# taz.de -- Junge Schulsprecherin über Engagement: „Wächst mir auch mal üb… | |
> Aylin Ünveren ist 13 Jahre alt und Schulsprecherin an ihrem Berliner | |
> Gymnasium. Nachmittags abhängen geht da kaum, denn sie nimmt ihren Job | |
> sehr ernst. | |
Bild: Anwältin für ihre Mitschüler*innen: Schulsprecherin Aylin Ünveren | |
wochentaz: Aylin, du bist 13 Jahre alt. Was macht man in dem Alter, wenn | |
man nachmittags von der Schule nach Hause kommt? | |
Aylin Ünveren: Ich mache sofort Hausaufgaben. Dann esse ich etwas. Dann | |
entspanne ich mich. Und dann muss ich als Schulsprecherin nachmittags oft | |
noch viel an Projekten arbeiten und Gremiensitzungen organisieren oder | |
E-Mails verfassen an Lehrer oder an die Schulleitung. Manchmal mache ich | |
mir extra morgens im Unterricht erst mal eine To-do-Liste für den | |
Nachmittag. | |
Ich hätte jetzt gedacht, man hängt als Teenager auch einfach mal gerne ab | |
nach der Schule. | |
Es passiert schon mal, das andere ins Kino gehen, und ich schreibe dann | |
abends noch eine E-Mail. Finde ich dann in dem Moment auch manchmal schade. | |
Aber ich habe mir den Job als Schulsprecherin ja selbst ausgesucht. Das | |
muss man also auch auf sich nehmen wollen, denke ich. Am Wochenende habe | |
ich dann Zeit für mich. Aber klar, manchmal wächst mir das auch mal über | |
den Kopf, das war auch schon Thema mit meinen Eltern zu Hause. | |
Wie sieht dieser Job aus, wie du es nennst, was macht eine Schulsprecherin? | |
Ich schaue, was sich die Schülerschaft wünscht, was man verbessern kann. | |
Dann schreibe ich E-Mails an die Lehrer und schaue, was ich erreichen kann. | |
Wir haben einen Wunschbriefkasten bei uns an der Schule, da können alle | |
Schüler ihre Wünsche reintun. | |
Was sind das für Wünsche, um die du dich kümmerst? | |
Die Oberstufenschüler wünschen sich zum Beispiel gerade Räume, die sie in | |
ihren Freistunden für Hausaufgaben nutzen können. In der Mensa sind oft | |
auch viele jüngere Klassen, da gibt es wenig Ruhe. Das ist gerade ein | |
Thema: Ruheräume. | |
Wie viele Stunden sind das am Nachmittag, die du für diese Anliegen | |
brauchst? | |
Das kommt darauf an. Manchmal ist es eine Stunde am Tag, manchmal auch | |
weniger. Den Wunschbriefkasten leere ich immer freitags. | |
Wie gesagt, du könntest nachmittags auch einfach abhängen – und eben nicht | |
nur am Wochenende. Was treibt dich an? | |
Ich finde, Schule ist ein Ort für die Schüler. Natürlich auch für die | |
Lehrer. Aber ich glaube, jedes Kind hat das Recht, dass das Lernen angenehm | |
ist. Ich will die Schule zu einem besseren Ort machen. Für alle. | |
Das ist ein großes Ziel. Wie kommt man da hin? | |
Ich muss Anwältin sein für meine Mitschüler. Wenn sie ein Problem | |
untereinander haben oder auch wenn es Probleme mit den Lehrern gibt. Ich | |
höre mir auch private Probleme an. Das ist manchmal nicht ganz einfach. Und | |
ich bereite Gremiensitzungen vor. | |
Das ist viel Verantwortung. | |
Ja, das stimmt. | |
Wenn du dich nicht kümmern würdest, würden die Interessen von euch | |
Schüler*innen übersehen? | |
Das hängt nicht alleine an mir, die Schülerschaft an meiner Schule ist | |
insgesamt sehr engagiert. Aber ich glaube, wenn wir Schulsprecher – wir | |
