| # taz.de -- Soll Rot-Grün-Rot weiterregieren?: Geht's noch? | |
| > Ist Rot-Grün-Rot weiter das populärste Bündnis in der Hauptstadt und muss | |
| > weiter regieren? Oder hat Berlin den Wechsel gewählt? Ein Pro und Contra. | |
| Bild: Berlins amtierende Regierende: Franziska Giffey, Bettina Jarasch und Kl… | |
| ## Ja, die Mehrheit steht noch immer | |
| SPD, Grüne und Linkspartei haben [1][gut 5 Prozentpunkte verloren, die CDU | |
| hat 10 Prozentpunkte gewonnen]. Ist es also ein zwingendes Gebot | |
| demokratischer Fairness, dass die Union nun triumphal in das Rote Rathaus | |
| einzieht und das Mitte-links-Bündnis geschlagen die Fahne einrollt? | |
| Das scheint nur auf den ersten Blick so. Denn der Erfolg der CDU verdankt | |
| sich nicht unbedingt deren gescheiten Ideen, wie man in Berlin für | |
| [2][klimaneutralen Verkehr] und bezahlbare Mieten sorgt. Das Votum für die | |
| CDU war zum großen Teil aus Protest geboren. Es richtete sich gegen die | |
| SPD, die sich dreist geweigert hatte, die Verantwortung für die | |
| verunglückte Wahl 2021 zu übernehmen. Dafür ist die Niederlage der schon | |
| seit langem blutarmen Berliner SPD noch milde ausgefallen. | |
| Entscheidend aber ist: Dieses Wahlergebnis ist kein klares Votum für eine | |
| CDU-regierte Stadt, mit mehr Law and Order und Stadtautobahn, mit mehr | |
| Parkplätzen und bloß keinen [3][Enteignungen von Wohnungskonzernen]. | |
| Sondern Ausdruck von Ärger über die SPD. | |
| Zudem ist Rot-Grün-Rot noch immer die populärste Koalition in Berlin. | |
| Genauer: Es ist die am wenigsten unbeliebte, was man als Ausdruck einer | |
| gewissen habituellen [4][Grundverdrießlichkeit in der Hauptstadt] deuten | |
| mag. Allemal berechtigt ist daher die Skepsis, ob eine andere Koalition | |
| Berlin besser regieren würde als Rot-Grün-Rot. | |
| Bei Schwarz-Grün würde das Verkehrskapitel im Koalitionsvertrag nicht ohne | |
| sehr viele Prüfaufträge auskommen. Der Dauerclinch wäre vorprogrammiert. | |
| Und ein Bündnis von CDU und SPD – ausgerechnet nachdem die Ära der Großen | |
| Koalition auf Bundesebene endlich vorbei ist – wäre ein Schritt zurück zu | |
| Stagnation und Verwaltungsmodus. | |
| Ja, Koalition der Wahlverlierer klingt nicht schön. Aber es geht hier nicht | |
| um Stilfragen, nicht um das Gestern, sondern um das Morgen. Und für die | |
| Zukunft ist Rot-Grün-Rot noch immer am ehesten zuzutrauen, einen kreativen, | |
| [5][handlungsfähigen Senat] zu bilden. Jedenfalls, wenn R2G die zweite | |
| Botschaft dieser Wahl begreift: Es braucht eine neue Idee, um die Spannung | |
| zwischen angesagter Innenstadt und frustrierten Außenbezirken | |
| auszutarieren. | |
| Für die Fortsetzung der aktuellen Koalition spricht auch ein praktischer | |
| Grund. Die nächste Wahl ist schon in drei Jahren. Erst lange Verhandlungen, | |
| dann ein neuer Koalitionsvertrag. Und bald ist Sommerpause. 2026 beginnt | |
| der Wahlkampf. Für eine funktionsfähige Stadt wäre das kein günstiges | |
| Szenario. | |
| Stefan Reinecke | |
| ## Nein, Berlin hat den Wechsel gewählt | |
| Man muss wahrlich keine Freundin der CDU sein, um anzuerkennen, dass die | |
| Berliner:innen die [6][rot-grün-rote Koalition abgewählt], zumindest | |
| abgestraft haben. Das linke Dreierbündnis hat zwar nach wie vor eine | |
| rechnerische Mehrheit, aber Berlin hat den Wechsel gewählt. Der gemeinhin | |
| eher links tickenden Metropole ist die Lust auf eine Koalition aus SPD, | |
| Grünen und Linkspartei in den vergangenen Monaten merklich vergangen. | |
| [7][Rot-Grün-Rot] klingt als Vision deutlich besser, als die Realpolitik | |
| dieser Koalition letztlich aussah. | |
| Mieterfreundliche Politik in einer Stadt, in der massenhaft Wohnungen | |
| fehlen und die Mieten in den vergangenen Jahren so stark gestiegen sind wie | |
| sonst nirgendwo? Nicht vorhanden. Von einer linken Koalition hätte man | |
| wenigstens erwarten können, dass sie den Volksentscheid „Deutsche Wohnung & | |
| Co enteignen“ zumindest verbal unterstützt. Bürgermeisterin Giffey aber hat | |
| der Bürger:inneninitiative von vornherein eine Absage erteilt. | |
| Mehr Fahrradwege für die umwelt- und gesundheitsbewussten | |
| Innenstadtbewohner:innen? Die grüne Verkehrssenatorin Bettina Jarasch hat | |
| ihr Versprechen nicht eingelöst. Dafür hat sie die Autofahrer:innen | |
| vor allem in den Außenbezirken mit ihrer Ankündigung vergrault, die Zahl | |
| der Parkplätze halbieren zu wollen. | |
| Und dann [8][das Theater um die Friedrichstraße]! Eine Fußgängerzone mit | |
| Sitzgelegenheiten und Grünflächen wäre in der Tat die beste Lösung. Die man | |
| aber jenen gut verkaufen muss, bei denen die Idee umstritten ist. Die | |
| Kommunikation des Senats dazu war desaströs. | |
| Wenn Franziska Giffey einen Tag nach dem historisch schlechten Abschneiden | |
| der SPD von einer „starken Regierung“ unter einer SPD-Führung fabuliert, | |
| zeugt das von Realitätsverlust. In der SPD selbst ist man schlauer: Ein | |
| „Weiter-so“ kann es nicht geben, kommentieren führende Landespolitiker – | |
| und fordern sowohl einen „Neustart“ als auch „nach allen Seiten offen“ … | |
| sein. Der Subtext lautet: Wir führen natürlich Gespräche mit der CDU, und | |
| wenn es passt, gehen wir in eine Große Koalition – ohne Giffey. | |
| Das ist zugegebenermaßen ein Dilemma. Ein CDU-SPD-Bündnis assoziiert man | |
| vor allem mit Blick auf die Vergangenheit im Bund mit Lähmung und Schwere. | |
| Daher erscheint die Präferenz der Berliner:innen für eine starke Rolle | |
| der CDU nicht wie eine echte Begeisterung für [9][Kai Wegner] und Co, | |
| sondern folgt der Logik des kleineren Übels: Hauptsache, Wechsel. | |
| Simone Schmollack | |
| 13 Feb 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
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