# taz.de -- Projekt bringt Alt und Jung zusammen: „So muss ich nicht allein g… | |
> Rentnerin Beate Friedrichs und Schülerin Elisa gehen gemeinsam zum | |
> Handball oder ins Kieler Theater. Das Projekt „KulturistenHoch2“ macht es | |
> möglich. | |
Bild: Beate Friedrichs ist in Rente, Elisa geht zur Schule – beide brachte �… | |
wochentaz: Elisa, welche Musik hörst du am liebsten? | |
Elisa: Alles durchmischt: Rock, Pop, Klassik, je nach Stimmung. | |
Und Sie, Frau Friedrichs? | |
Beate Friedrichs: Ich stehe auf Unheilig. Schade, dass Der Graf aufgehört | |
hat, oder? Wussten Sie, dass er eigentlich stottert? Wenn er singt, dann | |
stottert er nicht. | |
Nein, das wusste ich nicht. Aber Sie ahnen vielleicht, warum ich Sie beide | |
nach Ihrem Musikgeschmack frage. Sie stammen aus verschiedenen Generationen | |
– Elisa, du wirst Mitte April 17, und Frau Friedrichs, Sie werden Mitte | |
März 69 Jahre alt. Aber Sie besuchen gemeinsam Kulturveranstaltungen. Wie | |
einigen Sie sich darauf, zu welchem Konzert oder in welches Theaterstück | |
Sie gehen? | |
Friedrichs: Wir haben uns zum ersten Mal in der Sportarena getroffen. Wir | |
haben Handball geschaut, ein Spiel des [1][THW Kiel]. Ich war schon ganz | |
früh da und habe Elisa geschrieben, wo ich stehe. Sie kam dann auch kurz | |
darauf, und dann lief es gleich gut mit uns. | |
Okay, also Handball statt Konzert. Vielleicht erzählen Sie mal, was genau | |
für ein Angebot das ist, an dem Sie beide teilnehmen? | |
Elisa: Es nennt sich [2][KulturistenHoch2]. Die Idee dabei ist, dass Jung | |
und Alt zusammengebracht werden und gemeinsam kulturelle Veranstaltungen | |
besuchen. | |
Friedrichs: Man kann ins Theater gehen, in eine Ausstellung, aber eben | |
auch zum Sport. | |
Wie sind Sie dazu gekommen? | |
Elisa: Bei uns wurde das Programm in der Schule vorgestellt. Als ich gehört | |
habe, welcher Sinn dahintersteht, hat mich das sofort angesprochen. Es ist | |
eine Möglichkeit, mit anderen Menschen eine Veranstaltung zu besuchen, und | |
man lernt obendrein neue Leute kennen. Ich finde das spannend, und ich | |
denke, man kann von älteren Menschen eine Menge lernen. | |
Was zum Beispiel? | |
Elisa: Ich finde es interessant, wenn mir jemand erzählt, was er im Leben | |
getan und erreicht hat. Ich mache im nächsten Jahr meinen Schulabschluss | |
und weiß nicht, was dann kommt. So eine Begegnung kann eine Inspiration | |
sein. | |
Du stammst aus Kiel und gehst hier zur Schule? | |
Elisa: Ja, auf ein Gymnasium. Was ich später machen will, finde ich | |
wirklich schwierig, weil es so viele Möglichkeiten gibt und weil ich so | |
viele verschiedene Interessen habe. Darum wechselt es zurzeit von Monat zu | |
Monat. | |
Wie ist der aktuelle Stand? | |
Elisa: Journalismus oder Polizei, also komplett unterschiedliche Dinge. | |
Jura fände ich auch interessant. | |
Frau Friedrichs, wie war das mit der Berufswahl, als Sie in Elisas Alter | |
waren? | |
Friedrichs: So viele Möglichkeiten hatten wir früher nicht. Ich bin neun | |
Jahre zur Volksschule gegangen, dann in die Lehre. Heute geht alles viel | |
schneller, es ändert sich ständig. | |
Was für eine Lehre haben Sie gemacht? | |
Friedrichs: Als Verkäuferin, im Einzelhandel. Hier in Kiel, beim „A&O“. Den | |
gibt’s heute gar nicht mehr, das war so ein Tante-Emma-Laden. | |
