschen tun das im Krankenhaus. Fühlen sie
sich zum Schluss doch nur dort sicher?
Pietzarka: Nach meiner Erfahrung muss man gucken, wie der häusliche Bereich
aufgestellt ist. Und dann müssen wir auch ganz klar sehen: Versorgung gibt
es nicht unendlich. Wir sind hier in Hamburg relativ gut aufgestellt mit
der ambulanten Palliativversorgung, aber es gibt auch ländliche Bereiche,
in denen wir in Bedrängnis kommen. Da ist die Frage, was die hausärztliche
Versorgung oder der Pflegedienst abdecken können.
taz: Aber spontan möchten die meisten nach Hause?
Pietzarka: Am Anfang ja. Es ist interessant, ich habe gestern mit einem
Patienten gesprochen, der nicht wusste: Was soll ich jetzt bloß tun? Er ist
hochaltrig und austherapiert, das ist ein unschönes Wort, das die Ärzte
dann sagen. Die Frage war: Geht er jetzt ins Hospiz oder nach Hause? Und
natürlich wäre er gerne zu Hause, und dann sagte ich: „Wissen Sie, selbst
wenn Sie jetzt nur zwei Wochen zu Hause sind, haben die wahrscheinlich eine
Lebensqualität, die Ihnen wichtig ist. Dann kann man immer noch gucken, wie
es dann weitergeht.“
taz: Also auch Kraft in Übergänge stecken?
Pietzarka: Ich finde es fürchterlich: Menschen kommen ins Krankenhaus und
gehen danach direkt ins Hospiz, sie können nicht ein Mal noch zu Hause
sein. Einmal habe ich für jemanden noch einmal die Wohnung gefilmt, damit
die Person Abschied nehmen konnte.
taz: Ich hätte gedacht, dieses Noch-einmal-da-Sein und dann wegzumüssen,
ist noch schlimmer.
Pietzarka: Vielleicht geschieht Abschied auch immer stückchenweise. Beim
Sterben ist ja auch nicht von jetzt auf gleich alles weg, sondern es ist so
ein Stückchenweise-Verabschieden von Fähigkeiten, vielleicht auch von
Beziehungen. Klar, wer das nicht will oder nicht aushalten kann, der geht
dann wahrscheinlich sofort ins Hospiz. Aber das ist ja Lebensgestaltung.
Sie hören ja, ich bin ein Freund davon, dass Menschen einfach gestalten und
nicht Angst haben, den Leuten auf die Nerven zu gehen, weil sie in drei
Wochen schon wieder da sind. Nein, das ist die falsche Haltung. Gucken Sie,
was Sie brauchen!
taz: Die Ausstattung bei Ihnen mit Palliativstation plus Beratung auf
anderen Stationen durch Palliativmediziner:innen klingt ziemlich
paradiesisch.
Pietzarka: Ich habe jetzt auch erst mal das geschildert, was gut läuft. Sie
müssen sich vorstellen, wir sind im Hamburger Süden und sind von ganz wenig
hin zu mittelwenig gelangt. Wir haben inzwischen zehn Palliativbetten, aber
ob das den Bedarf deckt, da bin ich mir nicht so sicher.
taz: Also eher nicht.
Pietzarka: Genau. Und dann haben wir das Problem der Anschlussversorgung.
Wir haben zum Teil wirklich schlimme Situationen, weil wir lange auf einen
Hospizplatz warten. Das können wir ein bisschen überbrücken, weil auf der
Palliativstation in der Regel eine Verweildauer von drei Wochen möglich
ist. Wobei man fairnesshalber auch sagen muss: Ein Krankenhaus ist für die
Behandlung da und nicht zur Unterbringung.
taz: Das heißt, es bräuchte mehr Hospizplätze und mehr ambulante
Palliativversorgung?
Pietzarka: Die Plätze allein genügen nicht. Da braucht man sich nichts
vormachen. Wir haben die Betten, aber sie können nicht gefahren werden,
weil einfach kein Personal da ist.
taz: Noch einmal zu der Frage, wo die Leute sterben wollen. Wo fühlt sich
die Mehrheit sicher?
Pietzarka: Die Mehrheit möchte ins Hospiz. Sie müssen sich das so
vorstellen: Die Menschen sind hier auf der Palliativstation, dann werden
sie nach Hause entlassen, und wenn sie dann Atemnot bekommen, kommen sie
über die Notaufnahme wieder in die Klinik. Da ist es dann, glaube ich, der
einfachere Weg, zu sagen, ich gehe ins Hospiz. Da fühlt man sich sicher.