sind ja ein Team – nicht wären, dann würden viele Projekte nicht so | |
unterstützt an der Schule und vor allem nicht so schnell umgesetzt werden. | |
Was meinst du konkret, wo würdet ihr Schüler nicht gehört worden? | |
Ich sage jetzt mal ein Beispiel: der Weihnachtsbasar. Das fanden die Lehrer | |
zu aufwändig, deshalb wurde das nichts. Jetzt haben wir gedacht: Okay, dann | |
eben ein Sommerfest. Wir würden nämlich gerne nach den Coronajahren mal | |
wieder alle zusammenkommen und ein Fest feiern. Wir fangen dafür schon | |
jetzt an mit den Planungen, gemeinsam mit den Eltern und Lehrern, damit das | |
auch etwas wird, anders als der Weihnachtsbasar. Alle Klassensprecher | |
sollen jetzt Umfragen in ihren Klassen machen, was sie sich für ein Fest | |
wünschen. Dann wollen wir die Elternvertreter mit einbeziehen. Wenn die | |
Eltern mit dabei sind, ist das mehr Druck für die Schulleitung. | |
Warum braucht es so viel Druck, damit man eure Interessen im Blick hat? | |
Ich glaube, es ist ein Zeitproblem. So wie ich das verstehe, hat nicht | |
jeder Lehrer Lust darauf, sich am Nachmittag noch extra Gedanken zu machen | |
und Dinge gemeinsam mit den Schülern vorzubereiten. Dabei wäre es sehr | |
schön für uns Schüler, wenn das mehr passieren würde. | |
Da müsst ihr euch selbst drum kümmern. | |
Ja, genau. | |
Um welche Projekte musst du dich gerade noch selbst kümmern? | |
Ich würde gerne eine Mädchen-Fußball-AG gründen. Ich habe selbst Fußball | |
gespielt. Und ich weiß, dass viele Mädchen gerne Fußball spielen würden, | |
aber vielleicht nicht unbedingt die Möglichkeit haben, in einen Verein zu | |
gehen. Ich finde, wir brauchen diese AG bei uns an der Schule. Ich habe | |
schon mit der Fachbereichsleitung Sport, also den Sportlehrern, gesprochen, | |
ob es freie Hallenzeiten gibt. Aber leider ist nachmittags alles ausgebucht | |
mit Vereinssport. Jetzt gucke ich gerade nach freien Hallen in der näheren | |
Umgebung der Schule. | |
Das machst du alles alleine? | |
Es war meine Idee, also kümmere ich mich besonders darum. Aber die anderen | |
Schulsprecher unterstützen mich. | |
Wird dieses Engagement von den Lehrkräften gesehen – oder ist da auch ein | |
Gefühl der Genervtheit: Jetzt schon wieder diese Schüler mit ihren | |
Extra-Projekten! | |
Das kommt immer auf die Lehrkräfte an. Die meisten unterstützen uns | |
natürlich und interessieren sich für unsere Arbeit, aber manche sagen dann: | |
Muss das jetzt sein? | |
Was sagst du dann? | |
Ich schaue, ob man einen Kompromiss findet. Aber ich versuche, meinen Plan | |
durchzusetzen. Zum Beispiel das Sommerfest: Die Lehrer unterstützen uns | |
leichter, habe ich festgestellt, wenn wir möglichst viel selbst machen, | |
wenn wir sie nicht so sehr brauchen. Deshalb versuchen wir jetzt in den | |
Klassen viele Ideen zu sammeln, die wir alleine umsetzen können. | |
Du bist in der 7. Klasse Schulsprecherin geworden, das ist ungewöhnlich – | |
meist ist man für dieses Amt mindestens in der Oberstufe. Wie setzt du dich | |
durch? | |
Also, bei den ersten Gremiensitzungen haben mich die Älteren schon ein | |
bisschen komisch angeschaut, was ich denn da vorne zu suchen hätte. Aber | |
ich habe mir dann gesagt: Die Mehrheit hat mich gewählt und das zwei Jahre | |
