# taz.de -- Kulturpfarrer über Aus für „Jesus liebt“: „Es tobte ein Mob… | |
> Kulturpfarrer Thomas Zeitler hat die Ausstellung „Jesus liebt“ mit | |
> Bildern von Rosa von Praunheim nach Nürnberg geholt. Jetzt wurde sie | |
> geschlossen. | |
Bild: „Stimmen Raum geben, die herausfordernd sind“: Kulturpfarrer Thomas Z… | |
taz: Herr Zeitler, die Kirche St. Egidien hat anlässlich der Pride Weeks | |
[1][eine Ausstellung mit Bildern von Rosa von Praunheim] eröffnet – und | |
nach ein paar Tagen wieder geschlossen. Warum? | |
Thomas Zeitler: Einzelne kritische Stimmen gab es von Anfang an. Als die | |
lokale Presse mit ihren skandalisierenden „[2][Porno in der | |
Kirche]“-Schlagzeilen rausging und Fotografen kamen, die ganz bewusst die | |
provokativen Bilder hinter dem Sichtvorhang verbreitet haben, lief alles | |
nach dem Shitstorm-Musterdrehbuch aus dem Ruder. Das Telefon im Pfarramt | |
stand nicht mehr still, wir wurden mit E-Mails überschwemmt und es tobte | |
ein Mob in den Social Media gegen uns. Die Ausstellung war das gefundene | |
Fressen für eine Kampagne aus der ganz rechten Ecke gegen Queers und die | |
„linksgrün versiffte Kirche“. Zugleich nahmen aber auch Proteste von ganz | |
normalen Kirchenmitgliedern zu. Die eigentlichen Themen der Bilder und | |
unsere Aufgabe als Kulturkirche im offenen Dialog mit Kunst spielten | |
überhaupt keine Rolle mehr. Die Schließung war dann eine Notbremse. | |
Ging es auch darum, Menschen zu schützen? | |
Vor Ort war alles friedlich, bis auf zwei bis drei erhitze Diskutanten. Es | |
gab keine Angriffe auf die Aufsichten und keine Beschädigungen des | |
Kirchengebäudes. Aber das Gefühl der Bedrohung war schon da, nach dem, was | |
per Anruf und Mail auf uns einprasselte. Die Mitarbeitenden im Pfarramt | |
fragten: Können wir überhaupt noch Päckchen annehmen? | |
Was wurde der Ausstellung vorgeworfen? | |
Pornografie, Blasphemie und mangelnder Jugendschutz. Sicher, einige Bilder | |
von Rosa verwenden explizit sexuelles Bildmaterial, aber sie werden in | |
einen thematischen Kontext gestellt, in dem es nicht in erster Linie um | |
sexuelle Erregung geht, was Pornografie definiert. Und ja, Jesus und Maria | |
werden hier als körperliche, sexuelle Wesen gezeigt. Doch nur, wer | |
Sexualität und insbesondere Homosexualität schmutzig findet, hält diese | |
Bilder für blasphemisch. Und um Kinder und Jugendliche zu schützen, haben | |
wir die sexuellen Darstellungen uneinsehbar gehängt, mit Warnhinweisen | |
versehen und beaufsichtigt. Für Schulgottesdienste hatten wir | |
sicherheitshalber alle Bilder abgenommen, auch die völlig harmlosen. | |
Wieso war es wichtig, diese Bilder in einer Kirche zu zeigen? | |
Als Kulturkirche wollen wir auch Stimmen Raum geben, die sperrig und | |
herausfordernd sind. Rosa von Praunheim ist bekannt dafür, die Grenzen des | |
Zumutbaren auszuloten, und eine Person, die selbst mit der Kirche gebrochen | |
hat. Mit einer solchen Position auch im Rahmen eines Gottesdienstes in | |
Auseinandersetzung zu gehen – das ist unser Konzept von Kulturkirche. Wir | |
bleiben ein Ort für Gottesdienst und Spiritualität mit einem Pfarrer, der | |
zu diesen Themen auch theologisch etwas zu sagen versucht. Das Agieren im | |
Kirchenraum macht die Arbeit aber eben auch so heikel. Diese Bilder von | |
Rosa bringen viele wichtige Themen auf die Tagesordnung, denen sich Kirche | |
nie sauber gestellt hat. Die Homosexualitätsfrage wurde theologisch in den | |
1990er Jahren eingefroren. An diesem Beispiel hat sich offenbart, dass | |
Rausmogeln nicht mehr funktioniert. Und die Rechte hat jetzt mit der | |
Schließung einen vermeintlichen Triumph, den sie sich auf die Fahnen | |
schreibt. | |
Hätten Sie das alles nicht vorher wissen müssen? | |
Ja, vielleicht waren wir zu naiv. Man kann uns jetzt vorwerfen, dass wir | |
uns von Rosa haben vorführen lassen: Er hat eine Bombe in die Kirche | |
gelegt. Ich möchte aber als jemand, der Kultur macht, nicht mit einer | |
vorauseilenden Zensurschere im Kopf durch die Welt gehen müssen. Auch für | |
„Bomben“ muss Platz sein. Die Ausstellung ist substanziell und gut. Aber | |
wir haben es in diesem Fall nicht durchgehalten, den Raum für die Debatte | |
offenzuhalten. Aber unterm Strich bin ich total froh, dass wir diese vier | |
Tage hatten. Die Anstöße sind jetzt in der Welt und die Kirche muss sich | |
mit ihnen beschäftigen. | |
Wie gehen Sie mit den wütenden Kommentaren aus der queeren Community um? | |
Niemand bei uns war aus queerfeindlichen Motiven heraus für eine Schließung | |