Sicherheit entsteht ja nicht nur durch technische Apparatur, sondern auch
durch Zuwendung und durch das Gefühl: wenn ich zum Beispiel in Atemnot
gerate, kann mir adäquat geholfen werden. Das ist in einem professionellen
Umfeld besser, als wenn jetzt der Ehemann die Nerven verliert. Wir
versuchen jetzt, das mit der Notaufnahme so zu koordinieren, dass die schon
weiß, dass die Patienten hier bereits palliativ behandelt wurden. Da können
wir uns anders verhalten als bei einem anderen Akutfall.
taz: Was bedeutet das konkret?
Pietzarka: Manchmal ist weniger Medizin die bessere Medizin. Was macht der
Notarzt? Der nimmt den Patienten im Zweifelsfall mit und dann landen wir in
der Übertherapie, die kein palliativer Patient sich wirklich wünscht.
taz: Warum nicht?
Pietzarka: Gucken Sie sich die Zahlen an, wie oft Lungenentzündungen
behandelt werden, die überhaupt nicht mehr behandelt werden sollten. Ich
glaube, wir tun den Patient:innen nicht immer einen Gefallen, wenn wir
Maximaltherapie fahren. Dass wir uns manchmal auch als Professionelle sagen
müssen: Wir haben es mit einem sterbenden Patienten zu tun. Keine
Antibiose mehr, das ist Unsinn. Das sage ich jetzt als Medizinlaie, aber
ich höre anderen zu, die das sagen. Das muss man natürlich alles vorher mit
den Patient:innen klären, wir können nicht sagen: Nein, das machen wir
nicht mehr.
taz: Mir sagte eine Krankenschwester, dass sie immer mal wieder Angehörige
erlebt, die, wenn die Maschinen abgestellt werden, sagen: Da möchte ich
nicht dabei sein. Erleben Sie das auch?
Pietzarka: Ja, das kenne ich auch. Natürlich würde ich niemandem sagen: Sie
müssen jetzt bleiben. Wer gehen will, will gehen. Das ist dann auch in
Ordnung. Ich mache aber durchaus Mut, das zu versuchen. Wenn die Symptome
kontrolliert werden, dann gibt es auch keine schrecklichen Sterbeszenen. Es
gibt aber auch den Fall, dass Angehörige gehen und ich bleiben soll. Das
finde ich manchmal ein bisschen schräg. Die sagen dann: Wir halten das
nicht aus, aber es wäre total toll, wenn unser geliebter Mensch nicht
alleine wäre.
taz: Und Sie können das so nehmen?
Pietzarka: Ja, ich nehme das so. Menschen sind unterschiedlich. Scheinbar
formulieren sie ja etwas, was für den Sterbenden wichtig ist: nicht allein
zu sein. Oft reicht es auch, dass das Krankenhausteam sagt: Wir sind ja
hier und gucken.
taz: Hat das Team überhaupt die Zeit dafür?
Pietzarka: Man kann im Krankenhaus gezielt nachfragen: „Ich will hier nicht
alleine sterben, ich habe Angst vorm Sterben.“ Dann sind die Stationen fit
genug, um zu sagen: „Mensch, Borris, kannst du schnell mal kommen, was
können wir da machen?“ Aber Sie haben recht, es werden auch Menschen
sterben und nicht so versorgt sein, wie ich mir das vorstellen würde.
taz: Gibt es Zahlen dazu?
Pietzarka: Ich kann Ihnen das ehrlich gesagt nicht sagen. Ich glaube,
darüber wird auch nicht so gerne Statistik geführt.
taz: Und eine gefühlte Zahl, oder finden Sie das zu unwägbar?
Pietzarka: Meine Sorge ist, dass es weitaus mehr sind als die, von denen
ich weiß oder die wir gut begleiten.
taz: Gibt es angesichts der Personalknappheit überhaupt noch Spielräume?
Pietzarka: Es gibt Personalknappheit, aber manchmal ist es auch eine
Unkenntnis, dass man auf bestimmte Dinge nicht kommt und zu sehr im Stress
ist.
taz: Worauf nicht kommt?
Pietzarka: Es gibt das Paradigma, sich um die zu kümmern, die davon noch
profitieren können, in Anführungsstrichen, die wieder gesund werden – und
weniger Zeit mit denen zu verbringen, die sterben. Ich plädiere dafür, dass
manchmal einfache Dinge dazu führen, dass das Sterben anders wird. Wir
haben Abschiedsboxen, in denen nichts Spektakuläres ist, es sind Dinge, die
einen Übergang markieren: ein Duftstein, ein LED-Licht – wir dürfen keine
echten Kerzen nehmen – oder ein Engel, gar nicht christlich konnotiert und
auch nicht kitschig.
taz: Was wird da genau markiert?
Pietzarka: Dass hier jemand stirbt. Das hier etwas anders ist, eine andere
Logik läuft: Hier wird nicht mehr geheilt, hier wird jetzt verabschiedet.
Hier darf jemand gehen.
28 May 2025
## AUTOREN
Friederike Gräff
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