in Folge. Deshalb gehe ich immer selbstbewusst und zielgerecht an die Sache | |
ran. | |
Herrscht in der Schulkonferenz, dem höchsten Beschlussgremium der Schule, | |
wo ihr als Schülervertreter*innen neben Lehrkräften und | |
Elternvertreter*innen sitzt, eigentlich Augenhöhe? | |
Ja, wir dürfen alle unseren Senf dazugeben. Das ist auch gefragt. Wir haben | |
zum Beispiel kürzlich über ein neues Handykonzept für die Schule | |
gesprochen. Wir haben derzeit ein System, das nennt sich Handy-Ampeln – wo | |
die Handyampel Rot zeigt, dürfen keine Handys benutzt werden. | |
Zum Beispiel im Klassenraum. | |
Genau. Aber irgendwie hat sich niemand so richtig daran gehalten, weil es | |
auch nicht akzeptiert war bei den Schülern. Jetzt sollte das Handykonzept | |
neu geschrieben werden, die Schülerschaft sollte sich einbringen – und alle | |
sollten sich dabei entgegenkommen. Wir wollten mehr Freiheiten von den | |
Lehrern. Im Gegenzug wurde von uns verlangt, dass wir uns auch wirklich an | |
das vereinbarte Konzept halten. | |
Gibt es denn einen Kompromiss? | |
Ja. Die fünften und sechsten Klassen dürfen gar keine Handys benutzen, im | |
Unterricht ist es auch tabu – es sein denn, die Lehrer erlauben es ganz | |
ausdrücklich. Dafür haben wir Schüler uns durchgesetzt, dass wir die Handys | |
jetzt auch auf den Gängen im Schulgebäude benutzen dürfen. Aber nur mit | |
Kopfhörer oder auf lautlos gestellt, das ist die Bedingung: Es darf nicht | |
laut klingeln. | |
Würdest du sagen: Schule ist ein demokratischer Ort? | |
Ja, doch. In den Gremien, in denen ich sitze, findet Demokratie statt. Wir | |
werden alle gehört! | |
Warum ist das so wichtig aus deiner Sicht? | |
Wir Schüler sind die nächste Generation. Wir haben ein Recht darauf, dass | |
Lernen angenehm ist. Und es wäre doch schlimm, wenn sich nichts verändert. | |
Die Nachfrage nach Veränderungen ist ja da. Wenn sich die Schüler in der | |
Schule wohlfühlen, haben sie auch viel mehr Antrieb zum Lernen. | |
Wir haben uns vor einigen Wochen auf einem Podium getroffen, da ging es um | |
Mitbestimmungsrechte für Schüler*innen in der Schule. Viele der | |
Jugendlichen haben gesagt: Noten sind etwas sehr Unfaires, sehr | |
Autoritäres. Wie geht es dir damit? | |
Ich finde, Noten spiegeln schon ganz gut wider, woran man ist. Ich finde, | |
es ist eine Art der Bestätigung der erreichten Leistungen, anhand denen man | |
an sich arbeiten und sich verbessern kann. | |
Hast du das Gefühl, man lernt in der Schule, was Demokratie bedeutet? | |
Wir reden darüber ausgiebig im Politikunterricht. | |
Hört ihr zu? | |
Ja. Aber es hängt auch davon ab, wie die Lehrer den Unterricht gestalten. | |
An unserer Schule setzt man auch gerne auf Erklärvideos, mit denen Schüler | |
alles leichter und besser verstehen. | |
Diskutiert ihr untereinander über Politik auf dem Schulhof? | |
Wenn eine Wahl ansteht, wie jetzt wieder in Berlin … | |
… die Wahl zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen am | |
12. Februar. | |
Genau. Da hängen ja nun auch überall Plakate. Da fragen wir uns gegenseitig | |
schon auf dem Pausenhof: Für wen bist du? | |
Die rot-grün-rote Koalition in Berlin will künftig ein [1][Wahlrecht schon | |