der Ausstellung. Aber das spielt kaum noch eine Rolle. Die Community nimmt | |
es so wahr: Schließen heißt Nachgeben nach rechts. Für uns ist die Kirche | |
kein sicherer Ort, wenn es ernst und unbequem und ein wenig zu körperlich | |
wird. Die Community aber sieht das als Einschränkung der Kunstfreiheit. | |
Mitten in diesem Dilemma ringen wir um Glaubwürdigkeit. Auch als weltoffene | |
Kulturkirche. | |
Ist an den Vorwürfen aus der Community etwas dran? | |
Tatsächlich gerät jetzt unser Versuch, mit dieser Kulturkirche einen Ort | |
der Freiheit zu etablieren, in Gefahr. Wenn ich Studierenden der Akademie | |
der bildenden Künste vor einer Ausstellungsplanung sage: Ihr habt volle | |
Freiheit. Schaut, wie ihr eure Verantwortung dem Raum gegenüber wahrnehmt, | |
dann muss ich auch konsequent schützend die Hand darüberhalten und | |
Anstößiges zum Anlass für Debatte und Kommunikation nehmen. Das ist mein | |
Signal als Kunstpfarrer. Wenn ich stattdessen anfange, im Nachhinein zu | |
bewerten oder zu zensieren, kann ich diese Rolle nicht mehr erfüllen. Und | |
als selbst schwuler Pfarrer, der versucht, sichere und offene Räume für | |
queere Menschen zu gestalten, trifft mich so eine Entscheidung doppelt: Als | |
Anwalt einer noch immer diskriminierten Minderheit und als Schwuler. Wenn | |
ihr Rosa rausschmeißt, was heißt das dann eigentlich in Bezug auf mich? Bin | |
ich aushaltbar für euch oder sollte ich besser mitgehen? Deshalb ist es so | |
wichtig, dass ich die Ausstellung auch weiter inhaltlich begleite, um | |
mitten in diesem Vertrauensbruch die Fäden nicht ganz abreißen zu lassen. | |
Denn das wäre katastrophal. | |
Denken Sie ans Aufhören? | |
Nein. Aber ich kann nicht für ein Pinkwashing der Kirche zur Verfügung | |
stehen, wenn wir die Schuldgeschichte, die Rosa angesprochen hat, weiterhin | |
nicht thematisieren. Es ist an der Zeit, dass die bayerische Synode ein | |
eindeutiges Schuldbekenntnis gegenüber queeren Menschen ablegt. Zum Glück | |
haben sich inzwischen noch mehr Stimmen, auch aus der Kirchenleitung, in | |
diese Richtung positioniert. Das wäre zumindest ein kleiner Erfolg der | |
Ausstellung. | |
Fühlen Sie sich als Pfarrer auch provoziert von den Bildern? | |
Ich kann Rosas Anfragen gut in meine Theologie integrieren. Ich versuche ja | |
schon lange, diese disparaten Welten in Kontakt zu halten, ohne dass es | |
mich dabei zerreißt. Als wir die Bilder geöffnet haben, haben wir schon | |
sehr geschluckt. Rosa ist ein Meister der Provokation. Aber was jetzt | |
läuft, ist letztlich ein soziales Kunstwerk, das über die Bilder | |
hinausgeht. Eigentlich eine „Offenbarung“, eine Offenlegung, wo wir | |
kirchlich und gesellschaftlich stehen. Leider hat das auch Verletzungen auf | |
vielen Seiten produziert. Aber es kann nun mal keine Heilung geben, ohne | |
die Verletzungen zu zeigen. Und es geht hier nicht einfach um ein | |
abstraktes ethisches Problem. Letztlich um unsere Fähigkeit, einen | |
ganzheitlichen Raum der Liebe zu schaffen und zu halten. Und das würde Rosa | |
bei aller Kirchenkritik uns bestimmt auch wünschen. | |
Das heißt, Sie nehmen auch die Verletzungen Ihrer Kritiker ernst? | |
Natürlich. Zumindest derer, die die Ausstellung nicht politisch | |
instrumentalisieren, sondern sich wirklich „angepisst“ fühlen. Eine | |
kirchliche Mehrheit scheint es ja so zu empfinden: Dass da jetzt ein | |
Störenfried in einem heiligen Raum in die Ecke gepinkelt hat und man den | |
jetzt rausschmeißen muss. Ziemlich sicher haben wir den falschen Künstler | |
für einen Dialog nach klassisch kirchlichem Muster gewählt. Aber bewusst. | |
Denn mit Provokation umgehen lernen, das ist auch ein Bildungsauftrag von | |
uns. Letztlich glaube ich nicht, dass die Ausstellung Leute zum Austritt | |
aus der Kirche bewegt, die sich nicht eh innerlich schon verabschiedet | |
hatten. Ich habe jetzt erst einmal die Aufgabe, mich um die Verletzungen | |
der Queer-Community zu kümmern. Und auch um die Kunstszene Nürnbergs, die | |
fassungslos ist. Die Ausstellung zieht jetzt in die Kreis Galerie in der | |
Straße der Menschenrechte. Das ist eine bittere Symbolik: Wir konnten diese | |
Freiheitsrechte in einer Kirche nicht gewährleisten. | |
1 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Rosa-von-Praunheim-in-der-Diskussion/!5951363 | |
[2] https://www.t-online.de/region/nuernberg/id_100214686/homoerotische-bilder-… | |
## AUTOREN | |
Andreas Thamm | |
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