# taz.de -- Dokumentation über Rex Gildo: Eine schwule Tragödie | |
> Die Figur des Rex Gildo lädt zur Ironie ein. Doch Regisseur Rosa von | |
> Praunheim verweigert jegliche Komik und macht den Film damit | |
> herausragend. | |
Bild: Kilian Berger (als junger Rex Gildo) und Sidsel Hindhede (als Gitte Hænn… | |
Dieser Film beginnt mit der künstlerischen Signatur eines Mannes, einem | |
Ausschnitt aus einer TV-Show der siebziger Jahre: „Hossa, Hossa“, lautet | |
der Ausruf von Rex Gildo in seinem Hit „Fiesta Mexicana“, den er bis zum | |
letzten Tag zu singen hatte, ob eben in Big Shows oder zur Eröffnung von | |
Einrichtungshäusern oder beim Fantreffen in Sachsen. | |
Leicht hätte von diesen ersten Sekunden an alles Weitere aus dem Leben | |
dieser öffentlichen (und nie ganz privaten) Figur Rex Gildo wie eine | |
Schlagerrolle abgearbeitet sein können. So mit Augenzwinkern: Gildo – mit | |
echter Fremdschämgarantie in 88 Minuten. Rosa von Praunheim, der Regisseur, | |
der mit „Rex Gildo – Der letzte Tanz“ ein meisterliches Werk gefertigt ha… | |
eines seiner besten überhaupt, hat sich dieser Einladung zur Bespöttelung | |
krass entzogen. Er verzichtet, so wie er die Geschichte des als Ludwig | |
Hirtreiter 1936 im bayerischen Straubing geborenen Mannes erzählt, auf jede | |
Komik, zumal solche zulasten des Künstlers: Das macht diesen Film so | |
herausragend – dass er sich aller Ironisierung verweigert. | |
Sähe es dieser Film auf ein jugendliches oder jungerwachsenes Publikum ab, | |
müsste Rosa von Praunheim sich mit dem prinzipiellen Umstand | |
auseinandersetzen, dass diese den Star seiner Dokufiction nicht mehr | |
kennen. Der Stern des Rex Gildo – verloschen, geblieben ein bei | |
Schlagermoves in Hamburg oder beim Karneval gern zitiertes „Hossa, Hossa“, | |
gern ins Camp-Lächerliche gezogen. Alle aber, die zum klassischen | |
ARD-Publikum gehören, werden ihn natürlich schon mal gehört oder gesehen, | |
in vieltausendfachen Fällen auch sehr, sehr super gefunden haben, in erster | |
Linie Frauen, die weder einen Cowboy noch einen soldatisch anmutenden Kerl | |
zum Mann wollten. | |
Rex Gildo war zu seiner Zeit, also von den frühen sechziger bis in die | |
späten siebziger Jahre, ein deutscher Megamonstersuperstar, kommerziell auf | |
allen Kanälen, also Radio, Fernsehen und im Kino, ein Gigant seiner | |
Branche, ein Schlagersänger, der der – also seiner – Kundschaft wie nur | |
wenige andere den Stoff lieferte, den sie sich wünschte: Unterhaltung, bei | |
ihm eine Melange aus leicht exaltierter Körperperfektion, denn er konnte | |
tänzeln und tanzen, was ein Unterschied ist; er wirkte nicht steif wie ein | |
gefrorener Hänfling, sondern biegsam und strahlend, trotzdem immer eine | |
Spur zu adrett-überpflegt, ja, spürbar uneigentlich. Seine Zahnreihen | |
glänzend, was untypisch war für seine Zeit, das sieht man auf | |
Youtube-Archivaufnahmen, da Implantat- oder Jacketkronenkunstwerke bei | |
seinen Kolleg*innen noch nicht üblich waren. Seine Haare nicht minder | |
wie vom echten Leben unberührt, gebacken und auf gewisse Weise steifluftig | |
geföhnt – dabei war es ein Toupet, das ihm wie in die Kopfhaut gebrannt | |
schien. | |
## Großwetterlagen am Herzen | |
Rosa von Praunheim nimmt sich dieses Lebens an, er nimmt es als das, was es | |
war, nämlich tragisch, allen Erfolgen zum Trotz: ernsthaft. Man merkt es | |