mit 16] fürs Abgeordnetenhaus. Im Bundestag blockiert die CDU ein Wahlrecht | |
mit 16 für Bundestagswahlen. Regt dich das auf? | |
Ich fände es richtig, wenn wir Jugendliche wählen dürften. Man hat ja mit | |
16 auch durchaus schon einen gewissen Verstand. | |
Ist 16 nicht auch bloß eine willkürliche Zahl? Warum nicht schon wählen mit | |
13? | |
Ich würde es mir jedenfalls zutrauen, und meinen Mitschülern auch. Wir | |
haben unseren eigenen Kopf und wissen, welche Themen uns wichtig sind. | |
Was ist dir wichtig? | |
Das Thema Diskriminierung. Letztes Jahr haben wir Schülersprecher den | |
Vorschlag gemacht, dass sich unsere Schule für den Titel Schule ohne | |
Rassismus – Schule mit Courage bewirbt. Doch einige Klassensprecher wollten | |
das nicht, sie meinten, wir müssten uns einen solchen Titel erst verdienen. | |
Jetzt kommt die Initiative [2][Diskriminierungskritische Schulentwicklung] | |
erst mal zu uns, und es gibt Projekttage und Workshops. Übrigens hat sich | |
unsere Schulleitung für dieses Projekt beworben und wir wurden als eine von | |
drei Schulen aus Berlin ausgewählt, bei diesem Projekt mitzumachen. | |
Ist Rassismus ein Thema an deiner Schule? | |
Wir haben mal eine anonyme Umfrage gemacht. Und da kam zutage, dass | |
Lehrkräfte sich auch rassistisch geäußert haben sollen gegenüber Schülern. | |
Dazu muss ich aber sagen, dass unsere Schule sehr hellhörig bei dem Thema | |
ist und sofort aktiv wird. | |
Hast du persönlich schon Rassismus erlebt? | |
Tatsächlich habe ich weder in der Schule noch sonst im Alltag Rassismus | |
erlebt. Aber ich habe bei Freunden mitbekommen, dass sie wohl aufgrund | |
ihres Nachnamens Probleme bei der Wohnungssuche hatten und andere Familien | |
von Vermietern bevorzugt worden sind. | |
Du klingst mit deinen 13 Jahren sehr erwachsen, wie du über dein Amt als | |
Schulsprecherin nachdenkst. Ist das eigentlich schwierig für dich, ständig | |
dieses Amt mit dir herumzutragen – spürst du da von Seiten deiner | |
Altersgenoss*innen auch Unverständnis? | |
Manchmal. Als Klassensprecherin ist es zum Beispiel meine Pflicht, bei | |
Vertretungsausfall zu schauen, wo der Lehrer bleibt. Da sind dann viele | |
sauer auf mich, da bin ich die Spielverderberin. | |
Was hast du dann gemacht? | |
Ich habe gesagt, ihr habt mich dafür gewählt, dass ich das mache. Manche | |
haben das nicht verstanden, andere schon. | |
Kommst du damit klar? | |
Ich versuche, das zu trennen: Ich bin Aylin, die Mitschülerin, aber ich bin | |
auch Klassen- beziehungsweise Schulsprecherin. Und manchmal verzwickt sich | |
das eben ein bisschen. | |
Stimmt es, dass Mitschüler*innen eine Straße nach dir benennen wollten, | |
weil du dich so für sie einsetzt? | |
Ja, das war eine Schreibaufgabe im Englischunterricht. Nach wem würdet ihr | |
eine Straße benennen? Da war ich ganz schön gerührt. Es tut gut, wenn man | |
manchmal sieht, dass Leute dankbar sind. Ich mach’s ja für die Schüler. | |
2 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Volksinitiative-zum-Wahlrecht/!5871704 | |
[2] https://degede.de/project/diskriminierungskritische-schulentwicklung/ | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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