Also, Sie beide haben sich in der Sportarena beim THW kennengelernt. Mögen | |
Sie beide denn Sport? | |
Friedrichs: Ich bin sogar im Sportverein, gehe zum Schwimmen und zur | |
Wassergymnastik. Mehr geht nicht, ich bin ja schwerbehindert. Aber ich | |
gucke gern Sport, gerade die Spiele des THW Kiel und von Holstein Kiel. | |
Elisa: Ich gehe ins Fitnessstudio. Für anderen Sport habe ich nicht so viel | |
Zeit, ich mache dafür aber viel Musik und habe daneben auch noch einen | |
Minijob, als Servicekraft in einer Konditorei, da stehe ich hinter dem | |
Tresen. Außerdem singe ich im Chor der [3][Kieler Oper], das ist ganz schön | |
zeitaufwendig durch die Proben. Und ich spiele Querflöte im Orchester und | |
mache gerade meinen Führerschein. Na ja, und hauptberuflich gehe ich | |
natürlich zur Schule. Also, es ist alles eng getaktet bei mir. | |
Frau Friedrichs, wussten Sie, dass Elisa im Verkauf arbeitet, genau wie Sie | |
früher? | |
Friedrichs: Nein, das wusste ich nicht. Übrigens habe ich gar nicht so | |
lange als Verkäuferin gearbeitet. Ich habe geheiratet, dann kamen die | |
Kinder. Ich habe dann in einem Pflegeheim angefangen, bei der | |
Arbeiterwohlfahrt, und dort 15 Jahre gearbeitet, bis ich in Rente gegangen | |
bin. Es war immer knapp mit dem Geld, aber ich bin mit 15 in die Lehre, | |
seither kann ich hauswirtschaften, das lernt man. | |
Elisa: Ich finde es wichtig, dass man lernt, mit Geld umzugehen. Man | |
schätzt es mehr wert, wenn man dafür gearbeitet und sich angestrengt hat, | |
als wenn man es geschenkt bekommen hat. | |
Haben Sie solche Fragen auch schon bei Ihrem ersten Treffen besprochen? | |
Überhaupt, wie läuft das ab, kommt man gleich ins Gespräch? | |
Elisa: Nein, so tief ging es nicht. Es war eher das, was man beim | |
Kennenlernen so fragt. | |
Friedrichs: Ja, die Standards, wie ist die Schule, welche Fächer machen dir | |
Spaß, so die gängigen Themen. Elisa hat mich gefragt, ob ich Kinder habe, | |
so was halt. Na ja, man hat ja auch was zu tun, man guckt zu und redet in | |
den Pausen ein bisschen. | |
Elisa: Aber es hat bei uns gut gepasst, wir haben uns gleich unterhalten. | |
Friedrichs: Sie hat auch Brezeln geholt, das wäre mir schwergefallen. Da | |
sind sehr hohe Stufen in der Arena, und ich gehe am Rollator. | |
Elisa: Stimmt, ich bin in der Pause losgegangen und hab Aufträge umgesetzt. | |
Friedrichs: Und dann hatten wir noch den Fototermin. | |
Elisa: Ja, wir hatten einen Fototermin mit den Spielern. Der THW hat das | |
Bild gepostet. Meine Mutter hat es mir geschickt, ich habe mich richtig | |
darüber gefreut. Ich war zum ersten Mal beim Handball, es war eine ganz | |
andere Atmosphäre als beim Fußball. Das Stadion ist nicht riesig, man fühlt | |
sich mit den anderen Leuten verbunden, wie eine riesengroße Freundesgruppe. | |
Es ist so ein inniger Kontakt, das hätte ich nicht erwartet. | |
Friedrichs: Ja, das ist ein großer Unterschied zum Fußball. Damit kenne ich | |
mich aus: Mein Ex, mein Sohn und mein Vater haben Fußball gespielt. | |
Handball war neu, ich hab’s genossen. Für mich war das der bisher beste | |
Abend mit den Kulturisten. | |
Und beim nächsten Treffen werden die Themen dann weiter vertieft? | |
Elisa: Nein, das nächste Treffen findet mit jemand anderem statt. Es sind | |
immer neue Leute, so hört man immer verschiedene Geschichten. | |