den Off-Kommentaren des Regisseurs an, wie sehr ihm diese Geschichte am | |
Herzen liegt. Kühl erzählt er nämlich, hin und wieder verschränkt mit den | |
politischen Großwetterlagen. Kriegszeiten in Deutschland, restaurative (und | |
in schwuler Hinsicht extrem hässliche) Fünfziger, die 68er-Bewegung, die | |
Entwicklung des lebenzerstörenden Paragraphen 175, Praunheim selbst mit | |
seinem aufrührerischen, 1971 produzierten WDR-Film „Nicht der Homosexuelle | |
ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“, die CSD-Kultur der | |
öffentlichen Paraden, Klaus Wowereit, weil der es als offen schwuler Mann | |
zum (populären) Berliner Bürgermeister brachte. | |
So verkettelt Praunheim diese Bilder mit der Biographie Gildos, der völlig | |
zutreffend sehr früh als junger Mann lernen musste, dass offen homosexuell | |
zu sein das gesellschaftliche Aus, wenn nicht gar Gefängnis bedeuten würde. | |
Als Künstler, da die ganze Show-Welt jeden aussiebte, der seine (natürlich | |
heterosexuelle) Rolle nicht spielen wollte, hieß das: Mit seinem Entdecker | |
und Gefährten wie Geliebten seines Lebens Fred Miekley unter der Knute der | |
prinzipiellen Antihomosexualität zu leben, von Letzterem auch sehr bewusst | |
eingefordert: „Wir müssen lügen … ein Leben lang“, heißt es an einer | |
Stelle. | |
Dass von Praunheim sehr viele Szenen seiner Erzählung, die sich nicht als | |
gänzlich historische Dokumentation ausgibt, nachspielen lässt, etwa mit dem | |
hier genialischen Ben Becker in seiner Rolle des Gildo-Managers und | |
-Geliebten, ist ein sehr nötiger Kunstgriff: Echtes Bildarchivmaterial gibt | |
es aus jener Zeit, abgesehen von den Showaufnahmen, nicht. Zur Beglaubigung | |
holte sich der Regisseur eine schier unglaubliche Schar an ultrarelevanten | |
Showpromis in ihren Zeiten zum Gespräch: Vera Tschechowa, Cindy (die mit | |
Bert) Berger, Cornelia Froboess oder Gitte Haenning, die auf Praunheims | |
boshaft-klare Eingangsfrage, „Hattest Du jemals Sex mit Rex?“ keine Antwort | |
gibt. Die Dänin und der Bayer, die waren einige Jahre als Traumpaar | |
annonciert worden: Um Wahrheit kümmerte sich niemand, Fragen nach | |
Authentizität hätte man damals als abwegig, ja albern empfunden. | |
1999 stürzte Rex Gildo in München aus dem Fenster. Ob es freiwillig war, | |
vielleicht ein Unglück, womit sein Tod überhaupt zu tun hatte, wegen | |
Einsamkeit oder dem Umstand, nicht mehr jung und begehrt zu sein, ist | |
offen. Dieser Mann war da längst auch zum Objekt der Häme des | |
Boulevardjournalismus geworden, er war ein Bedauernswerter, kein Star mehr, | |
der die Bedingungen mitdiktiert. | |
Im Übrigen hat Rex Gildo sich niemals auch nur eine Sekunde als schwul | |
geoutet, abgesehen von den Kolleg*innen, für die Gildo & Miekley ein Paar | |
waren. Mir gegenüber schwor er noch 1995 in einem Gespräch, nichts sei | |
abwegiger – sein heteronormatives Gerüst saß in ihm wie der festgetackerte | |
Fiffi auf dem Kopf, inklusive zweier Ehen als Konzession an die | |
Schlüpfriges witternde „Skandalpresse“. Dass er selbst auf Wikipedia noch | |
als schwul in allenfalls spekulativer Hinsicht verhandelt wird, kommt einer | |
Totenschändung gleich. Rex & Fred – das war eine Liebesgeschichte in | |
übelster Zeit. Rosa von Praunheim hat sie ergreifend spürbar gemacht. | |
18 Feb 2023 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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