War schon jemand dabei, mit dem Sie nichts anfangen konnten? | |
Elisa: Ich bin seit Mitte 2022 bei dem Projekt und habe zweimal mitgemacht. | |
Beim ersten Mal war ich mit einem älteren Herrn unterwegs, das hat auch | |
superviel Spaß gemacht. | |
Friedrichs: Ich bin immer gespannt, wer kommt: groß, klein, jemand, der | |
viel oder wenig redet. Es ist wie ein Blind Date. Im vergangenen Sommer war | |
ich in der Kunsthalle, da habe ich mit einer jungen Frau Bilder angeschaut. | |
Aber die gefielen uns beiden nicht so, die fanden wir zu düster. Also sind | |
wir lieber Eis essen gegangen. | |
Bei Elisa lief es über die Schule, aber wie haben Sie vom Projekt erfahren? | |
Friedrichs: Durch die Kieler [4][Howe-Fiedler-Stiftung], die einiges für | |
Kieler Senioren anbietet und auch Träger der Kulturisten ist. Dort wurde | |
ich gefragt, ob das etwas für mich ist, und ich fand die Idee super. Allein | |
2022 habe ich bei 14 Veranstaltungen mitgemacht. Ehrlich gesagt, ich würde | |
von allein nicht auf die Idee kommen, in die Oper oder so zu gehen. Ich | |
würde das auch nicht zahlen können. So habe ich den Spaß, muss nicht allein | |
gehen – und es kostet auch nichts, weil die Karten gespendet werden. | |
Ein Ziel ist, Einsamkeit zu bekämpfen. Kennen Sie andere Leute, mit denen | |
Sie in Konzerte oder Theater gehen könnten? | |
Friedrichs: Nein. Ich habe zwar einen Partner, aber Schauspielhaus oder so | |
kommt für ihn nicht in Frage. Mit meinem Sohn habe ich Kontakt, meine | |
Tochter wünscht keinen Kontakt … Es war eine schwierige Zeit früher: Ich | |
habe sie allein großgezogen. Mein Ex-Mann hat getrunken, seinetwegen bin | |
ich sogar mal ins Frauenhaus gezogen. Seit 36 Jahren bin ich geschieden. | |
Meinem neuen Partner sehe ich am Wochenende, aber ich will nicht mit ihm | |
zusammenziehen. Das kann ich nicht, dafür habe ich zu doll um meine | |
Freiheit gekämpft. | |
Das heißt, Sie genießen es manchmal auch, allein zu sein? | |
Friedrichs: Ja, und außerdem betreue ich meine Tante, die ist 97 Jahre alt. | |
Da bin ich ganz schön gefordert. Das ist manchmal auch anstrengend, | |
schließlich habe ich selbst die Schaufensterkrankheit … | |
Das klingt so lustig, aber Sie meinen die arterielle Verschlusskrankheit, | |
eine Durchblutungsstörung, die dazu zwingt, langsam zu gehen? | |
Friedrichs: Genau. Darum habe ich den Rollator. Ich habe mich | |
kaputtgearbeitet. Aber ich will nicht jammern. | |
Elisa, kennst du Phasen der Einsamkeit? | |
Elisa: Nein, eigentlich nicht. Durch die Schule habe ich den ganzen Tag | |
Kontakt zu anderen. Aber nach dem Coronalockdown war es anfangs komisch, | |
da hat man erst gar nicht miteinander geredet, weil man sich so lange nicht | |
gesehen hat. Über das Handy hat mal halt immer Kontakt zu anderen. Aber | |
eben auch nur über das Handy. | |
Friedrichs: Das wäre früher nicht möglich gewesen, da gab’s kein Handy. Bei | |
uns Älteren ist Einsamkeit schon ein Thema. Ich gehe immer donnerstags zu | |
einer Kartenrunde und habe da auch Werbung für die Kulturisten gemacht, | |
aber da traut sich keiner mitzumachen. | |
Ja, man muss sich auf so ein Treffen einlassen, so ein Blind Date mit einer | |
viel jüngeren Person. Elisa hat gesagt, dass sie auf Inspirationen und | |
Tipps hofft. Was erwarten Sie bei den Treffen, Frau Friedrichs, warum ist | |
der Kontakt zu Jüngeren Ihnen wichtig? | |
Friedrichs: Mir macht es Freude zu sehen, dass die auch Spaß haben. Gerade | |
beim Handball war das Gute, dass wir beide zum ersten Mal da waren und es | |
gemeinsam entdeckt haben. Und es sind ja keine kleinen Kinder, sondern | |
Schüler, mit denen man sich unterhalten kann. | |
Elisa: Das stimmt, man erfreut sich selbst daran, kann aber gleichzeitig | |
anderen Menschen eine Freude machen. Bei meinen beiden Treffen wurde sich | |
am Ende des Abends bedankt, das ist ein schönes Gefühl. | |
Frau Friedrichs, haben Sie das Gefühl, den jungen Leuten danken zu müssen, | |
dass sie sich mit Ihnen treffen? | |
Friedrich: Nee, so ist das auch nicht. Man sagt, es war ein schöner Abend, | |
hat mich gefreut. | |
Elisa: Genau, man dankt sich gegenseitig für das Treffen. Denn ich bin auch | |
dankbar, dass es Menschen gibt, mit denen ich zu solchen Veranstaltungen | |
gehen kann. In meinem Freundeskreis gibt’s keinen, der ständig die Oper | |
oder THW Kiel besucht. | |
Können Sie sich Veranstaltungen aussuchen? | |
Friedrich: Ja, man wird angerufen von den Kulturisten, die sagen, welche | |
Karten da sind, dann kann man sich etwas aussuchen. | |
Elisa: Für uns gibt es eine Gruppe über Signal, da werden die Termine | |
reingestellt, und wer sich zuerst meldet, kriegt den Zuschlag und die | |
persönlichen Daten des Tandempartners. Für mich steht das Interesse an den | |
anderen Menschen an erster Stelle, auf die Veranstaltung lasse ich mich | |
ein, so wie auf den Handball. Aber es bietet ja niemand etwas Schlechtes | |
an. Ich finde es toll, dass alle mitmachen und Freikarten stellen. | |
Für die Schüler*innen gibt es am Ende des Programms ein Zertifikat für | |
ehrenamtliches Engagement. Ist das wichtig? | |
Elisa: Na ja, vielleicht kommt so was gut an bei einer Bewerbung an der Uni | |
oder so. Aber darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht, ich mache nicht | |
mit wegen eines Zertifikats, und so geht es vielen an meiner Schule, die | |
mitmachen. Alle in meinem Umkreis sind begeistert von dem Projekt, auch | |
meine Eltern unterstützen es. | |
Das Kulturisten-Angebot wird durch Mittel der Deutschen Fernsehlotterie | |
finanziert, die Förderung endet Mitte 2024. Was würde fehlen, wenn die | |
wegfiele? | |
Friedrichs: Das wäre schade. Es läuft gerade so gut an, und Leute wie ich, | |
die nicht viel Geld haben, könnten ohne die Kulturisten keine solchen | |
Veranstaltungen besuchen. | |
Was ist die nächste Veranstaltung, worauf hätten Sie Lust? | |
Elisa: Richtig Lust hätte ich auf „Die Zauberflöte“ im Opernhaus. Weil ich | |
da selbst im Chor singe, bin ich selten als Zuschauerin da. Auch die | |
Kunsthalle fände ich extrem interessant. Oder mal mit dem | |
City-Sightseeing-Bus durch die Stadt, das wäre auch cool. | |
Friedrichs: Ich würde gern zum Fußball, zu Holstein Kiel. Oder ins Kino, da | |
war ich lange nicht, und beim Seniorenkino laufen keine Filme, mit denen | |
ich was anfangen kann. | |
5 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Nordderby-zwischen-Flensburg-und-Kiel/!5900506 | |
[2] https://kulturisten-hoch2.de/ | |
[3] https://www.theater-kiel.de/ | |
[4] https://www.howe-fiedler-stiftung.org/ | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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